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       # taz.de -- Film „Loyal Friend“: Eine Konfrontation mit sich selbst
       
       > Eine Autorin findet durch einen Hund zu sich selbst: Der Spielfilm „Loyal
       > Friend“ von Scott McGehee und David Siegel erzählt lakonisch über
       > Verlust.
       
   IMG Bild: Zieh' Leine: Apollo beim Shopping mit Frauchen
       
       Die besondere Beziehung zwischen Haustier und Mensch in einem Film
       darzustellen, ist nicht leicht. Das hat die Kinogeschichte immer wieder
       bewiesen – mit Beiträgen, die sich damit zufriedengeben, die sentimentale
       Klaviatur von Tierliebe zu bespielen und dem Publikum dabei allzu
       bereitwillig auf die Tränendrüse zu drücken.
       
       Wenn es um Hunde geht, scheint die Versuchung besonders groß zu sein, sich
       in Plattitüden um die Treuherzigkeit der Vierbeiner zu ergehen, die
       Reinheit ihrer Liebe zu beschwören, oder sie im formvollendeten
       Pfoten-Pathos direkt zu den besseren Menschen zu stilisieren.
       
       Bedauerlich vor allem deswegen, weil solche wohlfeile Emotionalität meist
       verhindert, etwas wirklich Wahres – und damit Relevantes – über die
       Beziehung zwischen Haustier und Halter, oder gar über den Menschen selbst,
       zu ergründen. Dass [1][Scott McGehee und David Siegel] mit „Loyal Friend“
       genau das schaffen, ist das größte Verdienst ihres Filmes.
       
       ## Ohne Kitsch
       
       Auch wenn der deutsche Titel des Werks das Gegenteil vermuten ließe,
       umschifft das US-Regieduo gekonnt den gängigen Kitsch von Geschichten, die
       sich um die Begegnung mit Tieren drehen. Ihr Film vermag sogar, sich der
       Komplexität eines Bandes anzunähern, das jenseits von Sprache wirkt.
       
       [2][Wie in der literarischen Vorlage von Sigrid Nunez], deren Roman im
       Original schlicht „The Friend“ heißt, steht eine in New York lebende
       Schriftstellerin im Zentrum des Geschehens. Iris (Naomi Watts), eher
       Katzenmensch, wird ganz unfreiwillig zur Hundehalterin: Ihr bester Freund
       und literarischer Mentor Walter (Bill Murray), deutlich älter als sie, hat
       sich das Leben genommen. Dessen Deutsche Dogge „Apollo“ soll seinem letzten
       Willen nach, so erklärt es ihr seine dritte Ehefrau (Noma Dumezweni), nun
       bei Iris ein neues Zuhause finden.
       
       Begeistert ist Iris von dem Zuwachs nicht: Das beinahe ponygroße Wesen
       passt kaum in ihre Einzimmerwohnung in Manhattan, Haustiere sind dort
       ohnehin verboten. Iris aber nimmt Apollo dennoch bei sich auf, lässt sich
       vom schwarz-weiß-gescheckten Riesen [3][vom Bett auf das Sofa verbannen],
       muss sich auf der Straße witzelnde Kommentare zum geringen
       Größenunterschied zwischen dem Tier und ihr anhören und wiederholt das
       Wirrwarr ordnen, das der Hund zu Hause anrichtet, sobald sie ihn dort
       zurücklässt.
       
       ## Wichtige Stütze
       
       Doch aus der anfänglichen Antipathie – vor allem seitens Apollo – erwächst
       allmähliche Annäherung. Nicht zuletzt aufgrund des gemeinsamen, wenn auch
       unterschiedlich gefühlten und zum Ausdruck gebrachten Schmerzes, der die
       Beiden verbindet: Der Verlust eines Menschen, der wichtige Stütze,
       vielleicht sogar der zentrale Dreh- und Angelpunkt, in ihrer jeweiligen
       Leben war.
       
       Damit bemüht zwar auch „Loyal Friend“ das altbekannte Motiv vom zunächst
       widerstrebenden Tierhalter, der in seinem neuen Gefährten einen engen
       Verbündeten findet. Iris nimmt schließlich sogar den Streit mit ihrer
       Hausverwaltung auf, um Apollo behalten zu dürfen. Dass daraus keine bloße
       „Hund und Herz“-Schmonzette erwächst, verhindert jedoch die
       Erzählperspektive des Filmes.
       
       Scott McGehee und David Siegel richten das Hauptaugenmerk mit Iris nämlich
       konsequent auf eine Protagonistin, die eher eine Seltenheit im Kino
       darstellt. Sie lebt seit geraumer Zeit alleine, selbstgewählt wie es
       scheint – allerdings ohne, dass das Drehbuch ihr Single-Dasein als Mangel
       deutet, der durch eine romantische Wendung im Schlussakt zu beheben wäre.
       
       ## Toter Freund
       
       Stattdessen rückt der Film, neben der Begegnung mit den zahlreichen Frauen
       im Leben ihres toten Freundes, immer wieder Iris’ beruflichen Alltag in den
       Fokus: ob Schreibblockade, Lehrtätigkeit oder mitunter irritierende
       Gespräche mit selbstgefälligen Studenten.
       
