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       # taz.de -- Wohnungsbau in Deutschland: Tempo, Tempo, Tempo
       
       > Die Bundesregierung beschließt den „Wohnungsbau-Turbo“ – schneller und
       > einfacher soll gebaut werden. Doch entstehen so auch bezahlbare
       > Wohnungen?
       
   IMG Bild: Lars Dormeyer, Lars Klingbeil, Verena Hubertz und der Berliner Bausenator Christian Gaebler (alle SPD) am Mittwoch in Berlin-Mitte
       
       Berlin taz | Noch sind nur erste Betonwände hinter Gerüsten zu sehen, über
       denen riesige Baukräne schweben. Hier in Berlin-Mitte, wo vorher mal ein
       Parkplatz mit einigen Bäumen stand, möchte die landeseigene
       Wohnungsbaugesellschaft WBM neu bauen – zwischen einer vielbefahrenen
       Straße und einem bestehenden Häuserriegel.
       
       Nachverdichtung nennt sich das. Unter anderem sollen 102 neue Wohnungen
       entstehen, 40 davon mit Anfangsmieten von 6,90 Euro pro Quadratmeter. Das
       ist kein kleines Versprechen in einer Stadt wie Berlin. In den 14 größten
       Städten [1][sind die Angebotsmieten seit 2015 trotz Mietpreisbremse um 50
       Prozent gestiegen] – das hat die linke [2][Bundestagsabgeordnete Caren Lay]
       von der Bundesregierung kürzlich erfragt.
       
       Aber an diesem Mittwoch im Juni geht es nicht um steigende Mieten, sondern
       ums schnelle Bauen, damit möchte die Bundesregierung die Wohnungsnot
       bekämpfen. Und dafür müssen in Berlin-Mitte erst mal die
       Bauarbeiter*innen mit ihren Bauhelmen zur Seite weichen. Die [3][neue
       Bauministerin Verena Hubertz (SPD)] tritt energisch ans Mikrofon und
       verkündet gut gelaunt: „Wir kommen gerade aus dem Bundeskabinett und zünden
       heute den Bauturbo.“
       
       Jetzt, mit dem neuen Gesetzentwurf zur Beschleunigung des Wohnungsbaus, den
       das Kabinett beschlossen hat, soll alles besser werden. Städte und
       Gemeinden sollen die Möglichkeit haben, Genehmigungsverfahren zu straffen,
       indem sie von Bebauungsplänen abweichen können – sie können sogar ganz
       darauf verzichten. Die neue Regelung ist bis Ende 2030 befristet. Ein
       Bebauungsplan könne in einer durchschnittlichen Großstadt 5 Jahre dauern,
       erklärt Hubertz, „Wir werden aus den 5 Jahren 2 Monate machen.“
       
       ## Zahlen nennt Hubertz nicht – offenbar aus Erfahrung
       
       Ein paar Voraussetzungen für das schnelle Bauen gibt es aber schon: Eine
       Abweichung soll mit den Interessen der Allgemeinheit vereinbar sein und es
       soll neuer Wohnraum entstehen, durch Neubau oder Erweiterungen. Das Ganze
       gelte auch für Kitas, Schulen oder Theater, betont Hubertz. Und der
       Gesetzentwurf enthält weitere Regelungen: Das Aufstocken und Umbauen soll
       leichter werden. Auch der Umwandlungsschutz soll um fünf Jahre verlängert
       werden – damit soll in angespannten Wohnungsmärkten die Umwandlung von
       Miet- in Eigentumswohnungen verhindert werden. Das soll Mieter*innen
       besser vor Verdrängung schützen. Im Herbst sollen die Regelungen in Kraft
       treten.
       
       Auf eine konkrete Zahl, wie viele Wohnungen gebaut werden sollen,
       verzichtet die neue Bauministerin – offenbar aus schmerzlicher Erfahrung.
       Die Vorgängerregierung hatte noch 400.000 neue Wohnungen pro Jahr
       versprochen und war kläglich daran gescheitert. Was auch an hohen Zinsen,
       Lieferengpässen und hohen Energie- und Materialpreisen lag. Laut
       Statistischem Bundesamt wurden 2024 nur rund 251.900 neue Wohnungen fertig,
       2023 waren es etwa 294.400. Der [4][tatsächliche Bedarf] wird viel höher
       eingeschätzt.
       
