# taz.de -- Deutsche Verbrechen an Polen vor 1945: Ein Findling gegen das Vergessen
> Der neue Gedenkort zur Erinnerung deutscher Verbrechen an Polen wurde
> neben dem Kanzleramt eingeweiht. Er soll nur ein fünfjähriges Provisorium
> sein.
IMG Bild: Einweihung des Denkmals zur Erinnerung an die polnischen Opfer des Zweiten Weltkriegs am Montag in Berlin
Berlin taz | Da steht der 30 Tonnen schwere Findling vis-à-vis dem
Bundeskanzleramt, daneben ein Apfelbaum, zusammen als Gedenkort erinnernd
an die Verbrechen von Deutschen an Polen während des Zweiten Weltkriegs.
„Den polnischen Opfern des Nationalsozialismus und den Opfern der deutschen
Gewaltherrschaft in Polen 1939–1945“ steht auf einer Metallplatte vor dem
Findling geschrieben, den man aus Mecklenburg nach Berlin gebracht hat. Am
Montag wurde der Gedenkort eingeweiht.
Der Standort ist nicht zufällig gewählt. Dort, wo heute grüner Rasen
wächst, stand einmal die Kroll-Oper, die nach dem Brand des Reichstags 1933
als Ersatzort für das Parlament diente, dem bald nur noch treue
Hitler-Anhänger angehörten. Hier verkündete der Diktator am 1. September
1939 den Beginn des deutschen Überfalls auf Polen, verkleidet in der Lüge,
„seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen“. Nicht einmal die Uhrzeit
stimmte. „Es ist der Ort, an dem Worte zu Waffen wurden“, sagte
Kulturstaatsminister Wolfram Weimer am Montag dazu.
Zur Einweihung dieses Gedenkorts sind viele Menschen erschienen, denen es
an einer Aussöhnung mit den polnischen Nachbarn liegt, darunter ehemalige
und heutige Minister, Diplomaten und Politiker, aber nur wenige ganz
normale Bürger. Aus Warschau ist unter anderem die Ministerin für Kultur
und Nationales Erbe, Hanna Wróblewska, angereist.
Man sollte meinen, die Versammelten seien an diesem Vormittag nun glücklich
und zufrieden mit dem Findling und der Aufschrift davor. Aber was sagt
Peter Oliver Loew vom Deutschen Polen-Institut, das das Denkmal
verantwortet? Der gewaltige Stein solle „so schnell wie möglich wieder
weg.“ Der ehemalige Außenminister Heiko Maas (SPD) stimmt ihm zu. Was
erklärt Uwe Neumärker, Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten
Juden Europas? Für fünf Jahre habe man den Platz im Park neben dem
Kanzleramt für das Denkmal gesichert. Ihm wäre es recht, wenn der Gedenkort
danach verschwunden wäre. Dafür würde man hart arbeiten.
## Seit Jahren Forderungen nach zentraler Gedenkstätte
Tatsächlich fungiert der Findling nicht nur als Gedenkort und als ein
„Zeichen für eine starke Gemeinschaft zwischen Polen und Deutschen“, wie es
die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth formulierte. Der Stein
mahnt zugleich, dass Deutschland endlich eine größere und dauerhafte
Einrichtung realisiert: einen Erinnerungsort für Polen, bestehend aus einem
Denkmal, einer Ausstellung zur Geschichte und einem Lern- und
Begegnungsort.
Seit acht Jahren wird über solch eine zentrale Gedenkstätte diskutiert,
angestoßen von der Zivilgesellschaft, vorangetrieben von Initiatoren wie
Rita Süssmuth (CDU), Wolfgang Thierse (SPD) und dem Berliner Rabbiner
Andreas Nachama.
Ursprünglich hatte der Holocaust-Überlebende und ehemalige polnische
Außenminister Władysław Bartoszewski die Anregung dazu gegeben. Ende 2020
unterstützte der Bundestag schließlich ein solches Konzept mit den Stimmen
aller Parteien außer der AfD. Nun muss der neue Bundestag das Vorhaben
konkretisieren, und die Initiatoren befürchten bereits jetzt eine weitere
Verschleppung.
Dennoch: „Der Anfang ist endlich gemacht“, sprach Süssmuth bei der
Einweihung. „80 Jahre zu spät stehen wir hier. Aber besser als nie“, sagte
Andreas Nachama. Heiko Maas beklagte, dass vielen Deutschen das Ausmaß der
von Deutschen begangenen Verbrechen bis heute unbekannt geblieben sei.
„Dieser Gedenkort ist notwendig“, betonte Maas. „Er soll den Menschen in
Polen signalisieren: Wir kennen unsere Schuld. Wir stehen zu unserer
Verantwortung.“
16 Jun 2025
## AUTOREN
DIR Klaus Hillenbrand
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