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       # taz.de -- Mobilitätswende gebremst: Parkplatz-Rettung verhindert Schulstraße
       
       > In Hamburg gibt es ein Moratorium zum Abbau von Parkplätzen. Damit stoppt
       > Rot-Grün auch laufende Projekte für eine menschenfreundlichere Stadt.
       
   IMG Bild: Platz zum Spielen: fürs Straßenfest gesperrte Rellinger Straße September 2024
       
       Hamburg taz | Es könnte so schön entspannt zugehen in der Rellinger Straße
       im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel. Kleinkinder könnten unbeschwert über die
       Straße laufradeln. Klönende Erwachsene könnten auf Bänken sitzend Eis
       essen, Erziehungsbeauftragte ihre Kinder sorgenlos zu Fuß zur Schule
       bringen. Das alles könnte unter Bäumen stattfinden, ohne Stress – und vor
       allem ohne Autos.
       
       So jedenfalls sieht eine Visualisierung des Entwurfs aus für Hamburgs erste
       Schulstraße, eine 60 Meter autofreie Zone direkt vor der Grundschule
       Rellinger Straße. Geplant ist sie seit Jahren. Jetzt hat der Senat den
       Umbau gestoppt und auf unbestimmte Zeit verschoben. Der Grund: die
       rot-grüne Regierung und ihr „Masterplan Parken“.
       
       Dieser ist Teil des [1][Koalitionsvertrages, auf den sich SPD und Grüne
       Ende April geeinigt haben]. Erklärtes Ziel der Koalitionspartner ist es,
       die Parkplatzsituation in Hamburg zu verbessern. Zwar gebe es genug
       Parkplätze, diese seien aber nicht richtig auf die Stadt verteilt. Deshalb
       will die rot-grüne Regierung erst mal herausfinden, wie viele Autos und
       Parkplätze es wo in der Stadt überhaupt gibt.
       
       Bis der Masterplan Parken dann ausklamüsert ist, und das ist der
       Knackpunkt, hat die Regierung alle bestehenden Parkplätze unter Artenschutz
       gestellt. Kein Parkplatz darf mehr irgendwelchen Umbauarbeiten zum Opfer
       fallen. „Parkplatz-Moratorium“ nennt das die Koalition. Von derzeit 31
       Parkplätzen in der Rellinger Straße würden nach dem Umbau zur Schulstraße
       nur drei bleiben. Also: ein Prüffall.
       
       ## Jetzt entscheidet die Behörde
       
       „Für uns heißt das jetzt erst mal Stopp“, sagt Kay Becker, Pressesprecher
       des Bezirksamtes Eimsbüttel, das für die Planung der Schulstraße zuständig
       ist. Das Bezirksamt sei schon kurz davor gewesen, das Projekt Schulstraße
       auszuschreiben. Alle Planungen waren abgeschlossen. Die Bauarbeiten hätten
       noch vor den Sommerferien beginnen sollen.
       
       „Wir haben die Schulstraße, wie alle anderen Maßnahmen auch, gemeldet“,
       sagt Becker. „Jetzt wird entschieden, ob die Maßnahme durchgeführt werden
       kann, umgeplant werden muss oder gar nicht durchgeführt werden kann.“ Wie
       lange das dauert, sei aktuell offen.
       
       Durch die Parkplatz-Klausel liegt die Prüfung von Baumaßnahmen, immer wenn
       es um Parkplätze geht, nicht mehr in der Hand des Bezirks. Sie wandert zu
       den zuständigen Behörden eine Etage weiter oben in der Verwaltung, in dem
       Fall zur Behörde für Verkehr und Mobilitätswende (BVM) und zum Hamburger
       Senat. Bisher war unklar, ob auch bereits fertig geplante Projekte wie die
       Schulstraße vom im Koalitionsvertrag beschlossenen „Parkplatz-Moratorium“
       betroffen sein könnten.
       
       Eigentlich ist die Schulstraße in Eimsbüttel so etwas wie eine Straße von
       unten. Sie wurde von einem Bündnis aus dem Elternrat der Grundschule und
       der Initiative Kurs Fahrradstadt angestoßen. An dem Projekt wird seit 2023
       geplant. In die Planungsphase hat das Bezirksamt Anwohner:innen und
       Schüler:innen der Grundschule mit ihren Ideen einbezogen.
       
