URI: 
       # taz.de -- Reaktionen auf Rechtsruck in Polen: „Wie angespuckt vom Feind“
       
       > Agnieszka Holland ist traurig. Auch viele andere polnische Künstler sind
       > entsetzt darüber, dass wieder ein Rechtspopulist ihr Präsident wird.
       
   IMG Bild: Der neue Präsident Karol Nawrocki auf dem Buchcover: Protest gegen Immigration in Warschau am 10. Mai 2025
       
       Polens Kulturszene ist entsetzt über die Wahl des Rechtspopulisten Karol
       Nawrocki zum neuen Staatspräsidenten Polens. Viele namhafte Künstler hatten
       sich schon vor der Wahl am 1. Juni für den weltoffenen und der Kunst und
       Literatur zugeneigten Kandidaten Rafał Trzaskowski ausgesprochen. Der
       beliebte Warschauer Oberbürgermeister war über Monate hinweg der Favorit in
       allen Umfragen.
       
       Als die ersten Nachwahlbefragungen am Wahlabend seinen – wenn auch sehr
       knappen – Sieg bestätigten, gingen die meisten Theaterleute, Schriftsteller
       und Malerinnen Polens erleichtert zu Bett. Die Ära des
       engstirnig-nationalen Kunstverständnisses der wichtigsten Politiker im
       Lande schien sich ihrem Ende zuzuneigen.
       
       Schon im Oktober 2023 hatte die Mitte-links-Koalition von Donald Tusk das
       achtjährige Regime der nationalpopulistischen Recht und Gerechtigkeit (PiS)
       unter Jarosław Kaczyński abgelöst. Mit Trzaskowski an der Spitze des
       Staates würde man endlich wieder frei durchatmen können. Doch die böse
       Überraschung kam am nächsten Morgen: Sieger war nicht der liberale Favorit
       geworden, sondern Nawrocki, der Rechtsaußen-Historiker ohne jede politische
       Erfahrung.
       
       ## Gefühl der Demütigung
       
       „Angespuckt vom Feind“ fühlt sich die bekannte Theaterregisseurin Krystyna
       Janda, wie sie auf ihrer Facebook-Seite schreibt: „So ein Land, so eine
       Heimat“, stellt sie fest. Das Wahlergebnis rufe bei ihr sowohl „Scham für
       andere“ und das Gefühl der Demütigung hervor, aber auch „Mitgefühl für uns
       alle, vor allem für die Verlierer.“ Polen beginne wieder sich
       zurückzuentwickeln. Der Hass wachse von Tag zu Tag, schreibt sie.
       
       Die [1][Malerin Karolina Niedenthal] gibt ihrer Enttäuschung bildlich
       Ausdruck. Eine rote Holzperlenkette, die die gescheiterte linke Kandidatin
       Joanna Senyszyn vor der zweiten Runde Małgorzata Trzaskowska schenkte und
       die zu einem Symbol für Herzlichkeit und Solidarität geworden war, liegt
       auf einem weißen Untergrund, der aber immer schwärzer wird. Weiß-Rot steht
       für das eigentlich geliebte Polen und Schwarz für die Trauer nach der
       Präsidentschaftswahl.
       
       Der auch in Deutschland bekannte [2][Schriftsteller Szczepan Twardoch („Der
       Boxer“, „Das schwarze Königreich“, „Demut“)] schäumt nach den Wahlen
       geradezu vor Wut über die Anhänger beider Seiten. „Wie viele Stimmen hat
       Professor Hartman für seinen Kandidaten gewonnen, der die Wähler von
       Nawrocki als Idioten, Ignoranten und Faschisten bezeichnete?“, fragt der
       Oberschlesier auf seiner Facebookseite. Und: „Wie viele hat Professor
       Bilewicz ihm verschafft, der behauptet, dass diejenigen, die für Nawrocki
       stimmen, auf der Seite der Mörder von Jedwabne stehen, und all die anderen,
       bei denen die Verachtung für die Hälfte der Bürger ihres eigenen Landes
       über die Vernunft siegt?“
       
       Auch die andere Seite bekommt ihr Fett weg, ohne dass Twardoch jedoch
       jemanden persönlich angreift: „Ihr Triumph ist maßlos angesichts des
       Prozentbruchteils, mit dem ihr Kandidat gewann. All diese
       geschäftstüchtigen Schlitzohren reiben sich schon die Hände in Erwartung
       der Stiftungsgelder, die nun wieder zu haben sein werden, und verweigern
       dabei der anderen Hälfte der Bürger dieses unglücklichen Landes das Recht,
       sich Patrioten zu nennen“, empört er sich.
       
