# taz.de -- Liebling der Massen: Der Erdbeermann soll sterben
> Die Früchte waren beim letzten Mal ziemlich schnell oll. Trotzdem will
> ich schon wieder ins Erdbeerhäuschen. Irgendwann muss es ja mal klappen.
> Oder?
IMG Bild: Die große Verlockung des Erdbeerhäuschens
Berlin taz | „Soll ich nachher mal in so ’n Erdbeerhäuschen gehen, und
Erdbeeren holen?“, frage ich, denn hinten an der Brücke habe ich eins
gesehen. Um diese Jahreszeit sind die albernen erdbeerfarbenen und
-förmigen Plastikhütten strategisch in der ganzen Stadt verteilt, und im
Umland und an den Ausfallstraßen ebenso. Dort erst recht, weil das wirkt
authentischer. Die Leute sollen denken, dass da so Erdbeerbauern mit dem
Trecker die Erdbeeren frisch vom Feld zum Konsumenten in die Stadt bringen,
und dort noch mit ihren von redlicher Wühlarbeit in der guten Ackerkrume
schmutzigen Händen direkt an uns urbane Naschkätzchen verteilen. Alles Bio.
Bei der Vorstellung schmeckt es gleich doppelt gut. Die müssen dann ja auch
viel besser als im Laden sein, denkt sich der Kunde. Das sind [1][noch
richtige Erdbeeren], summt es in seinem Kopf. Nostalgische Gefühle mischen
sich mit falschen Kindheitserinnerungen (hat damals nicht so ein
kriegsversehrter Erdbeermann die Erdbeeren aus Ostpreußen mit einem
dreirädrigen Lieferwagen geradewegs in unsere Hochhaussiedlung gefahren,
und dort mit einer riesigen Glocke geläutet? Von überall liefen barfüßige
Gören und Muttis in Kittelschürzen zusammen. Alles hat damals viel
intensiver geschmeckt. Auch der Mond hat heller geschienen). Klammer zu.
Dafür nimmt er auch gerne einen höheren Preis in Kauf. So ein Kunde bin
ich.
Dabei sind die Früchte, die auf den ersten Eindruck super aussahen, beim
letzten Mal ziemlich schnell oll geworden. Auf jeden Fall schneller als die
aus dem Supermarkt. Trotzdem will ich schon wieder zu „[2][Karls
Erdbeerhäuschen]“. Irgendwann muss es doch endlich mal klappen mit der
erwarteten Geschmacksexplosion plus Haltbarkeit.
Wenn ich „Erdbeerhäuschen“ sage, findet meine Frau das immer sehr niedlich.
Ich soll überhaupt möglichst niedlich sein, obwohl ich längst nur noch ein
klobiger alter Freak bin. Vielleicht sogar gerade deswegen; psychologisch
wäre das nachvollziehbar. „Und dann gehst du auch noch in so ein
Erdbeerhäuschen“, gurrt sie. „Und guckst dann da zusammen mit dem Verkäufer
raus, obwohl das viel zu klein für zwei ist. Was für eine unfassbar
niedliche Vorstellung!“
## Schluss mit niedlich
Es mag zugegebenermaßen niedlich klingen, aber so ist es nicht gemeint. Ich
könnte genauso gut „Erdbeerhaus“ dazu sagen, oder „Erdbeerfestung“. Denn
ich meine es im Gegenteil äußerst böse, ein Resultat enttäuschter Liebe.
Der Erdbeermann soll sterben. Also jetzt nicht direkt sterben, aber nach
der Erdbeersaison sollte es das schon für ihn mit seinem Job hier gewesen
sein. Und ich will dann auch bitte nicht, dass er im Herbst Quitten
verkauft, in so einem quietschgelben Quittenhäuschen („Gott, wie
niedlich!“), oder im Winter Lebkuchen.
Da wäre dann nämlich Schluss mit niedlich. Ich hab langsam echt keinen Bock
mehr auf [3][Lebkuchen], Quitten oder Erdbeeren, die schon am nächsten Tag
vergammelt sind. Kein Wunder, denn im Erdbeerhäuschen arbeiten in Wahrheit
nämlich gar keine Erdbeerbauern. Wir sollen das nur denken, dabei haben sie
ganz saubere Fingernägel.
Sie sind nicht mit dem Herzen bei der Sache, im Grunde hassen sie
Erdbeeren. Sie wissen nicht, wie man die richtig beschneidet, die tückische
Erdbeerlaus bekämpft, und die Blüte vor dem Frost schützt. Sie sind nur
Erdbeerbauerndarsteller in einer miesen Show, zu der auch das kitschige
Erdbeerhäuschen in diesem Märchenland für Gutgläubige gehört. Die meisten
von ihnen sind Freigänger, weil man sie jetzt braucht, und Personal fehlt.
Ebenso gut könnten sie Lose auf dem Rummelplatz verkaufen. Egal, ich nehme
wieder eine große Schale, 750 g für 7 Euro 50, danke, Karl.
7 Jun 2025
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## AUTOREN
DIR Uli Hannemann
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DIR Kolumne übrigens
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