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       # taz.de -- Klima-Urteil des OLG Hamm: RWE ist weltweit mitverantwortlich
       
       > Ein peruanischer Bergbauer klagt gegen den deutschen Energiekonzern und
       > erreicht ein spektakuläres Urteil. Ihm persönlich nützt es jedoch nichts.
       
   IMG Bild: War – anders als im März – nicht nach Hamm gekommen: Kläger Saul Luciano Lliuya, hier am 27. Mai in Peru
       
       Hamm taz | Große CO₂-Emittenten müssen weltweit für Schutzmaßnahmen gegen
       den Klimawandel bezahlen. Das entschied das Oberlandesgericht (OLG) Hamm an
       diesem Mittwoch in einem spektakulären Fall. Der Kläger, [1][der
       peruanische Bergbauer Saúl Luciano Lliuya], geht allerdings leer aus. Sein
       Haus sei durch den Klimawandel kaum gefährdet.
       
       Saúl Luciano Lliuya hatte mit Unterstützung der deutschen NGO Germanwatch
       bereits 2015 Klage gegen den Energiekonzern RWE erhoben, der einer der
       weltgrößten CO₂-Emittenten ist. Er sah [2][sein Haus in Huaraz unterhalb
       eines peruanischen Gletschersees durch eine Flutwelle bedroht], falls die
       Gletscher im Zuge des Klimawandels weiter schmelzen und sich große
       Felsblöcke lösen. Seine Forderung: RWE solle 0,47 Prozent der Kosten von
       Schutzmaßnahmen für das Haus bezahlen, entsprechend dem Anteil von RWE an
       den globalen CO₂-Emissionen.
       
       Das Landgericht Essen hatte die Klage 2016 aus rechtlichen Gründen ohne
       Beweisaufnahme abgelehnt. Der Klimawandel werde durch so viele verschiedene
       Emittenten verursacht, dass eine Zuordnung der Flutgefahr zu RWE nicht
       möglich sei.
       
       Dies sah das OLG Hamm aber anders. 2017 erklärte es die Klage für schlüssig
       und öffnete die Beweisaufnahme; ein erster Paukenschlag. In der
       Zwischenzeit gab das Gericht zwei Gutachten in Auftrag und führte 2022
       einen Ortstermin in den peruanischen Anden durch.
       
       ## Urteil nach acht Jahren
       
       Nach Abschluss der achtjährigen Beweisaufnahme stellte der Vorsitzende
       Richter Rolf Meyer jetzt fest, dass Saúl Luciano Lliuya keinen Anspruch
       gegen RWE hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass [3][sein Haus in den nächsten
       30 Jahren von einer klimabedingten Flutwelle aus dem Gletschersee erfasst
       wird, liege unter einem Prozent.] Und selbst wenn es zu einer solchen
       Flutwelle komme, wäre diese nur rund 20 Zentimeter hoch und stelle keine
       Gefahr für die Bausicherheit des Hauses dar.
       
       Dieses Ergebnis war nach der mündlichen Verhandlung im März bereits
       erwartet worden. Ein Befangenheitsantrag von Lliuyas Anwältin Roda Verheyen
       gegen einen Gutachter scheiterte. Richter Meyer betonte am Mittwoch, der
       Statik-Experte Rolf Katzenbach sei eine „Koryphäe“.
       
       Das Gericht hielt jedoch an seiner Einschätzung fest, dass derartige Klagen
       grundsätzlich erfolgreich sein können. Ein Eigentümer könne sich gegen
       Störungen wehren und Unterlassung verlangen. Das Gericht stützte sich dabei
       auf Paragraf 1004 des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB).
       
       „Wir haben uns nichts Neues ausgedacht“, betonte Richter Meyer, man stütze
       sich auf die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH). „Unser
       Urteil beinhaltet keine Rechtsfortbildung“. Es sei allgemein anerkannt,
       dass auch eine Gefährdung des Eigentums eine Störung sein kann. Der
       Eigentümer habe gegen den Störer nicht nur einen Anspruch auf Nichtstun,
       sondern auch auf Schutzmaßnahmen oder deren Bezahlung.
       
       Auch ein Eigentümer in Peru könne gegen einen Störer (hier RWE) in
       Deutschland klagen. „Im Gesetz steht nichts von ‚Nachbarschaft‘“,
       erläuterte Richter Meyer. Auch eine direkte Beziehung zwischen Eigentümer
       und Störer sei nicht erforderlich.
       