       So kurzweilig diese Vignetten meist geraten sind – in „Loyal Friend“ fügen
       sie sich am Ende kaum zu einem schlüssigen Ganzen. Hier zeigen sich
       gleichsam die Grenzen der Adaption, des Ansatzes von Scott McGehee und
       David Siegel: Sigrid Nunez’ Roman, der weniger eine durchgängige Handlung
       erzählt, als er ein essayistisch-literarisch verdichtetes Nachdenken über
       Trauer, Freundschaft und das Schreiben entfaltet, wird über seinen Ton,
       seine Haltung, vor allem aber seine klugen Beobachtungen zum
       Literaturbetrieb zusammengehalten.
       
       Ausgerechnet durch die Entscheidung, den Stoff im Film auf seine
       sentimental zugänglichste Facette – die Mensch-Tier-Beziehung –
       festzulegen, geht der innere Zusammenhang verloren. Nicht nur dieser, auch
       das emotionale Moment – im Buch noch so stark –, verliert an Tiefe und
       Wirkung.
       
       ## Sex mit Studentinnen
       
       Denn was sich dort noch in den kritischen Betrachtungen des schreibenden
       Milieus als übergeordnetes Sujet ineinanderfügt und in einer zutiefst
       menschlichen Topografie der Trauer aufgeht, in der Schmerz, Schuld und
       Sehnsucht nebeneinander existieren, taucht im Film nur noch als abgehobene
       Kulisse auf: Eitelkeiten der Schriftstellerwelt, Walters Status als
       gefeierter Autor, und sein selbstgerechtes Nutzen dieser Position für Sex
       mit Studentinnen – auch Iris gehörte einst dazu.
       
       Jene Ambivalenz, die es braucht, um der Wahrheit nahezukommen, ist Sigrid
       Nunez' Stärke: Ihre Ich-Erzählerin sehnt sich in ihrem Verlust nach dem
       besten Freund, hadert gleichzeitig mit dessen Verfehlungen, seinem
       Machismus, seiner Arroganz – aber auch dem dogmatischen Moralverständnis
       der jüngeren Generation, der sie als Dozentin begegnet. In „Loyal Friend“
       bleibt kein Raum, keine Zeit oder kein Mut sich auf die Mehrdeutigkeit und
       das, was nur auf den ersten Blick als Widerspruch erscheint, einzulassen.
       
       Sigrid Nunez, die bereits seit den 1970ern publiziert, erlebte erst 2018
       mit „The Friend“ ihren internationalen Durchbruch – und nun erfolgt schon
       die zweite Verfilmung eines ihrer Stoffe. Ein Muster zeichnet sich dabei
       bereits ab: [4][Auch Pedro Almodóvars „The Room Next Door“, basierend auf
       Sigrid Nunez'] „What Are You Going Through“, kreist um Tod, Trauer und
       Freundschaft: Eine krebskranke Frau (Tilda Swinton) bereitet sich auf ihren
       Suizid vor, ihre Freundin (Julianne Moore) begleitet sie.
       
       ## Schade um die Vorlage
       
       Doch selbst Almodóvar, der bedeutendste Vertreter des spanischen
       Autorenkinos seit der Franco-Ära, tat sich schwer mit der essayistischen
       Offenheit der Vorlage. Auch seine Verfilmung kondensiert den
       facettenreichen Stoff zur eher konventionellen Erzählung und verliert dabei
       den emotionalen Kern unter dekorativer Künstlerkulisse. Vor dem, was Nunez’
       Schreiben mitunter auszeichnet – ein ironisch-kluger, gleichzeitig aber
       unbestechlich klarer Blick, der stets bereit ist, hinzusehen, auch wenn das
       Bild unbequem ist, schrecken beide Filme letztlich zurück.
       
       Auch „Loyal Friend“ verspielt die Möglichkeit, auf mehreren Ebenen über
       Trauer zu sprechen. Der Film deutet Schmerz nur an, statt ihn in seiner
       Vielschichtigkeit zu zeigen. Damit versperrt er sich selbst die Chance,
       echte Hoffnung zu spenden. Denn Trost kann nur dann spürbar werden, wenn
       zuvor der Verlust ernst genommen wird – mit all seinen inneren
       Widersprüchen, seiner Wut, seiner Ratlosigkeit.
       
       Als besagter „Tierfilm“ überzeugt „Loyal Friend“ dennoch. Zwischen Hund und
       Halterin entsteht eine Dynamik, die nicht von Zärtlichkeit allein, sondern
       auch von stiller Selbstbehauptung geprägt ist. Iris, die lange im Schatten
       ihres verstorbenen Mentors stand – als Vertraute, Lektorin, vielleicht auch
       als still Duldende –, beginnt sich neu zu justieren: Sie weigert sich,
       seine Memoiren zu überarbeiten, sie hört auf zu warten – auf ein Zeichen,
       auf Anerkennung, auf Richtung. Apollo wird dabei zu einem stillen, aber
       bedeutsamen Begleiter dieses inneren Wandels.
       
       „Loyal Friend“ zeigt so, was jede Bindung zu einem Tier – legt man allen
       Pathos bei Seite – letztlich immer bleibt: ein inneres Gespräch, eine
       Konfrontation mit sich selbst. Jene Nähe, die ein Tier schenken kann, wird
       hier nicht verklärt, sondern als Einladung zur Selbstbegegnung verstanden.
       Mit seiner gelungenen Besetzung, dem Verzicht auf übertriebenen Kitsch und
       seinen unterhaltsamen „Slice-of-Life“-Anwandlungen besticht „Loyal Friend“
       also durchaus. Was fehlt, ist lediglich das Andere, das Nicht-Sagbare –
       jenes innere Echo, das große Literatur ebenso hinterlässt wie großes Kino.
       
       17 Jun 2025
       
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