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       # taz.de -- Kriege in der Ukraine und Iran: Westliche Solidarität in der Sackgasse
       
       > Der Iran und die Ukraine sind grundverschieden, aber Putins und
       > Netanjahus Kriege gleichen sich. Das macht es für den Westen schwer.
       
   IMG Bild: Brüder im Geiste: der russische Präsident Putin (l) und der israelische Premierminister Netanjahu, in Moskau 2016
       
       Massenflucht in Autokolonnen, [1][aus Teheran heute] wie 2022 aus Kyjiw.
       Die Bilder gleichen sich. Wieder richtet ein Krieg immenses Leid an und
       sortiert die Welt neu.
       
       Donald Trump und Wladimir Putin ziehen an einem Strang, und das hat System.
       Trump hat die Ukraine aufgegeben, Putin lässt Iran fallen. Sollte Irans
       Regime untergehen, wird Russland stillhalten, so wie Trump für die Ukraine
       keinen Finger rührt. Das ist der Deal. In der Ukraine hat Putin freie Hand.
       Irans Schicksal liegt in Trumps Händen. Er muss sich nur noch überlegen,
       ob, wann und wie die USA an der Seite Israels in den Krieg einsteigen.
       
       An sich sind Iran und die Ukraine grundverschieden. Iran hat ein nach
       innen und außen aggressives, autoritäres Regime, predigt die Vernichtung
       Israels und unterhält einen Ring terroristischer Verbündeter. Die Ukraine
       ist eine freie Gesellschaft, die mühsam ihre Selbstständigkeit und
       Identität zurückholt. Sie wehrt sich seit über zehn Jahren gegen russische
       Aggression, während sich in Iran das Volk ebenso mutig gegen das eigene
       Regime wehren muss.
       
       Das ukrainische Selbstverständnis ist dem historisch gewachsenen
       Selbstverständnis Israels nahe. Die Solidarität des Westens gilt
       selbstverständlich diesen beiden Ländern, jede Unterstützung des iranischen
       Regimes verbietet sich, obwohl Iran der Angegriffene ist – wobei sich die
       Frage einer Unterstützung der iranischen Bevölkerung spätestens dann
       stellen wird, wenn massive Flüchtlingsströme die Türkei erreichen.
       
       ## Mit Trump ist die Dynamik beider Konflikte verknüpft
       
       Aber all das hilft nicht, um die Trump-Putin-Welt zu verstehen. Die Kriege
       gegen Iran und die Ukraine sind sich strukturell ähnlich. Putin und
       Netanjahu agieren wie Brüder im Geiste. Sie bezeichnen ihre Gegner beide
       als Nazis und fordern beide deren Entmilitarisierung und Unterwerfung. Sie
       rechtfertigen ihre Aggression beide als notwendige Abwehr einer
       unmittelbaren existenziellen Bedrohung. Was für Putin die
       Nato-Osterweiterung ist, ist für Netanjahu das iranische Atomprogramm: ein
       Teufel an der Wand seit 30 Jahren, dessen Zerstörung ihr Lebenswerk sein
       soll.
       
       Seit Trumps Amtsantritt ist die Dynamik beider Konflikte verknüpft. Sein
       [2][Sonderbeauftragter Steve Witkoff] ist für beides zuständig. Am 12.
       April setzte Trump Iran [3][eine Frist von 60 Tagen für einen Atomdeal] –
       da befand sich Witkoff gerade in Moskau, und nach seiner Rückkehr fertigte
       Trump seinen absurden „Friedensplan“ für die Ukraine, mit Erfüllung der
       russischen Kernforderungen als Vorleistung.
       
       Es folgten im Mai parallele Verhandlungen zwischen den USA und Iran und
       zwischen Russland und der Ukraine. Auf das Scheitern der Ukraine-Gespräche
       in Istanbul folgten die massivsten russischen Luftangriffe seit
       Kriegsbeginn. Auf den Ablauf der 60-Tage-Frist der USA an Iran folgte am
       frühen Morgen des 13. Juni der israelische Großangriff, mit Wissen der USA.
       
       Würde von Irans Atomprogramm wirklich eine unmittelbare Gefahr ausgehen,
       könnte Israel keine Militärschläge wagen, weil dann Iran sofort viel
       massiver zurückschlagen könnte. Wäre die Ukraine wirklich das Sprungbrett
       einer aggressiven Nato, hätte Russland 2022 keinen Überfall wagen können,
       weil das einen vielfach größeren Nato-Gegenschlag provoziert hätte. Putin
       und Netanjahu können unbekümmert angreifen, weil sie beide wissen, dass sie
       lügen. Ihre Propaganda ist Projektionsfläche für ihr eigenes Ego.
       
       Putin und Netanjahu sind selbstverliebt und skrupellos, Regeln zählen für
       sie im Krieg nicht. Sie behalten sich beide das Recht vor, feindliche
       Bevölkerungen zu vernichten, fremde Gebiete zu besetzen und Instabilität zu
       schüren. Sie beide erkennen nicht einmal feste Grenzen ihrer Staaten an.
       
       Die westliche Solidarität mit der Ukraine und Israel steckt nun in einer
       Sackgasse. Putins Krieg zu kritisieren, aber zu Netanjahus Krieg zu
       schweigen, ist verlogen – und umgekehrt. Wenn Israel tatsächlich „für uns
       alle“ die „Drecksarbeit“ macht, wie es Friedrich Merz in unnachahmlicher
       Klarheit ausdrückt, kann man sich jedes Gerede über Völkerrecht und eine
       regelbasierte Weltordnung sparen.
       
       Foren des „Westens“ wie G7 und Nato sind da zum Leerlauf verurteilt. Beim
       G7-Gipfel trat Trump als Fürsprecher Putins auf. Dass Trump in der Nato
       kommende Woche die Europäer zum 5-Prozent-Ziel für ihre
       Verteidigungsausgaben auffordern wird, ist kein Signal gegen Putin –
       vielmehr kann er dann in Zukunft nicht nur die Ukraine fallen lassen,
       sondern ganz Europa.
       
       Russlands Großangriff auf die Ukraine war für den „Globalen Westen“ im
       Rückblick bloß eine Belastungsprobe. Israels Großangriff auf Iran geht an
       die Substanz. Das ist die neue Welt seit dem 13. Juni 2025, eine globale
       Zeitenwende wie der 24. Februar 2022.
       
       20 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Krieg-im-Iran/!6091524
   DIR [2] /Krieg-in-der-Ukraine/!6077751
   DIR [3] https://www.reuters.com/world/middle-east/trump-tells-reuters-its-unclear-if-iran-still-has-nuclear-program-2025-06-13/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominic Johnson
       
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