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       # taz.de -- Debüt-Album von Margaux Gazur: Verwunschen, verschwommen
       
       > Unscharfe Erinnerungen an Vietnam formen den Klang von „Blurred Memories“
       > – Margaux Gazurs Debüt ist voller persönlicher Spuren.
       
   IMG Bild: Mal sind ihre Sounds fließend, mal rhythmisch, oft schwer definierbar
       
       Gibt es eigentlich Erinnerungen, die nicht verschwommen sind? Bilder und
       Geschichten, die sich klar und deutlich ins Gedächtnis eingeschrieben haben
       und sich nicht jedes Mal, wenn man sie abruft, irgendwie anders
       zusammensetzen, abhängig jeweils auch von der Situation und von jenem
       madeleinehaften Etwas, das dieses Rückbesinnen ausgelöst hat?
       
       Auch die französisch-vietnamesische, mittlerweile in Berlin lebende
       Komponistin, Musikerin, Produzentin und DJ Margaux Gazur scheint nur
       nebulöse Erinnerungen zu kennen. „Blurred Memories“ hat sie ihr Debüt-Album
       genannt, [1][das kürzlich beim Label Smallville erschienen] ist. In der
       Musik hat sich Gazur vor allem auf jene vergangenen Lebensereignisse
       konzentriert, die mit ihren vietnamesischen Wurzeln verbunden sind.
       
       Die Rolle des Proust’schen muschelförmigen Feingebäcks könnten bei ihr
       entsprechend Bánh Cuốn übernehmen, hauchdünne, gedämpfte mit Hackfleisch
       und Pilzen gefüllte Reismehlpfannkuchen. Die nämlich, das erzählte Gazur
       kürzlich bei einem Radiointerview, seien ihr liebstes vietnamesisches
       Frühstück. Ab 2012 hat Gazur ein paar Jahre [2][in Hanoi verbracht und
       damals solche fast täglich bei einem älteren Ehepaar gekauft].
       
       So schwer greifbar und unscharf wie „Blurred Memories“ ist auch der Klang,
       den Gazur auf ihrem Album zusammengestellt hat. Hypnotisch, vor sich hin
       fließend, rhythmischer zwischendurch, dann wieder getragen von Field
       Recordings und schwer definierbaren Klängen, von Stimmen, Rauschen, zartem,
       metallischen Gerassel und Geschepper. Die Sounds mäandern dahin, etwas zu
       zurückhaltend bisweilen. Nach Vorne drängt da wenig. Es lohnt sich länger
       und immer wieder hineinzuhören, bis sich das Gewaber im Gehörgang weiter
       ausdifferenziert.
       
       ## Percussions aus traditionellen Schwertern
       
       Auch vielleicht anhand der Familiengeschichte der Musikerin, die sie im
       bereits erwähnten Interview skizziert: [3][Demnach kam Gazurs
       vietnamesische Mutter nach dem Indochinakrieg als Bootsflüchtling nach
       Frankreich], wuchs auf in einem vietnamesisch geprägten Dorf, wo Gazurs
       Großmutter zeitlebens blieb. Ihr französischer Vater lernte indes schon als
       Teenager fernöstliche Kampfkunst und eröffnete später eine
       Martial-Arts-Schule. In eben deren Übungsräumen nahm Gazur zunächst für
       alle Tracks die Percussion auf, mithilfe von traditionellen Schwertern,
       Ketten, Trommeln und Gongs.
       
       Auf „Su Phu“ meint man das herauszuhören, den Lufthauch des Hin- und
       Herschwingens eines Schwerts – zumindest wenn man es weiß. „Su Phu“ steht
       offenbar für sư phụ, den vietnamesischen Begriff für einen
       Kampfkunstmeister. Anhaltspunkte zur Einordnung geben auch sonst die Titel
       der sieben, zwischen siebeneinhalb und über fünfzehn Minuten dauernden
       Tracks.
       
       Der mittlere davon, „Madake“, der housigste von ihnen und derjenige, der am
       schnellsten ins Ohr geht, trägt den Namen eines Underground-Clubs in Hanoi.
       Es ist einer, der sich – so beschreibt es ein Reiseblogger – nicht an die
       Sperrstunde halte, in dem es manchmal crazy zugehe, der an anderen Abenden
       aber komplett leer bleibe. Ein Club, in dem unbekannte europäische DJs und
       Bands auftreten, wenn sie durch Südostasien touren. Neben dem Eingang
       gelange man an einen verwunschenen Ort, so beschreibt es Peter’s Big
       Adventure weiter, über eine Treppe gehe es zum Ufer eines überwucherten
       Sees, wo man sich auf Bänke legen und wahlweise in den Sternenhimmel oder
       auf riesige tropische Seerosen blicken könne.
       
       Ein besseres Setting für Margaux Gazurs Musik ist kaum vorstellbar. Gazur
       hat jenen Club einmal geleitet und dort auch Partys und Konzerte
       organisiert. Die Künstlerin lag also vermutlich selbst des Öfteren bei den
       Seerosen herum. Für alle Nichtfernreisenden wäre vielleicht der Besuch
       eines Tropenhauses mit „Blurred Memories“ in den Ohren eine passende
       Alternative.
       
       15 Jun 2025
       
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