# taz.de -- Fotoausstellung über Hauptstraßen: Hier war schon mal mehr los
> Der Fotograf André Lützen hat Hauptstraßen im ganzen Land besucht. Seine
> Bilder zeigen deutsche Normalität und schöne Skurrilitäten.
IMG Bild: 44892 Bochum
Auf den ersten Blick wirkt das Foto unspektakulär. Eine hellgraue
Hausfassade, daneben ein Metalltor in einer roten Backsteinmauer, im
Hintergrund die Fachwerkwand des Nachbarhauses. Menschen fehlen, nichts
bewegt sich.
Vor allem die Fläche vor der hellgrauen Wand – man [1][mag sie gar nicht
Vorgarten nennen] – könnte hässlicher kaum sein. Schotter bedeckt den
Boden. Drei mickrige Kugelgewächse, vielleicht Buchsbäume, wurden zwischen
die Schottersteine gepflanzt, wohl in der Absicht, das Ganze aufzuhübschen.
Das [2][misslingt so gründlich], dass es schon wieder lustig ist. Auf den
zweiten Blick erscheinen auch die Hauswände in ihrer unterschiedlichen
Beschaffenheit – hier der hellgraue grobe Putz, dort das Fachwerk – wie
grafische Elemente. Genau darin liegt der Reiz des Fotos, das die
Hauptstraße des Erfurter Ortsteils Möbisburg zeigt.
So oder so ähnlich kann man auf viele der Bilder schauen, die der Fotograf
André Lützen für sein Projekt „Hauptstraße Deutschland“ zusammengestellt
hat. Im Laufe von zwei Jahren, 2022 und 2023, ist er in alle Bundesländer
gereist und hat verschiedenste Hauptstraßen fotografiert. Er besuchte
größere Städte, aber vor allem kleinere Orte und Dörfer, die man nicht
kennt. „Ich wollte in die Provinz. Achtzig Prozent dieses Landes sehen
schließlich genau so aus“, sagt Lützen.
Hauptstraßen liegen üblicherweise zentral, sie tragen ihre Bedeutung schon
im Namen. Auf vielen Bildern erscheinen die Straßen hingegen alles andere
als wichtig. Etwa wenn eine Hauptstraße im sachsen-anhaltinischen
Zörbig-Löbersdorf mitten im Nirgendwo endet, zwischen Feldern und
Strommasten. Viele der Hauptstraßen auch in den größeren Orten wirken auf
den Fotos zudem verwaist.
Man könnte das für Konzept halten. Nicht die Menschen stehen im Vordergrund
der Fotoarbeit, die Straße selbst soll Protagonistin sein. Das ist aber zu
sehr um die Ecke gedacht. André Lützen erzählt, dass ihm auf den
Hauptstraßen tatsächlich nur wenige Menschen begegnet seien. „Vieles, was
an den Hauptstraßen vor fünfzig Jahren gewesen ist, Bäcker, Schuster,
Metzger, [3][gibt es nicht mehr].“ Zum Einkaufen fahren die Menschen in die
Supermärkte und Einkaufszentren in der Peripherie. Die [4][Verödung der
Innenstädte], sie zeigt sich auch auf Lützens Bildern.
Statt Leben auf der Straße sieht man Hecken, Zäune, Mauern und zugezogene
Gardinen. Orte der Begegnung sind verschwunden, es dominiert der private
Wohnraum. Der will geschützt werden vor Eindringlingen und auch vor fremden
Blicken. So wirken auch einige der Bilder abweisend. Trist sind sie deshalb
nicht. André Lützen wählt die Ausschnitte so, dass Hecken, Fassaden und
Mauern wie komponiert erscheinen. Er inszeniert die Normalität.
Beim genaueren Hinsehen entdeckt man zudem kuriose Details. Steht auf der
Terrasse des gelben Hauses mit den herunter gelassenen Rollläden etwa ein
schwarz-weißer Pitbull, breitbeinig und zum Kampf bereit? Das habe er vor
Ort auch erst gedacht, erzählt Lützen. Das Tier war dann aber doch aus
Porzellan.
Die Ausstellung „Hauptstraße Deutschland“ ist noch bis zum 13. Oktober im
[5][Altonaer Museum] in Hamburg zu sehen.
22 Jun 2025
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DIR [5] https://www.shmh.de/ausstellungen/standort/altonaer-museum/aktuell/
## AUTOREN
DIR Antje Lang-Lendorff
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