       ## Autofahrer sind nicht betroffen
       
       Es komme auch nicht darauf an, ob sich RWE rechtmäßig oder rechtswidrig
       verhalten hat. „Rauchen auf dem Balkon ist erlaubt, aber wenn das die
       Familie im Stockwerk darüber erheblich stört, ist es unzulässig“, erklärte
       Richter Meyer unter Verweis auf ein BGH-Urteil von 2015. „Entscheidend ist
       bei Paragraf 1004 das Erfolgsunrecht, nicht das Handlungsunrecht“, so
       Meyer.
       
       Auch die Kausalität zwischen den Emissionen von RWE und der Gefahr für
       Häuser in Huaraz sah das OLG gegeben. „Je mehr CO₂ ausgestoßen wird, desto
       mehr Wasser ist in der Lagune umso größer die Gefahr einer Flutwelle.“
       Dieser Zusammenhang zwischen CO₂-Emissionen und schmelzenden Gletschern sei
       in Deutschland schon seit 1971 „vorhersehbar“, betonte Richter Meyer und
       verwies auf eine Physiker-Tagung, die bereits damals vor dem
       Treibhauseffekt gewarnt habe.
       
       Der Anteil von RWE an den bisherigen industriellen CO₂-Emissionen, der
       inzwischen von 0,47 auf 0,38 Prozent korrigiert wurde, sei „erheblich“
       genug, um eine Kausalität anzunehmen. Es bestehe aber keine Gefahr, dass
       nun jeder Autofahrer mit Paragraf 1004 verklagt werden kann, beruhigte
       Richter Meyer. Der CO2-Austoß von RWE und der eines normalen Bürgers stehe
       im Verhältnis von eins zu 0,000000028, „sieben Nullen hinter dem Komma“,
       half Meyer beim Mitschreiben.
       
       Das OLG-Urteil führe auch nicht zu einem Wettbewerbsnachteil Deutschlands,
       betonte Richter Meyer. [4][Auch in anderen Staaten gebe es entsprechende
       Klagen]. Er räumte aber ein, dass solche Klagen nur in Staaten mit einem
       funktionierenden Rechtsstaat möglich sind. „Aber ein funktionierender
       Rechtsstaat ist ja auch ein Standortvorteil.“
       
       ## Anwältin Verheyen: „Ein Meilenstein“
       
       Das Urteil ist nun rechtskräftig. Das OLG hatte keine Revision zugelassen.
       Und da der Streitwert unter 20.000 Euro liegt, ist auch keine
       Nichtzulassungsbeschwerde möglich. Vermutlich hätte Germanwatch aber trotz
       der Niederlage im Einzelfall kein Interesse an einer Revision gehabt, denn
       mit den grundsätzlichen Ausführungen des OLGs ist man ja zufrieden und
       hätte eher eine Änderung durch den BGH fürchten müssen.
       
       Richter Meyer sagte zum Schluss der Verkündung, er rechne nicht damit, dass
       es in Deutschland zu seinen Lebzeiten noch einmal einen derartigen Prozess
       geben werde, angesichts von Gerichts- und Verfahrenskosten in Höhe von über
       800.000 Euro.
       
       Der Kläger war – anders als im März – nicht nach Hamm gekommen. In einer
       kleinen Video-Pressekonferenz nach dem Urteil zeigte er sich aber nicht
       betrübt. „Es ging mir nie um mich“, sagte er. Geradezu euphorisch zeigte
       sich Anwältin Roda Verheyen, die das Urteil „sensationell“ nannte. „Ich
       habe während der Urteilsverkündung geweint“, sagte sie, das Gericht habe
       alle Argumente von RWE zurückgewiesen und sei ihrer Argumentation gefolgt.
       „Dieses Urteil ist ein Meilenstein, der weltweit Wirkung haben wird“,
       betonte Verheyen. Sie habe schon Anfragen für neue Klagen aus Huaraz, Nepal
       und Indien erhalten. Die Großemittenten müssten nun Rückstellungen in ihren
       Bilanzen bilden.
       
       RWE erklärte, den Prozess gewonnen zu haben. Es sei „den NGOs auch in der
       zweiten Instanz nicht gelungen, einen Präzedenzfall zu schaffen“. Eine
       Haftung des Konzerns sei auch nicht gerechtfertigt, weil er sich immer an
       gesetzliche Vorgaben gehalten habe. RWE warnte vor unabsehbaren Folgen für
       den Industriestandort Deutschland, wenn „gegen jedes deutsche Unternehmen
       Ansprüche aus Klimafolgeschäden irgendwo auf der Welt geltend gemacht
       werden könnten.“
       
       28 May 2025
       
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