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       # taz.de -- Untersuchung in Großbritannien: 800 Fälle sexueller Ausbeutung
       
       > „Groomings Gangs“ sind ein emotionales Streitthema in Großbritannien.
       > Jetzt werden Vergewaltigungen durch pakistanischstämmige Gangs
       > aufgearbeitet.
       
   IMG Bild: Die britische Labour-Innenministerin Yvette Cooper gab am 16. Juni vor dem Unterhaus ihre Erklärung zur Grooming-Untersuchung ab
       
       London taz | Großbritanniens Regierung setzt eine Untersuchungskommission
       zum heiß umstrittenen Thema sogenannter „Grooming Gangs“ ein. Diese
       Konsequenz zog die Labour-Regierung jetzt aus einer [1][Überprüfung durch
       Baronin Louise Casey], eine der schärfsten Prüferinnen staatlicher Abläufe,
       Entscheidungen und Prozesse, zum bisherigen Umgang staatlicher Behörden mit
       der organisierten sexuellen Ausbeutung und Misshandlung von Kindern.
       
       Mit „Grooming Gangs“ sind Gruppen von Männern gemeint, die verletzliche und
       gefährdete Mädchen zumeist im Alter von 10 bis 15 Jahren erst
       „befreundeten“, um sie später wiederholt sexuell zu missbrauchen und, mit
       Alkohol und Drogen abgefüllt, zur Vergewaltigung weiterzugeben.
       
       Dieses Phänomen ist zumeist in nordenglischen Industriestädten
       aufgetaucht, die Opfer waren zumeist weiße englische Mädchen und die
       Gang-Mitglieder überdurchschnittlich oft Männer mit einem
       pakistanisch-muslimischen Migrationshintergrund. Deswegen wird das gerne
       von rechtsextremen Aktivisten wie Tommy Robinson aufgegriffen und das Thema
       ist über die Maßen politisiert.
       
       Bei der neuen nationalen Untersuchung wird es nicht nur um die Tatumstände
       gehen, sondern auch um das Versagen einer Unzahl von Behörden:
       Sozialdienste, Polizei, Jugendämter, kommunale und staatliche
       Regierungsverantwortliche, religiöse und andere Einrichtungen zum Schutz
       von Kindern. Denn zahlreiche Opfer waren Kinder aus zerrütteten Familien in
       Pflege oder mit psychischen Problemen.
       
       ## Aus Angst vor Rassismusvorwürfen untätig
       
       Die meisten Gemeinden, in denen die Taten geschahen, sind
       Labour-Hochburgen. Casey wiederholte die bekannte Tatsache, dass
       behördliche Verantwortliche teils aus Angst vor der Anschuldigung,
       rassistisch zu wirken, nicht eingriffen. „Zu diesem kollektiven Versagen
       führte Blindheit, Ignoranz, Vorurteil, Abwehrverhalten, selbst gute aber
       fehlgeleitete Absichten“, schreibt Casey in ihrem Bericht.
       
       Caseys Überprüfung folgt auf eine siebenjährige [2][Untersuchung durch die
       Professorin Alexis Jay], die 2022 veröffentlicht wurde. „Child Grooming“
       war eines der untersuchten Delikte. Die Aufgabe, ihre Empfehlungen
       umzusetzen, fiel letztendlich auf die 2024 gewählte Labour-Regierung.
       Zunächst hatte Premierminister Keir Starmer eine nationale
       Untersuchungskommission zum Thema, wie sie von britischen Rechten nach den
       Sommerunruhen 2024 gefordert worden war, abgelehnt. Stattdessen hatte er
       Casey mit einer Prüfung der behördlichen Sachlage beauftragt.
       
       Casey hatte bereits vor über einem Jahrzehnt eine Untersuchung zu
       [3][„Grooming Gangs“ im nordenglischen Rotherham] geleitet, einer der
       ersten Orte, wo das Thema durch Medienenthüllungen Schlagzeilen machte. In
       ihrem jetzigen Bericht spricht sie von ihrer Frustration, wie wenig sich
       seitdem geändert hat, obwohl es mehrere Verurteilungen von Tätern gegeben
       hat.
       
       Innenministerin Yvette Cooper [4][akzeptierte jetzt alle zwölf Empfehlungen
       Caseys]. So sind Studien über kulturelle und soziale Faktoren, die
       Sexualverbrechen und Frauenhass mitbeeinflussen, geplant. Alle Ermittlungen
       über aktuelle und vergangene Vorfälle sexueller Ausbeutung von Kindern
       sollen von der obersten Polizeibehörde National Crime Agency geleitet
       werden, nicht örtliche Polizeieinheiten.
       
       Dokumentiert sind inzwischen an die 800 Fälle sexueller Ausbeutung durch
       „Grooming Gangs“. Casey gab an, dass bis zu eine halbe Million Kinder in
       Großbritannien jedes Jahr sexuell misshandelt werden, die meisten
       unerkannt. Binnen der letzten zwölf Monate wurden 100.000 Fälle des
       Kindermissbrauchs offiziell aufgenommen, dazu gehört auch die Ausnutzung
       Minderjähriger etwa zur Lieferung von Drogen.
       
       Innenministerin Cooper hat angekündigt, auch das Asylrecht weiter zu
       ändern. Wer Sexualdelikte begangen hat, soll in Zukunft kein Bleiberecht
       mehr erhalten.
       
       18 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.gov.uk/government/speeches/baroness-caseys-audit-of-group-based-child-sexual-exploitation-and-abuse
   DIR [2] https://www.iicsa.org.uk/reports-recommendations/publications/inquiry/final-report.html
   DIR [3] https://en.wikipedia.org/wiki/Rotherham_child_sexual_exploitation_scandal
   DIR [4] https://www.localgovernmentlawyer.co.uk/child-protection/392-children-protection-news/61286-government-accepts-all-12-recommendations-in-damming-report-from-baroness-casey-on-group-based-child-sexual-exploitation-and-abuse
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
       
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