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       # taz.de -- Trump, Netanjahu und Co.: Schurken in Shakespeares Welt
       
       > Die Zeit ist aus den Fugen: Donald Trump, Elon Musk, Benjamin Netanjahu –
       > sie alle sind Erzschurken, wie sie im Buche des englischen Dichters
       > stehen.
       
   IMG Bild: König Lear und Macbeth, von korrupten Hofschranzen und boshaften Beratern umschwänzelt
       
       Die weltberühmte Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen hat ein neues
       Shakespeare-Buch geschrieben, weshalb ich ein paar Tage mit ihr durch
       Österreich tourte – zu Buch-Talks in Wien und in Bad Ischl. Letzteres war
       die prachtvolle Sommerresidenzstadt des Kaisers im Salzkammergut und ist
       selbst ein „shakespearischer“ Ort. Die Stadt ist auch deshalb so
       wunderschön, weil sich Hofschranzen, Wichtigtuer und die seinerzeitige
       Kulturschickeria hier ihre Villen bauten, um der Macht nahe zu sein. So
       konnten sie buchstäblich im Spaziergang ihre Deals anbahnen. Der Kaiser
       selbst, ein in späteren Jahren gemäßigter Konservativer, war ein bisschen
       ein Zauderer wie Hamlet. Trotzdem hat er leider von Bad Ischl aus 1914 die
       Kriegserklärung abgeschickt. Eine (Fehl-)Handlung, die das Verhängnis in
       Gang setzte und an deren Ende das Reich des Imperators zerfallen ist.
       
       Was bei Shakespeare immer wieder auftaucht: die toxischen Geheimnisse, das
       Unglück, das durch falsche Annahmen ausgelöst wird, Intrige und
       Leidenschaft. Die Macht mag seit Shakespeares Zeiten ihre Verkörperungen
       verändert haben – nicht mehr Könige, Feldherren, Träger personaler Macht
       sind heute zentral –, sie hat sich aufgelöst in Strukturen, und dennoch ist
       uns das alles vertraut. Die Macht, die mit Ohnmacht einhergeht, die
       unbeabsichtigten Nebenfolgen von Handlungen, die gesetzt werden; die Frage,
       ob man denn überhaupt handeln kann, sobald man mögliche Nebenfolgen
       bedenkt. Wer überstürzt handelt, richtet Verderben an, wer besonnen ist,
       erst recht. König Lear, der jähzornige Alte, regelt seine Nachfolge und
       zerstört damit sein Reich. Macbeth, der Ehrgeizling, ruiniert alles. Der
       Kompromiss führt zu keinen Lösungen, die Kompromisslosen waten durch ein
       Meer von Blut. