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       # taz.de -- Die Wahrheit: Versöhn- statt Spaltpils
       
       > Politikfreie Zone: Immer mehr Gaststätten verbieten den garstigen
       > gesellschaftlichen Streit beim Bier über brandheiße Themen unserer Zeit.
       
   IMG Bild: Thorwald Szymczyk, Wirt der Gießkanne
       
       Sie breiten sich aus wie Flächenbrände: Kneipen, in denen nicht über
       Politik geredet werden darf. Statt Flunsch und Gezeter herrschen hier
       Frohsinn und Ruhe. Wer die Stimme für oder gegen Trump erhebt, fliegt raus.
       Wer über Klingbeil, Chrupalla oder den neuen FDP-Chef herzieht, kriegt
       Lokalverbot. Kommt die Gastronomie so aus der Krise?
       
       „Ja, weil an den politischen Disputen der letzten Zeit viele
       Kneipenfreundschaften zerbrechen, selbst alte Liebesbeziehungen und
       Stammtische“, erklärt Thorwald Szymczyk, Wirt der Gießkanne in Bad
       Oldesloe. „Nach Donald Trumps Wiederwahl und dem Ende der Ampel hatte ich
       einen Umsatzrückgang von 70 Prozent, bei Schnäpsen von 90.“ Der Kneipier
       geht für ein paar Tage in einen inneren Retreat, fragt sich bei
       vorgestellten Dampfbädern und eingebildeten Lotusmassagen, was seine
       Klientel eigentlich erwartet: „Die meisten Leute wollen einfach ein gutes
       Gespräch und ein paar stimulierende Getränke. Manche wollen sich auch über
       die Deutsche Bahn aufregen oder morgen ihrem Chef 'jetzt mal wirklich’ auf
       den Schreibtisch kacken, alles kein Problem.“
       
       „Aber“, sinniert der Gastronom, „das ist harmlos gegen die Kernschmelze,
       die ein Streit über den Krieg in der Ukraine oder die Situation in Gaza
       auslöst. Da bleibt zwischenmenschlich nur verbrannte, radioaktiv
       kontaminierte Erde!“ Szymczyk hängt anderntags eine hölzerne Tafel auf.
       Ihre Inschrift „Politisch Lied – garstig Lied! (Goethe)“. Anschließend
       bläut er jedem Gast seine neue Doktrin ein: Solange ihr eure Füße unter
       meine Tische stellt, wird nicht über Politik geredet. Punkt!
       
       ## Explosionen an der Theke
       
       Es werden unruhige Tage. Etliche Kneipenbesucher klagen über Zensur „wie im
       Dritten Reich“, andere maulen über „Cancel Culture“ und kündigen einen Gang
       vors Bundesverfassungsgericht an. Die dritten explodieren oder brüllen
       weiter, weil sie sich an der Theke in Sicherheit wähnen. Szymczyk setzt sie
       allesamt ins Unrecht – und an die frische Luft.
       
       Viele Stammgäste sind freilich mit dem Stillhalteabkommen einverstanden,
       das wiederum lockt neue Gäste an. Die Botschaft von der freundlichen Pinte,
       in der der spalterische Zeitgeist zu schweigen hat, spricht sich herum.
       Prompt wird die Gießkanne zum Auffangbecken für die Massen, die die
       Schnauze voll haben von Gender, Musk und Israel. Etliche Gaststätten
       folgen, das Kneipensterben scheint gebannt.
       
       „Wozu über Politik reden“, resümiert der neue Stammgast Peter Bongartz.
       „Die da oben machen ja eh, was sie wollen.“ Er fängt sich von Szymczyk eine
       Ohrfeige. Der Wirt lässt Gnade vor Recht ergehen, da Bongartz eine
       Lokalrunde schmeißt.
       
       Konsequent greift der Gastronom allerdings durch, als später am Abend eine
       Gruppe von Halbwüchsigen an seinen Getränkepreisen rummäkelt.
       „Wirtschaftspolitische Hetze“, befindet Thorwald Szymczyk hämisch, während
       die Radikalinskis von der alarmierten Polizei abgeholt werden. „Hier gilt
       sowieso nur eines: In meiner Kneipe bin ich das Gesetz.“
       
       30 May 2025
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Mark-Stefan Tietze
       
       ## TAGS
       
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