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       # taz.de -- Nach Anschlag in Oldenburg: Synagogen-Brandstifter muss in die Psychiatrie
       
       > Tim R. hat einen Brandanschlag verübt, weil er die Juden vor der ewigen
       > Verdammnis warnen wollte. Das Landgericht urteilt, er habe im Wahn
       > gehandelt.
       
   IMG Bild: Mahnwache nach dem Anschlag auf die Oldenburger Synagoge im April 2024: An der Fassade sind Brandspuren zu sehen
       
       Oldenburg taz | Nach einem massiven Ermittlungseinsatz der Polizei und
       neunmonatiger Fahndung dauerte der Prozess um den Brandanschlag auf die
       Oldenburger Synagoge vom April letzten Jahres nur zwei Verhandlungstage.
       Das Gericht ordnete die weitere Unterbringung des Beschuldigten Tim R. in
       einem psychiatrischen Krankenhaus an. Das verkündete der Vorsitzende
       Richter der 3. Strafkammer am Landgericht Oldenburg diesen Montag in seinem
       Urteil. Es ist noch nicht rechtskräftig, R. kann innerhalb einer Woche
       Revision einlegen.
       
       Da es sich aufgrund von R.s paranoider Schizophrenie und der damit
       einhergehenden Schuldunfähigkeit um ein Sicherungsverfahren und kein
       Strafverfahren handelte, war eine Gefängnisstrafe schon im Vorfeld
       ausgeschlossen.
       
       Wie lange R. in der psychiatrischen Einrichtung bleiben muss, entscheiden
       jetzt die Ärzte. Sie werden regelmäßig seinen Zustand überprüfen. Erstmalig
       geschehe das in der Regel nach drei Jahren, anschließend jährlich, erklärte
       ein Gerichtssprecher. Sollte R.s Zustand sich nicht bessern, kann die
       Unterbringung lebenslänglich dauern.
       
       Während der Urteilsverkündung sitzt R. ruhig neben seinem Verteidiger und
       hört aufmerksam zu. R. hatte die Tat schon bei seiner Festnahme gestanden
       und auch vor Gericht eingeräumt. Der Vorsitzende Richter äußert in seinem
       Urteil keinen Zweifel an R.s Schilderungen.
       
       ## Stimmen im Kopf
       
       Dieser [1][hatte am ersten Verhandlungstag erklärt, in einem „religiösen
       Wahn“ gehandelt] zu haben. Da Juden nicht Jesus Christus anbeten, sei ihnen
       das ewige Leben nach dem Tod verwehrt. Deshalb habe R. sie bekehren und mit
       dem Molotow-Cocktail „warnen“ wollen. Er sei von Stimmen in seinem Kopf
       dazu gedrängt worden und es sei nicht seine Absicht gewesen, irgendwen zu
       verletzen. Er entschuldigte sich bei der Vorsitzenden der jüdischen
       Gemeinde Claire Shaub-Moore.
       
       Es gehe in dem Prozess nicht um Schuldzuweisungen, erklärt der Vorsitzende
       Richter. R. fehle wegen seiner psychischen Erkrankung die Fähigkeit, seine
       Handlungen zu steuern. Das sei in diesem Verfahren durch den
       psychiatrischen Gutachter zweifelsfrei bewiesen worden, was nicht oft
       vorkomme. Der Richter betont in seinem Urteil aber, dass die Tat vor allem
       eins war: ein Anschlag gegen Juden.
       
       Er erinnert daran, dass die Nazis die alte Synagoge in der Peterstraße 1938
       niederbrannten. Die Tat habe bei ihm auch Assoziationen zu anderen
       Anschlägen auf Synagogen, aber auch Moscheen und Asylbewerberheime geweckt.
       „Die Angst wird beträchtlich gewesen sein“, sagt der Richter im Hinblick
       auf die Auswirkungen des Anschlags auf die jüdische Gemeinde, auch vor dem
       Hintergrund des Terrorangriffs auf Israel am 7. Oktober 2023.
       
       Auch wenn R. sich entschuldigt hat und die Tat bereut, sieht der Richter
       eine anti-jüdische Einstellung bei ihm: „Davon haben Sie sich nicht
       vollständig gelöst.“
       
       Strafrechtlich aufgefallen ist R. noch nicht. Er wurde aber schon mehrmals
       wegen Eigen- oder Fremdgefährdung in die Psychiatrie eingewiesen.
       Psychotische Zustände wie während des Anschlags seien schon öfter
       aufgetreten. Deshalb schließt das Gericht andere Maßnahmen oder
       Bewährungsauflagen aus. Von R. gehe weiter ein Risiko aus, selbst wenn er
       im Moment „einen guten Eindruck“ mache: „Wir wollen den Zustand, wie er
       jetzt ist, sichern, langfristig“, sagt der Richter.
       
       Das psychiatrische Gutachten sowie die Schlussplädoyers waren zuvor unter
       Ausschluss der Öffentlichkeit vorgetragen worden. Der Richter hatte einem
       entsprechenden Antrag der Verteidigung stattgegeben, weil das Interesse der
       Öffentlichkeit hinter dem schutzwürdigen Interesse des Beschuldigten
       zurückstehen müsse.
       
       Was genau mit R.s wirren Ausführungen gegenüber einem Polizeibeamten zum
       ehemaligen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), EU-Kommissionspräsidentin
       Ursula von der Leyen (CDU) und dem Bundesnachrichtendienst (BND) oder R.s
       Liste mit „Zeugen zu verschiedenen Themen“ auf sich hat, blieb so –
       zumindest öffentlich – unbehandelt. Wie er zu seinen judenfeindlichen
       Ansichten kam, wurde im Prozess ebenfalls nicht untersucht.
       
       Das Oldenburger „Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus“ lobt zwar
       das klare Urteil, kritisiert jedoch, dass die Staatsanwaltschaft [2][kaum
       tiefer gehende Nachfragen zum politischen Charakter der Tat] gestellt habe.
       Denn R.s „religiöser Wahn“ zeige klare Bezüge zu einer jahrhundertealten
       Tradition christlicher Judenfeindschaft. „Die Vorstellung, die Juden
       müssten zum Christentum bekehrt werden, stellt einen ihrer Ausgangspunkte
       dar“, kritisiert das Bündnis.
       
       Diese antijüdischen Vorstellungen wirkten bis in die Gegenwart fort. „Wir
       kritisieren, dass dies nicht umfassender beleuchtet wurde und ebenfalls,
       dass keine sachverständige Person zu Antisemitismus vorgeladen war“, heißt
       es in einer Stellungnahme. „Für eine umfassende Aufklärung der Tat hätte
       eine antisemitische Motivation, die durch eine [3][psychische Erkrankung]
       keineswegs ausgeschlossen ist, anerkannt und ernst genommen werden müssen.“
       
       16 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Aljoscha Hoepfner
       
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