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       # taz.de -- Diskussion über Theater gegen rechts: Zartes Pflänzchen Widerstand
       
       > Wie umgehen mit dem Rechtsdrift der Gesellschaft? Das Berliner
       > Ringtheater wirbt für die Notwendigkeit antifaschistischen Theaters.
       
   IMG Bild: Schauspielerin Aylin Esener, Dramatiker Lars Werner, Schauspielerin Mariann Yar und Charlotte Maaß vom Kollektiv des Ringtheaters
       
       Eingeklemmt zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft liegt das
       Berliner Ringtheater. Auf dem schmalen Streifen zwischen Brandmauern und
       S-Bahntrasse am Eingang zur Halbinsel Stralau bewahrt das Areal der Neuen
       Zukunft, zu dem das [1][Ringtheater] gehört, den glorreichen Geist der
       Berliner Alternativkultur der 1970er bis 1990er Jahre. Die Neue Zukunft
       muss aber auch das Kommende fürchten.
       
       Denn erreicht [2][das Asphaltband der Stadtautobahn], dieses
       Monumentalbauwerk einer vergangenheitsbesoffenen Verkehrspolitik, auch
       dieses Gebiet, dann muss mal wieder ein neuer Standort gesucht werden.
       „Noch sind wir aber da“, sagt Charlotte Maaß vom künstlerischen
       Leitungskollektiv des Ringtheaters der taz. Weiter anwesend – auch trotz
       all der bekannten und der kommenden Kürzungen im Kulturetat.
       
       Unsicherheit schaffe, so Maaß, dass wegen des noch immer nicht
       beschlossenen Doppelhaushalts des Senats die Höhe der in Aussicht
       gestellten zweijährigen Spielstättenförderung nicht klar sei. „Wir können
       nicht richtig planen“, beschreibt sie die Misere.
       
       Der noch größeren Misere, die ideologisch damit allerdings verbunden ist,
       dem Rechtsdrift der Gesellschaft, wollte das Theater mit der 10. Ausgabe
       der Programmreihe Macht Kritisches Theater (MKT) begegnen. Unter dem Motto
       „love theatre, hate facism“ lud Maaß die Schauspielerin und Aktivistin
       Aylin Esener, den Dramatiker Lars Werner und die Schauspielerin Mariann Yar
       auf die Bühne. Esener wirkt unter anderem in den „NSU-Monologen“ mit.
       
       Werner skizziert in seinem 2024 geschriebenen und für den Heidelberger
       Stückemarkt nominierten Werk „Die ersten Hundert Tage“ die Reaktionen auf
       den Beginn eines faschistischen Regimes in Berlin. In der Göttinger
       Uraufführung des Stücks schließlich spielt Yar. Sie hat zudem den Verein
       Stabiler Rücken ins Leben gerufen, der sich für eine diversere und
       gerechtere Theater- und Filmproduktionslandschaft einsetzt.
       
       ## Auf Feindeslisten der Rechten
       
       Eine Videosession über rechte Übergriffe und antifaschistischen Widerstand
       leitete den Abend ein. Danach folgte die Lesung einer Szene aus Werners
       „Hundert Tagen“. Darin geht es um vier einst befreundete Menschen, die
       durch den Wahlsieg einer rechten Bewegung vollends auseinandergetrieben
       wurden.
       
       Drei von ihnen verlassen schließlich Deutschland. Die eine, weil sie auf
       Feindeslisten der Rechten steht. Eine andere, weil ihr queeres Lebensmodell
       unter den neuen Verhältnissen bestenfalls eine klandestine Zukunft haben
       dürfte. Der dritte aus einer Art heroischen Mitläufertums, im Bestreben,
       auch ohne eigene Bedrohung auf der richtigen Seite der Geschichte zu
       stehen.
       
       Vielleicht ist dieser Marin, den Werner als eher schwächliche Figur
       zeichnet, aber auch die klügste Figur. Jedenfalls hat sie ihre eigene
       Schlussfolgerung aus dem berühmt gewordenen Spruch Martin Niemöllers
       gezogen.
       
       Der räumte ein, gegenüber den ersten Opfern des Nationalsozialismus
       gleichgültig gewesen zu sein: „Als die Nazis die Kommunisten holten, habe
       ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Gewerkschaftler
       holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschaftler. Als sie die
       Juden holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude. Als sie mich
       holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“
       
       ## Showdown an der Tanke
       
       Nichtbetroffensein und Nichtbetroffenfühlen waren schon damals fördernde
       Begleitumstände des Erstarkens faschistischer und nationalistischer
       Bewegungen. Die vierte Figur schließlich passt sich der neuen Macht an und
       macht Karriere in deren Presse- und Propagandaapparat. Sie will die
       früheren Freunde zum Schweigen über die gemeinsame, eher linke
       Vergangenheit verpflichten und lädt daher zu einem Showdown an einer Tanke
       im Exilland der drei anderen ein.
       
       Werner zeichnet in seinem Stück den schleichenden Prozess der Anpassung an
       sich verändernde Bedingungen nach. Die einen springen auf den Zug auf, die
       anderen sind bestenfalls zu Ausweichbewegungen gegenüber der auf sie
       zurasenden Massenmobilisierungsmaschine fähig.
       
       Wie gut mit dieser erduldenden Form der Anpassung die Gegenwart abgebildet
       ist, zeigte leider auch die folgende Podiumsdiskussion. Denn die dort
       angedachten Rezepte für eine antifaschistische Theaterpraxis blieben recht
       schwachbrüstig. Sie begnügten sich in der Vorstellung eines prekären
       Überlebens in Form von Banden Gleichgesinnter.
       
       Was an dem Abend völlig fehlte, war eine Analyse dessen, was rechte
       Bewegungen gegenwärtig so stark macht. Resignation überwog. Der
       institutionelle Siegeszug von AfD und Co scheint unaufhaltbar. Man fühlte
       sich auch in der Diskussion der nichtfiktionalen Gestalten mittendrin in
       Werners „Hundert Tagen“. Das spricht für die Beobachtungs- und
       Beschreibungskunst des Dramatikers. Für Gegenwart und Zukunft erschreckt es
       aber.
       
       10 Jun 2025
       
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