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       # taz.de -- Bevölkerungspolitik in Vietnam: Zwei Kinder pro Familie sind nicht mehr genug
       
       > Die kommunistische Regierung in Vietnam beendet die offizielle
       > Zweikindpolitik. Der männliche Geburtenüberschuss bleibt aber weiterhin
       > ein Problem.
       
   IMG Bild: Vietnams Wirtschaft braucht billige Arbeitskräfte, doch vor allem Frauen in der Industrie können sich kaum noch Kinder leisten
       
       BERLIN taz | Vietnams von der kommunistischen Partei kontrollierte
       Nationalversammlung hat am Dienstag mit sofortiger Wirkung die bisherige
       Zweikindpolitik des südostasiatischen Landes aufgehoben. Laut der
       englischsprachigen Webseite des Staatsorgans [1][Tuổi Trẻ] („Jugend“) ist
       den Bürgern und Bürgerinnen jetzt freigestellt, über die Zahl ihrer Kinder
       sowie den Zeitpunkt und Ort von deren Geburt selbst zu entscheiden.
       
       Die Abkehr von der 1988 eingeführten Zweikindpolitik begründete
       Gesundheitsministerin Dao Hong Lan mit den sonst bestehenden Risiken für
       die wirtschaftliche Stabilität, dem sozialen Zusammenhalt, der nationalen
       Verteidigung sowie der nachhaltigen Entwicklung. Derzeit altert Vietnams
       Bevölkerung von 100 Millionen in zunehmenden Maß. Das könnte bald zu einem
       Verlust der wirtschaftlichen Dynamik und einem Mangel an produktiveren
       jungen Arbeitskräften führen.
       
       Die Geburtenrate pro Frau hatte im wirtschaftlich boomenden Land 2021 noch
       2,11 Kinder betragen, was etwa einem Gleichstand zwischen Geburten und
       Todesfällen entspricht. Doch sank die Rate auf nur noch 1,91 Kinder für
       2024.
       
       Insbesondere in den Metropolen Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt (Saigon) mit
       ihren hohen Lebenshaltungskosten liegt die Geburtenrate längst deutlich
       darunter, bei Letzterer sogar nur noch bei 1,39.
       
       ## Kinderbonus, Dating-Shows und Propagandaplakate
       
       Die südliche Wirtschaftsmetropole zahlt Frauen unter 35 Jahren, die bereits
       zwei Kinder haben, laut [2][New York Times] einen Bonus von umgerechnet 120
       Dollar. Auch würden dort bereits Dating-Shows und Propagandaplakate für
       mehr Kinder werben.
       
       Vietnams Zweikindpolitik wurde nie so streng durchgesetzt wie die bis 2016
       bestehende Einkindpolitik in China. Statt Zwangsabtreibungen wie dort
       mussten in Vietnam vor allem KP-Kader eher mit finanziellen oder
       politischen Nachteilen rechnen.
       
       Ein drittes Kind war erlaubt, wenn die Eltern bereits Zwillinge oder ein
       behindertes Kind hatten, wenn ihre Kinder aus früheren Ehen stammten oder
       ein Kind gestorben war. Auch Angehörige einiger ethnischer Minderheiten
       durften mehr als zwei Kinder haben.
       
       Interviewte Frauen erwarten jetzt jedoch, dass es mit der Reform künftig
       nur wenige Geburten mehr geben wird. „Heute mehr als zwei Kinder
       großzuziehen, ist viel zu schwierig und zu teuer“, sagte etwa die
       45-jährige Hoang Thi Oanh der Nachrichtenagentur AFP. „Die Regierung wird
       einen Bonus zahlen müssen.“
       
       ## Illegale Geschlechtsselektion per Ultraschall
       
       Ein Problem ist zudem die wachsende Geschlechterungleichheit. 2023 kamen
       auf 100 Frauen 103,5 Männer. Besonders bei zweiten oder dritten
       Schwangerschaften kommt es vermehrt zu Abtreibungen weiblicher Föten, wenn
       die ersten Kinder bereits Mädchen sind. Das liegt an der Bevorzugung
       männlichen Nachwuchses durch den Konfuzianismus, der längst verbotenen
       Geschlechtsselektionsmöglichkeit per Ultraschall, wo derzeit auch [3][eine
       starke Erhöhung der Geldbußen vorgeschlagen wird], und eben auch an der
       bisherigen Zweikindpolitik.
       
       Zwar wurden von der Regierung bereits Maßnahmen gegen die
       Geschlechterungleichheit ergriffen, doch könnte sich das Verhältnis noch
       auf 100 zu 110 verschlechtern. Bereits jetzt gibt es einen verschärften
       Wettbewerb um Frauen, mehr Zwangsverheiratungen und Frauenhandel.
       Frustrierte Männer, die keine Frau finden, gelten als potentielle Störer
       des sozialen Friedens.
       
       Da es auch in den ostasiatischen Nachbarländern China und Südkorea einen
       wachsenden Frauenmangel gibt, der sich besonders in ländlichen Regionen
       bemerkbar macht, sind auch dort Vietnamesinnen begehrt. Sie gelten zudem
       als hart arbeitend. Derzeit ist Südkorea das Land mit der niedrigsten
       Geburtenrate der Welt. Im benachbarten Japan altert die Bevölkerung rapide
       und schrumpft seit Jahren. Gegenmaßnahmen der Regierung fruchteten bisher
       kaum. [4][Auch Chinas Regierung sorgt sich zunehmend vor Überalterung und
       Bevölkerungsrückgang].
       
       5 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://news.tuoitre.vn/vietnam-empowers-couples-with-reproductive-freedom-103250603181805405.htm
   DIR [2] https://www.nytimes.com/2025/06/04/world/asia/vietnam-two-child-policy.html
   DIR [3] https://news.tuoitre.vn/vietnam-proposes-tripling-fines-to-curb-sex-selective-practices-103250604121123746.htm
   DIR [4] /Auswirkungen-der-Ein-Kind-Politik/!5906365
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sven Hansen
       
       ## TAGS
       
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