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       # taz.de -- Die Wahrheit: Das Sakrament des Schlafs
       
       > In einer grotesken Welt sind nicht einmal die Erzählfiguren sicher,
       > geschweige denn ihre Köpfe, die aus einer anderen Sphäre stammen könnten.
       
       Bei der Entstehung dieses Textes ist dem Autor ein Fehler unterlaufen. Die
       Köpfe der handelnden Personen sind irrtümlich mit denen zweier
       Protagonisten aus anderen Erzählungen vertauscht worden. Es wird gebeten,
       dies zu berücksichtigen und, wo möglich, zu korrigieren.
       
       „Mich fasziniert die Felsformation Ihres Gesichts“, sagte der Autor am
       Morgen zur Ich-Erzählerin. „Deshalb bin ich nicht hier“, erwiderte die
       Ich-Erzählerin abweisend. Als ob es ein ganz anderer Tag wäre, fragte sie:
       „Könnten wir vielleicht anfangen?“ – „Wie Sie wollen, aber nur noch dies
       eine Mal.“
       
       In eine etwa zwanzig Zentimeter lange und vier Zentimeter breite flache
       Halterung (wie zum Einschieben eines beschrifteten Kartonstreifens) legte
       der Autor etwas ein, das einem Reißverschluss ähnlich sah. Er forderte die
       Ich-Erzählerin auf: „Sprechen Sie jetzt.“ Bei Erregung – ebenso bei Regen –
       sprach die Ich-Erzählerin mit mehreren Stimmen und wechselnder Grammatik,
       doch augenblicklich war sie weder erregt noch regnete es. Deshalb sagte sie
       mit einer einzigen Stimme: „Gestern entdeckte ich beim Frühstück Fußspuren
       auf dem Tisch. Aus der richtigen Perspektive betrachtet, ging die
       Fluchtlinie der rechteckigen Tischplatte exakt in einen breiten Waldweg
       über. Ich folgte den Spuren auf dem Weg und gelangte nach einigen Minuten
       zu einem Fluss. Die Fußabdrücke setzten sich auf der Wasseroberfläche fort
       bis ans gegenüberliegende Ufer. Aus physikalischen Gründen musste ich von
       ihrer weiteren Verfolgung absehen.“
       
       „Haben Sie nicht den Wechsel von der Ersten Person Einzahl in die Dritte
       Person Mehrzahl erwogen?“, unterbrach der Autor. „Sie hatten doch genügend
       Stimmen.“
       
       Die Ich-Erzählerin schüttelte den Kopf (infolge des eingangs genannten
       Fehlers handelte es sich um den Kopf der Schleifen in den Boden sitzenden
       Emelia aus „Sieben Anagramme, um den Mond zu erweichen“) und entgegnete mit
       derselben Stimme wie zuvor: „So redet nur jemand, der nicht dabei war.
       Diese Idee haben Sie wohl mit einem Getränk aufgesogen!“
       
       Der Autor, der, nebenbei bemerkt, den Kopf des Pensionärs Wolfquint aus
       „Gerechtfertigte Dämmerung“ hatte, wollte unnötigen Streit vermeiden und
       überließ der Ich-Erzählerin das Wort. „Wie gesagt“, fuhr sie halb versöhnt
       fort, „aus physikalischen Gründen musste ich von der weiteren Verfolgung
       der Spuren absehen. Ich stand unschlüssig am Ufer und überlegte scharf, was
       zu tun sei. Da rief mir eine meiner Stimmen zu: ‚Keine Angst! Nur zu, der
       Fluss führt Stützwasser!‘“
       
       „Wenn Sie erlauben“, meldete der Autor sich wieder, „ich nehme an, diese
       Stimme gehörte zu den Ablagerungen ganz hinten in Ihrem Bewusstsein,
       wahrscheinlich von Kaufleuten hinterlassen und durchaus fragwürdig. Wie ich
       hörte, stehen Stützwasser-Aktien bei sechs statt bei sechshundert. – Aber
       bitte, berichten Sie weiter!“
       
       Die Ich-Erzählerin legte sich auf den Boden und schlief ein.
       
       19 Jun 2025
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eugen Egner
       
       ## TAGS
       
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