       Die Schulstraße sollte Platz für einen Fahrradweg bieten, für Sitzbänke,
       Bäume, Blumenkästen und dazwischen Platz zum Spielen für die
       Grundschulkinder. Anders als viele Schulstraßen soll das Straßenstück nicht
       nur zu Schulbeginn und -ende, sondern dauerhaft für Autos gesperrt werden.
       
       Katharina Lepik, Projektleiterin für Kinder- und Jugendmobilität beim
       Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) Hamburg kritisiert den Stopp des
       Umbaus scharf. Die Schulstraße sei nicht nur aus Sicherheitsgründen für die
       Schulkinder nötig. Sie erhöhe auch die Aufenthaltsqualität für Anwohnende
       und Passant:innen. „Die Straße ist stark beparkt. Sie ist zu Bring- und
       Holzeiten mit Elterntaxis verstopft, die Bürgersteige sind schmal und es
       gibt wenig Platz“, sagt Lepik.
       
       Auch kritisiert sie den Stopp der Bauarbeiten nach der hohen
       Bürger:innenbeteiligung in der Planung. „Der plötzliche Stopp der
       Realisierung der Schulstraße ist ein fatales Signal für die
       Schüler*innen der Schule Rellinger Straße und für deren
       Demokratieverständnis“, sagt Lepik.
       
       Das findet auch der Elternrat der Grundschule. „Es ist sehr viel Herzblut,
       Zeit und Geld in diesen Prozess geflossen, in einer ganzen Reihe von
       Workshops mit Schüler:innen, Eltern und Anwohnenden“, schreibt eine
       Vertreterin des Rates der taz.
       
       Die Hamburger Verkehrsbehörde reagiert auf taz-Anfrage schmallippig. Das
       Projekt Schulstraße sei nicht gestoppt, sondern befinde sich in der
       Überprüfung. Nach dem Masterplan Parken müssten alle Maßnahmen, die
       Parkplätze betreffen könnten, vom Senat und zuständigen Behörden geprüft
       werden. Das betreffe folgerichtig auch die Schulstraße.
       
       ## Eigentlich will der Senat die Verkehrswende
       
       Wer genau für die Überprüfung zuständig ist, beantwortet die Behörde nicht.
       Ebenso wenig will sie sagen, nach welchen Kriterien überprüft wird. Der
       Behörde sei allerdings bewusst, dass es sich hier um eine Maßnahme zur
       Verbesserung der Sicherheit auf Schulwegen handelt.
       
       Dass die rot-grüne Regierung Hamburgs eine grüne Verkehrswende will, hat
       sie schon Ende 2023 im Zehn-Punkte-Papier „Strategie [2][Mobilitätswende]“
       beschlossen. Zu den Zielen gehört auch der Ausbau der Infrastruktur für
       Fuß- und Radverkehr und mehr „Schulwegesicherheit“.
       
       Zu der können Schulstraßen wesentlich beitragen, schreibt die
       [3][Initiative „Zu Fuss zur Schule“], die sich bundesweit für die
       Einrichtung von Schulstraßen einsetzt. Auch für das Klima hätten
       verkehrsberuhigte Zonen Vorteile. [4][Studien] weisen darauf hin, dass
       schon kleine [5][verkehrsberuhigte Gebiete in Städten] zu einem Rückgang
       von Emissionen beitragen. Dabei [6][gelten Städte wie Paris und Barcelona
       als Positivbeispiele], weil es dort nicht nur viele Fahrradwege, sondern
       auch autofreie Zonen gibt.
       
       Ob Hamburg noch seine erste ganz autofreie Schulstraße bekommt, ist aktuell
       offen. Der Elternrat der Grundschule Rellinger Straße gibt die Hoffnung
       nicht auf. „Wir hoffen sehr, dass die Straße doch noch umgebaut wird.“
       
       12 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.gruene-hamburg.de/wp-content/uploads/2025/04/Koalitionsvertrag-2025-final.pdf
   DIR [2] /Mobilitaetswende-in-Hamburger-Bezirken/!6055110
   DIR [3] https://www.zu-fuss-zur-schule.de/mitmachen/politischer-werden/schulstrassen
   DIR [4] https://www.isi.fraunhofer.de/content/dam/isi/dokumente/sustainability-innovation/2024/2024-04_klimawirkungen_verkehr_sustainability_innovation_04-2024.pdf
   DIR [5] /Studie-zu-Autos-in-der-Stadt/!5945157
   DIR [6] /Verkehrswende-in-Staedten/!6008426
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Amira Klute
       
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