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       # taz.de -- Tierrechtsaktivist*innen vor Gericht: Videos, die den Appetit verderben
       
       > Ein Schlachthof bei Oldenburg hat Aktivist*innen verklagt, weil sie
       > dokumentiert haben, was vor dem Töten von Schweinen geschieht.
       
   IMG Bild: Schweinehälften in einem Schlachthof: Vor dem Tod kommt die Todesangst
       
       Selten bilden sich die Frontverläufe eines Zivilverfahrens auch im
       Zuschauerbereich so deutlich ab, wie hier [1][im Landgericht Oldenburg]:
       Links sitzen die Unterstützer*innen der Tierrechtsaktivist*innen,
       tendenziell eher urban gekleidet, manche haben T-Shirts mit dem Kürzel
       Ariwa an. Das steht für die Tierrechtsorganisation „Animal Rights Watch“.
       
       Rechts vom Eingang trägt man eher ärmellose Steppweste und Karohemd, blickt
       entschlossen und reagiert unwirsch auf Journalistenfragen. Hier haben
       Schweinehalter und andere Supporter der Brand Qualitätsfleisch GmbH aus
       Lohne Platz genommen.
       
       Jährlich werden dort über 745.000 Schweine geschlachtet, umgerechnet sind
       das drei pro Minute in der Betriebszeit. Nikolaus Brand, der die Geschäfte
       des Familienbetriebs in vierter Generation führt, hat zwei
       Aktivist*innen auf Schadenersatz von fast 100.000 Euro verklagt. Man
       würde auf die aber großzügig verzichten, wenn denn nur die schlimmen Bilder
       verschwinden. Das Urteil soll am 16. Juli verkündet werden.
       
       ## Branche unter Rechtfertigungsdruck
       
       Die eher symbolische als durch reale Schäden belegte Summe wirkt auch wie
       ein Hinweis darauf, dass Brand hier nicht nur für sich selbst, sondern für
       die ganze Branche wild um sich schlägt. Die ist zweifellos legal, steht
       aber eben ethisch unter erheblichem Rechtfertigungsdruck. Und den haben
       Anna Schubert und Hendrik Haßel durch heimliche Videoaufnahmen noch erhöht.
       Die zwei waren in Brands Schlachthof eingedrungen und haben die
       vorgeschriebene Betäubung der Schweine vor der Schlachtung gefilmt.
       Meistens geschieht das in der EU mit Kohlendioxid.
       
       Dass das schweres Tierleid bedeutet, ist bekannt. Es steht sogar in der
       [2][EU-Verordnung „über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung“],
       die trotz ihres schönen Titels einem wirtschaftlichen Primat folgt: Die
       Methode quält zwar, ist aber billiger, also erlaubt.
       
       Eine öffentliche Diskussion hat bisher kaum stattgefunden. Denn so gut wie
       niemand weiß, was sich dabei abspielt, und deswegen soll ja auch das seit
       vergangenen Sommer in Auszügen über ARD und die Ariwa-Homepage verbreitete,
       von versteckten Kameras aufgenommene Videomaterial von Schubert und Haßel
       verschwinden, [3][wenn es nach der Schweinebranche ginge].
       
       ## Tiere in Panik
       
       Das Material dokumentiert den Vorgang zum ersten Mal in Deutschland: Die
       Schweine werden in kleinen Gruppen in Käfig-Gondeln einer Paternosteranlage
       in einen neun Meter tiefen, finsteren Schacht hinabfahren. Der ist mit
       Kohlendioxid befüllt. Sobald die Tiere mitbekommen, dass da etwas nicht
       stimmt, bekommen sie Panik, zeigen Fluchtverhalten, die Atemnot erfasst
       sie, sie stoßen ihre Köpfe gegen die Stahlgitter, stoßen Schreie aus und
       verlieren endlich das Bewusstsein. Dann geht’s nach oben in den Tod.
       
       Die schrecklichen Bilder stammen aus Brands Betrieb. Sie zeigen genau das,
       was auch laut dem Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit in so einer
       Anlage [4][zu erwarten ist.] Doch Brand sieht durch die Veröffentlichung
       des Materials den Ruf seines Unternehmens geschädigt. Dass ausgerechnet
       sein Vorzeigebetrieb nun an den Pranger gestellt wird, empfinden auch die
       anderen Schweinemäster und Verbandsfunktionäre als quiekend ungerecht.
       Vielleicht weil sie wissen, wie viel schlimmer es ginge: [5][Brand hat sich
       ja redlich ums Tierwohl bemüht], hat für seine Schlachterei das
       Bio-Zertifikat der Gesellschaft für Ressourcenschutz und das Label „Für
       Mehr Tierschutz“ [6][erworben].
       
       Das vergibt der [7][Deutsche Tierschutzbund], damit die Leute glauben,
       „bewusst einkaufen“ zu können. Solange keine schlimmen Bilder es
       wachrütteln, lässt sich so nämlich das schlechte Gewissen prima betäuben.
       Völlig schmerzfrei. Benno Schirrmeister
       
       14 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Vorwurf-der-Tierquaelerei/!5550887
   DIR [2] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX%3A32009R1099
   DIR [3] /Mehr-Rouge-fuer-Schweine/!509435&s=schlachthof+ariwa&SuchRahmen=Print/
   DIR [4] https://www.fli.de/fileadmin/FLI/ITT/Projekte/TIGER/TIGER_Brosch%C3%BCre_A4_interaktiv.pdf
   DIR [5] https://landschafftwerte.de/interviews/eine-branche-im-wandel-der-schlachthof/
   DIR [6] https://www.bundesanzeiger.de/pub/de/suchergebnis?9
   DIR [7] /Mehr-Tierschutz-Siegel-fuer-Fleisch/!5050434
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
       
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