# taz.de -- Ein niedergeschlagener Kolumnist: Früher war es besser, früher war ich nie krank
> Er hätte von seiner Fahrt jüngst nach Bacharach am Rhein erzählen können.
> Aber nun plagt anderes das Sein unseres Kolumnisten. Er liegt siech
> darnieder.
IMG Bild: Hier wenigstens zur Ansicht: Bacharach am Rhein
„Das Sein verstimmt das Bewusstsein“ steht auf einem Aufkleber, den mir
mein Vater hinterlassen hat. Es ist der lustigste in einer ganzen Galerie
von Spontisprüchen, die sich in den unrenovierten Nischen, Dach- und
Kellerräumen meines Elternhauses verbirgt. „Ewig währt am längsten“ klebt
zum Beispiel oben an einem Sicherungskasten. Der Warnhinweis „Hier hat ein
Student nach Essen gesucht“ ließ sich entweder auf Müllcontainer kleben
(politisch) oder auf Klodeckel (lustig). Bei uns hat er es nur an die
Rückwand eines Schranks geschafft, und ich weiß auch nicht, wie es dazu
kam.
Aber zurück zum Bewusstsein: Meins ist gerade sogar sehr verstimmt. Nicht
nur wegen der Weltlage, sondern auch, weil ich krank bin. Ich schreibe
diesen Text im Stehen, weil ich erstens nicht sitzen darf, aber zweitens im
Liegen nicht schreiben kann. Das Problem an der Sache ist nun drittens,
dass ich eigentlich auch nicht stehe, sondern recht wacklig auf den Beinen
bin.
So laufe und liege ich also rum und denke mich zwischendurch von Satz zu
Satz. Aber – und das ist der Punkt von wegen Bewusstsein – man kreist doch
sehr um den eigenen Kram in solchen Zeiten. Eben dachte ich kurz, es wäre
voll interessant, mal was über die dörflichen Zuspitzungen des ohnehin
desolaten Gesundheitssystems zu schreiben, wo ich doch zufällig in der
Kommune mit dem rechnerisch größten Ärzt:innenmangel Deutschlands
wohne. Eigentlich ein Geschenk für [1][diese Kolumne über Fragen zwischen
Stadt und Land], und ich hätte auch noch zwei Sätze darüber eingestreut,
wie viel schwerer es hier draußen gerade in solchen Krisenmomenten ist,
ohne Auto zurechtzukommen. Wenn man entweder ein Taxi aus dem Nachbardorf
kommen lassen muss oder den (einen) Bus Richtung Praxis erwischen. Den um
halb zwölf.
Andererseits: Was weiß ich denn schon wirklich darüber? Ist halt kacke und
nervt, aber weiter? Wertiger bedienen könnte ich das Sujet, irgendwann
knapp über 40 plötzlich mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert zu
werden. Aber das haben erstens schon viel klügere Menschen getan als ich
und zweitens bin ich auch weit davon entfernt, an dieser Sache hier zu
sterben. Behauptet jedenfalls der Arzt.
Womit sich auch schon das nächste Themenfeld aufdrängt, für das sich völlig
zurecht keine Sau interessiert: empfindlich-verletzliche Männerseelen
nämlich, die wegen Bauchschmerzen mit Gott zürnen, oder so. Auch das ist
schon zu oft geschrieben worden, wobei sich hier auch bei Weitem nicht nur
klügere Menschen ausgetobt haben, als ich einer bin.
Früher war ich nie krank. Mein erstes echtes Fieber hatte ich an meinem 30.
Geburtstag. Mein erstes Antibiotikum ein paar Jahre später, und die eine
Hand, an der ich meine Blutentnahmen abzählen kann, ist gestern beim
dritten Finger angekommen. Unterm Strich ist meine Krankengeschichte also
hochgradig unspektakulär. Aber die Tendenz ist nicht gut.
Sind Sie noch da? Das freut mich (wirklich!), aber es tut mir auch ein
bisschen leid um Ihre Zeit. Eigentlich tut es mir für uns beide leid: für
mich, der liegen soll und schreiben muss – und für Sie, deren Hoffnung auf
eine knackige Pointe in wenigen Sätzen enttäuscht werden wird.
Es ist ein blöder Zufall, dass meine Kolumne gerade jetzt an der Reihe war.
Vergangene Woche hätte ich zum Beispiel von meiner Reise nach [2][Bacharach
am Rhein] erzählt und in der davor von dem tollen Theaterfestival in
Hamburg, an dem ich ein bisschen mitwirken durfte. Aber nun haben wir eben
die Siechenzeit erwischt und müssen da irgendwie durch. Bis sie wieder in
Stimmung kommen: Sein und Bewusstsein.
15 Jun 2025
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## AUTOREN
DIR Jan-Paul Koopmann
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