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       # taz.de -- Wieder im Kino: Höfliches Duell
       
       > Hitchcocks „The Man Who Knew Too Much“ läuft im witzigeren Original, die
       > Kulinarik in „À la carte“ reicht von kunstvollen Pasteten bis
       > Allgemeinwohl.
       
   IMG Bild: Wenn's dem Herzog nicht schmeckt, gibt's Probleme in Éric Besnards „À la carte! – Freiheit geht durch den Magen“ (2021)
       
       Wie ein zum Markenzeichen gewordenes Konzept plötzlich schief gehen kann,
       zeigt Paolo Sorrentinos jüngster Film „Parthenope“. Ähnlich wie in dem
       wirklich tollen „La Grande Bellezza“, in dem sich ein Gesellschaftsreporter
       durch das fantastisch fotografierte Rom treiben lässt, begegnet in
       „Parthenope“ einer gleichnamigen Anthropologin ein Querschnitt der
       Gesellschaft von Neapel – sie trifft auf Reiche und Arme, die Mafia und die
       Kirche. Doch hier vermitteln sich keine Einblicke, alles ist nur
       Oberfläche: Hübsche Menschen stehen in hübschen Kulissen und haben nichts
       zu tun – fast wie in einer Selbstparodie.
       
       Warum erzähle ich das überhaupt an dieser Stelle? Natürlich, um auf einen
       besseren Film überzuleiten: In „Youth“ („Ewige Jugend, 2015) schickt
       Sorrentino zwei alte Freunde, einen sich schon halb im Ruhestand
       befindlichen Komponisten und Dirigenten (Michael Caine) und einen noch
       immer sehr aktiven Filmregisseur (Harvey Keitel), in ein Hotel-Sanatorium
       in der Schweiz.
       
       Dort philosophieren sie dann über das Pinkeln, ihre Erinnerungen und das
       Älterwerden und sehen sich in einer Vielzahl tragikomischer Begegnungen mit
       der Realität, den eigenen Unzulänglichkeiten sowie den Trug- und
       Traumbildern von Jugend konfrontiert. Das gibt durchaus Anlass zum
       Nachdenken und ist zugleich – dank der Kamera von Luca Bigazzi – eine
       ästhetische Freude („Youth“, 2. Juni, 22.15 Uhr, [1][Babylon Mitte]; Wer es
       mit „Parthenope“ trotzdem probieren will: 29. Mai, 18.30 Uhr, 30. Mai bis
       3. Juni, 18.45 Uhr, [2][Central]).
       
       „The Man Who Knew Too Much“ nimmt im Werk von Alfred Hitchcock eine
       Sonderrolle ein, denn den ursprünglich 1934 in England entstandenen Krimi
       konnte der Regisseur in den 1950er Jahren mit James Stewart und der „Que
       sera, sera“ singenden Doris Day noch einmal neu auflegen. Heute ist das die
       ungleich bekanntere Version der Geschichte um ein Ehepaar, das zufällig von
       dem geplanten Attentat auf einen Staatsmann erfährt und von den beteiligten
       Agenten dadurch zum Schweigen gebracht werden soll, indem man ihr Kind
       kidnappt.
       
       Im [3][Filmkunst 66] gibt es in der Reihe „Frühe Meister der Filmkunst“
       jetzt allerdings die weitaus seltener gespielte britische Version zu sehen:
       Zwar ist die Story de facto dieselbe, doch der Eindruck ist völlig anders.
       Denn der britische Film hat mehr Tempo, ist weitaus witziger und verzichtet
       auf die im Remake unangenehm wirkende amerikanische Überheblichkeit des
       Vaters (Stewart). Stattdessen finden sich der Vater des Kindes (Leslie
       Banks) und der Anführer der Agenten (Peter Lorre) hier in einer
       intellektuellen Duellsituation wieder, die stets von britischer Höflichkeit
       geprägt ist (1. Juni, 20.30 Uhr).
       
       ## Demokratisierung des guten Geschmacks
       
       Zwei Hände kneten einen Teig, sorgsam entsteht daraus ein kleines Kunstwerk
       von Pastete. Bereits die ersten Bilder von „À la carte – Freiheit geht
       durch den Magen“ (R: Eric Besnard) machen deutlich, dass dieser Koch sich
       als Künstler versteht. Doch wie die meisten Künstler ist auch Pierre
       Manceron, der Koch des Herzogs von Chamfort, Ende des 18. Jahrhunderts von
       seinem Gönner abhängig.
       
       Die neue Pastete fällt durch, der sture Koch wird gefeuert und findet sich
       alsbald gemeinsam mit seinem Sohn in der verfallenen elterlichen
       Poststation wieder, wo wenig später noch Louise aufkreuzt, eine angebliche
       Marmeladenköchin, die bei Manceron unbedingt das richtige Kochen lernen
       will.
       
       „À la carte“ ist genau jene Art von Wohlfühlkino, auf das sich die
       Franzosen prima verstehen: Man sieht gute Schauspieler:innen in
       sympathischen Rollen, und jede Einstellung leuchtet, als hätte Rembrandt
       persönlich das Licht gesetzt. Sieht gut aus, ist angenehm zu schauen und
       hat einen ungefähren dramatischen Gehalt wie das Sandmännchen. Aber dass
       Manceron und Louise am Ende einfach ein Restaurant eröffnen, in dem jeder
       zahlende Gast etwas Ordentliches zu essen bekommt, ist im Sinne der
       Demokratisierung des guten Geschmacks eine sympathische Sache(4. Juni, 20
       Uhr, Capitol Dahlem).
       
       29 May 2025
       
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