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       # taz.de -- Politische Gefangene in Belarus: Tod im Knast
       
       > Walentin Schtermer soll bereits im Januar dieses Jahres gestorben sein.
       > Er saß wegen angeblichem Extremismus eine fünfjährige Haftstrafe ab.
       
   IMG Bild: Walentin Schtermer: Im Juni 2023 wurde er festgenommen und ist in Haft verstorben
       
       Berlin taz | Grausam, aber wahr: Der belarussische politische Gefangene
       Walentin Schtermer lebt nicht mehr. Der autokratische Machthaber Alexander
       Lukaschenko hat ein weiteres Menschenleben auf dem Gewissen. In dieser
       Woche berichtete die oppositionelle belarussische Zeitung Nascha Niwa, die
       jetzt aus dem litauischen Exil berichtet, erstmals vom Tod Schtermers, der
       bereits im Januar gestorben sein soll.
       
       Ansonsten ist die Faktenlage äußerst dürftig. Diese Vernebelungs- und
       Verschleierungstaktik ist ein fester Bestandteil des zynischen,
       menschenverachtenden Umgangs der Behörden mit Inhaftierten. Laut Angaben
       des Digital Intelligence Teams, auf die sich Nascha Niwa bezieht, stammt
       Schtermer (sein Alter wird mit 61 bzw. 62 Jahren angegeben) aus der
       ukrainischen Stadt Polonne im Verwaltungsbezirk Chmelnizki.
       
       2002 soll er nach Belarus, genauer in die Stadt Gomel, gezogen sein. Aus
       erster Ehe hat er einen Sohn, aus der zweiten eine Tochter. Von 2002 war er
       Unternehmer und im Bausektor tätig. Sein letzter Arbeitsplatz war der
       Staatsbetrieb Krasnyje Gwosdiki (dt.: „Rote Nelken“) in Gomel, der
       Landschaftsgestaltung betreibt.
       
       Im Juni 2023 wurde Schtermer festgenommen. Die Vorwürfe lauteten auf
       Mitgliedschaft in einer extremistischen Vereinigung, Beleidigung des
       Präsidenten sowie Aufstachelung zu Hass. Am 4. Oktober wurde er von einem
       Gericht in Gomel zu fünf Jahren Strafkolonie verurteilt.
       
       ## Unter Ausschluss der Öffentlichkeit
       
       Das Urteil – der Prozess fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt –
       wurde zwei Monate später von einem Berufungsgericht bestätigt und Schtermer
       in eine Liste von „Extremisten“ und „Terroristen“ aufgenommen. Sein
       Vergehen: Er soll auf Social Media über Russlands Angriffskrieg gegen die
       Ukraine insgesamt acht kritische Kommentare gepostet haben.
       
       Nascha Niwa zitiert Dmitri Lukscha – einen Mitgefangenen von Schtermer, der
       mit ihm in der Kolonie Nr. 17 in Schklow einsaß und im Sommer 2024
       begnadigt wurde: „Walentin war sehr schwach. Er kam nach einem Schlaganfall
       in die Kolonie. Ich weiß nicht, vielleicht hatte er diesen in der
       Untersuchungshaft erlitten. In meiner Gegenwart wurde er in eine Strafzelle
       gesteckt.“
       
       Trotz seines schlechten Gesundheitszustandes sei er zur Arbeit gezwungen
       worden. Walentin habe sehr langsam gesprochen und beim Gehen Mühe gehabt.
       Wenn die Häftlinge nach der Arbeit nach Hause gegangen seien, sei Walentin
       immer zurückgeblieben, weil er nicht habe mithalten können. Walentin sei
       irgendwann im Winter ausgerutscht und gestürzt. Er habe sich entweder einen
       Arm gebrochen oder ihn verrenkt, zitiert Nascha Niwa Dmitri Lukscha.
       
       Seit den wochenlangen Massenprotesten im Zuge der gefälschten
       Präsidentenwahlen im August 2020 hat das Regime Lukaschenko den Druck auf
       Kritiker*innen stetig verschärft. [1][Laut der belarussischen
       Menschenrechtsorganisation Wjasna sitzen in Belarus 1.187 politische
       Gefangene (Stand: 23. Mai 2025) in Haftanstalten]. Seit 2020 sollen
       mindestens acht von ihnen zu Tode gekommen sein.
       
       ## Über 60 Verfahren gegen Medienschaffende
       
       Auch viele Medienschaffende sind von den Repressionen betroffen.
       [2][Angaben des belarussischen Journalistenverbandes (Basch) zufolge laufen
       gegen mehr als 60 Journalist*innen (alle im Ausland tätig) Ermittlungs
       – bzw. Strafverfahren]. Häufig wissen die Betroffenen gar nicht, was gegen
       sie vorliegt. Ihre Verwandten müssen Hausdurchsuchungen über sich ergehen
       lassen oder werden mit anderen Mitteln drangsaliert.
       
       40 Mitarbeiter*innen von Medien sitzen im Gefängnis. Eine von ihnen
       ist [3][Kateryna Andrejewa, Journalistin beim in Polen ansässigen TV-Sender
       Belsat], die seit 2020 in Haft ist. Wegen Hochverrats wurde sie zu einer
       Freiheitsstrafe von acht Jahren und drei Monaten verurteilt. Ihr Ehemann,
       der Journalist Igor Iljasch, wurde im Oktober 2024 festgenommen und wegen
       „Diskreditierung von Belarus“ und „Unterstützung extremistischer
       Aktivitäten“ angeklagt.
       
       „Der Tod von Walentin Schtermer ist weder ein Zufall noch ein tragischer
       Fehler. Er ist die direkte Folge einer Repressionsmaschine, die die
       belarussische Staatsmacht gegen ihr eigenes Volk einsetzt. Gefängnisstrafen
       sind keine Bestrafung für ein Verbrechen, sondern ein Instrument
       politischer Rache“, sagt eine belarussische Journalistin, die anonym
       bleiben möchte.
       
       Sie selbst hat dort ein Jahr in Haft gesessen und lebt jetzt im Exil.
       „Jeder, der heute zu all dem schweigt oder so tut, als ob nichts
       dergleichen passiert, wird zu einem Mittäter dieses Systems.“
       
       23 May 2025
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Oertel
       
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