       ## Als Bürgerin gescheitert
       
       Die international berühmte [3][Filmregisseurin Agnieszka Holland] fragte
       sich schon nach der ersten Wahlrunde, die noch Trzaskowski gewann, aber mit
       sehr knappem Vorsprung: „Fühle ich mich nach diesen Wahlen als Bürgerin
       gescheitert? Ich bin traurig, aber nein, es ist nicht mein Scheitern als
       Aktivistin oder Regisseurin, der soziale Themen sehr am Herzen liegen. (…)
       Natürlich habe ich Angst, denn dies ist ein historischer Moment, der
       Schwenk nach rechts ist keine Episode, sondern etwas, das über unsere
       Zukunft für viele Jahre entscheiden kann“. Nach der zweiten Runde
       schlussfolgert sie ganz pragmatisch: „Wir müssen etwas tun!“
       
       Andrzej Mleczko, der wohl berühmteste Karikaturist Polens, hielt mit seiner
       Meinung zu den Wahlen auch nicht hinter dem Berg: In seiner mit klaren
       Strichen gezeichneten Wahlkarikatur macht sich ein zähnefletschender Boxer
       bereit zum Zuschlagen. Außerhalb des Rings steht dessen Coach und feuert
       ihn an: „Denk dran, du hast einen Vorteil, Du bist ein Psychopath!“
       
       In der Vergangenheit war Nawrocki nicht nur aktiver Amateurboxer, sondern
       nahm auch schon mal an Fußballhooligan-Massenschlägereien teil.
       
       7 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /AktivistInnen-ueber-Protest-in-Polen/!5343537
   DIR [2] /Neuer-Roman-von-Szczepan-Twardoch/!6015887
   DIR [3] /Film-ueber-polnisch-belarussische-Grenze/!5985766
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gabriele Lesser
       
       ## TAGS
       
   DIR wochentaz
   DIR Politisches Feuilleton
   DIR Polen
   DIR Rechtsruck
   DIR Wahlen
   DIR GNS
   DIR Musik
   DIR Kanzler Merz
   DIR Polen
   DIR Donald Tusk
   DIR Polen
   DIR Polen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Festival Music Week Poland in Warschau: Rein in die Trance, raus aus der Trance
       
       Folk, Elektronik und Pop ist beim Festival Music Week Poland in Warschau zu
       erleben. Es bringt Ost und West näher zusammen.
       
   DIR Tusk gewinnt Vertrauensfrage: Jetzt müssen die Demokraten zur Besinnung kommen
       
       Statt das Narrativ der Rechtspopulisten zu übernehmen, sollten die
       demokratischen Staaten der EU Polen dabei helfen, demokratisch zu bleiben.
       
   DIR Vertrauensabstimmung in Polen: Tusk kann aufatmen
       
       Im Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, hat über die Hälfte der
       Abgeordneten Premier Tusk das Vertrauen ausgesprochen.
       
   DIR Nach Wahl von rechtem Präsidenten: Polnischer Premier Tusk will Vertrauensfrage stellen
       
       Die Regierung hatte gehofft, mit einem liberalen Präsidenten ihr Programm
       leichter durchsetzen zu können. Der Sieg von Karol Nawrocki erschwert das.
       
   DIR Präsidentschaftswahl in Polen: Polen rückt nach rechts
       
       Die Wahl des PiS-Kandidaten Karol Nawrocki zum Präsidenten Polens könnte
       innenpolitische Unruhen, sowie die Spannungen mit der EU weiter
       verschärfen.
       
   DIR Präsidentschaftswahl Polen: „Es wird keinen geopolitischen Reset geben“
       
       Wie steht es um die polnisch-europäischen Beziehungen? Sicherheitsexperte
       Kai-Olaf Lang sieht den neuen Präsidenten Nawrocki auf dem Kurs seines
       Vorgängers.