       Es mache keinen Sinn, eine Zahl „für vier Jahre in Stein zu meißeln“, sagt
       Hubertz auf Nachfrage. Aber man könne sie aber daran messen, wie sich
       Bauzeiten entwickeln oder Baukosten, die sie halbieren will. Es brauche
       jetzt „Tempo, Tempo, Tempo“. Man müsse bauen und vereinfachen,
       Ländergesetze harmonisieren. „Copy, paste, einfach machen.“ Die Menschen
       würden es nicht verstehen, wenn sich der Brandschutz an der
       Postleitzahlgrenze ändere. Am liebsten wäre Hubertz [5][serielles Bauen mit
       Holz.]
       
       Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) kündigt an, in der kommenden
       Woche dem Kabinett den Haushaltsentwurf für dieses Jahr und die Einrichtung
       des Sondervermögens von 500 Milliarden Euro vorzulegen. Damit würden
       „Spielräume“ geschaffen, „dass in unserem Land mehr gebaut wird“. Die
       Menschen müssten spüren, „dass sich etwas verändert“.
       
       ## Die Opposition ist weniger begeistert
       
       Auch der baupolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jan-Marco Luczak, der
       nicht vor Ort war, begrüßte die Baunovelle. „Das Problem steigender Mieten
       lasse sich nicht durch „mehr Regulierung, sondern nur durch mehr
       Wohnungsbau“ lösen.
       
       Doch in der Opposition hält sich die Begeisterung in Grenzen. „Wir bekommen
       leider keinen Bauturbo, sondern einen Teuerturbo“, sagt der baupolitische
       Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Kassem Taher Saleh. Man müsste
       sicherstellen, „dass keine Luxusapartments oder Villen auf der grünen Wiese
       gebaut werden“. Doch entsprechende Vorgaben fehlten. „Stattdessen werden
       Vorschriften aufgeweicht, die Bodenspekulation anheizen, Umweltstandards
       aushebeln und Beteiligungsprozesse zurückdrängen“.
       
       Ähnlich sieht das Katalin Gennburg, Sprecherin für Bauen der Linkenfraktion
       im Bundestag. „Neubau ohne Plan“ könnte die Wohnungsnot verschärfen,
       fürchtet sie. Die Bundesregierung lege „die Axt an das Planungsrecht,
       obwohl bundesweit 900.000 genehmigte Wohnungen gebaut werden könnten und
       zunehmender Leerstand die Kommunen vor erhebliche Probleme“ stelle.
       
       Auch der Verein Architects for future bezweifelt, dass mit dem Bauturbo
       „nachhaltige und sozial tragfähige Lösungen für die Herausforderungen
       unserer Zeit erreicht werden können“. Es bräuchte gesetzgeberische
       Schritte, um klimagerechtes Bauen zu fördern, etwa durch Bauen im Bestand
       sowie eine Stärkung einer gemeinwohlorientierten Bodenpolitik.
       
       Der Deutsche Mieterbund begrüßt zwar die Novelle, ist aber nicht ganz
       zufrieden. Der Bauturbo garantiere nicht, „dass bezahlbare Mietwohnungen
       entstehen, sondern im Gegenteil“, erklärte die Bundesdirektorin des
       Deutschen Mieterbundes (DMB), Melanie Weber-Moritz. Der Entwurf trage „in
       seiner jetzigen Fassung dazu bei, Schutzinstrumente für Mieterinnen und
       Mieter in angespannten Wohnungsmärkten in Milieuschutzgebieten
       auszuhebeln“.
       
       Skeptisch sind auch Anwohner*innen in Berlin, die neben der Baustelle
       wohnen. „Für mich ist das alles eine große Belastung“, sagt eine Rentnerin,
       die hier seit 27 Jahren wohnt. Sie habe nichts gegen neue Wohnungen. Aber
       sie leide sehr unter dem Baulärm und kriege keine Mietminderung. Vor dem
       Baubeginn habe es noch eine Erhöhung gegeben. Sonst liege hier auch viel
       mehr Baumüll herum, klagt sie, nur heute sehe alles „wie geleckt aus“.
       
       18 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/mieten-grossstaedte-mietpreisbremse-100.html
   DIR [2] /Linkenpolitikerin-Caren-Lay-im-Wahlkampf/!6063225
   DIR [3] /Sozialdemokratinnen-im-Kabinett/!6086251
   DIR [4] /Neue-Prognose-zu-Wohnraumbedarf/!6073483
   DIR [5] /Serielles-Bauen-feiert-Comeback/!5855327
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jasmin Kalarickal
       
       ## TAGS
       
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