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       # taz.de -- Prozess um Angriff auf Synagoge: Bekehrung mit dem Brandsatz
       
       > Im Prozess um den Brandanschlag auf die Oldenburger Synagoge sagt Tim R.,
       > er habe die Tat im religiösen Wahn begangen: um Juden zu bekehren.
       
   IMG Bild: Blumen liegen im April 2024 vor der verbrannten Eingangstür der Oldenburger Synagoge
       
       Am Mittwoch begann am Landgericht Oldenburg der Prozess um den
       [1][Brandanschlag auf die Oldenburger Synagoge] im April des vergangenen
       Jahres. Der Beschuldigte, Tim R., soll wenige Stunden vor dem
       Schabbat-Gottesdienst einen Molotowcocktail auf die Tür der Synagoge
       geworfen haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm versuchte schwere
       Brandstiftung vor, geht aufgrund einer psychischen Erkrankung jedoch von
       seiner Schuldunfähigkeit aus.
       
       Die [2][Beratungsstelle „OFEK“] kritisierte schon im Vorfeld die
       „Entpolitisierung der Tat“ durch die Behörden und das Oldenburger Bündnis
       gegen Antisemitismus und Antizionismus betonte, dass der gesellschaftliche
       Antisemitismus den Nährboden für „sogenannte Einzeltäter“ bereite.
       
       Dass R. die Tat begangen hat, steht fest. Er hatte bereits bei seiner
       Festnahme gestanden. Zusätzlich konnten die Ermittler:innen seine DNA
       an den Resten des Brandsatzes nachweisen. Im Prozess geht es nun vor allem
       um sein Motiv.
       
       ## „Eine Art Bekehrungsgedanken“
       
       Zunächst äußert sich R.s Verteidiger. Sein Mandant habe sich zum
       Tatzeitpunkt [3][in einem psychotischen, „religiösen Wahn“] befunden und
       sei von „einer Art Bekehrungsgedanken“ besessen gewesen: Juden seien auf
       dem „falschen Weg“, weil sie Jesus Christus nicht als Propheten anbeten.
       Deshalb sei ihnen nach dem Tod das ewige Leben verwehrt. Vor diesem
       Schicksal habe sein Mandant sie durch Bekehrung retten wollen. Als Mittel
       wählte er den Molotowcocktail.
       
       R. habe nach seinem letzten Aufenthalt in der Psychiatrie seine Medikamente
       abgesetzt und zum Tatzeitpunkt unter dem Einfluss von Cannabis gestanden.
       Jetzt nehme er wieder Medikamente und bereue die Tat. Derzeit ist er in
       einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht.
       
       R. sitzt ruhig neben seinem Verteidiger und antwortet auf die Fragen des
       Vorsitzenden Richters ausführlich, wenn auch diffus: „Dieser
       Bekehrungsgedanke hat mich nicht losgelassen.“ Er habe immer wieder Stimmen
       in seinem Kopf gehört, die ihn zu der Tat gedrängt hätten. Irgendwann sei
       sein Leidensdruck so groß gewesen, dass er mit einem Molotowcocktail im
       Rucksack von seinem Wohnort Bakum nach Oldenburg gefahren sei, um die
       Synagoge aufzusuchen und den Brandsatz zu werfen.
       
       ## Überrascht, als die Polizei kam
       
       Durch die Tat habe er sich Erleichterung von den Stimmen erhofft. Sein Ziel
       sei gewesen, dass die Juden sich nach dem Brandanschlag auf die Bekehrung
       einlassen: „Das war definitiv das falsche Mittel zum Zweck. Im Nachhinein
       seh’ ich, dass das ein falsches Licht wirft.“ An dieser Stelle erinnert der
       Vorsitzende Richter daran, dass die Nazis 1938 die alte Synagoge an der
       Peterstraße niederbrannten.
       
       Nach der Tat hätten die Stimmen nachgelassen, erzählt R. weiter. Als die
       Polizei ihn dann im Januar festnahm, sei er überrascht gewesen: „Ich hatte
       das auch gar nicht mehr im Kopf, dass ich die Tat begangen hab.“ Da er
       sozial zurückgezogen und ohne Handy gelebt hat, habe er auch von der
       Fahndung nach ihm nichts mitbekommen. Er wohnte bis zu seiner Festnahme in
       einer Gemeinschaftsunterkunft, war lange Zeit obdachlos und wegen seiner
       Erkrankung schon in psychiatrischer Behandlung.
       
       Auf die Frage, ob er noch immer seinen Bekehrungsgedanken habe, antwortet
       er: „Das herrscht schon vor, diese innere religiöse Meinung.“ In die Tat
       müsse er sie jetzt aber nicht mehr umsetzen.
       
       ## Täter entschuldigt sich bei Jüdischer Gemeinde
       
       Neben zwei Polizeibeamten befragt das Gericht am ersten Verhandlungstag
       auch Claire Shaub-Moore, die erste Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu
       Oldenburg. Sie war zur Zeit des Anschlags im Gemeindehaus direkt neben der
       Synagoge. Nach dem Anschlag sei sie zunächst unsicher gewesen, ob die
       Gemeinde am Abend wie geplant den Gottesdienst feiern sollte. „Wir haben
       uns entschieden, wir werden den Gottesdienst trotzdem machen.“ Es bleibe
       aber weiter [4][die ständige Angst, dass sich die Geschichte für die Juden
       und Jüdinnen in Deutschland wiederhole]. Viele Gemeindemitglieder haben
       Angehörige in der Schoah verloren. R. entschuldigt sich bei Shaub-Moore.
       
       Der Vorsitzende Richter kündigt an, dass er das Urteil voraussichtlich
       schon am Montag verkünden wird. Dann entscheidet sich, ob R. dauerhaft in
       einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht wird.
       
       11 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Ein-Jahr-nach-Anschlag-auf-Synagoge/!6077560
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       ## AUTOREN
       
   DIR Aljoscha Hoepfner
       
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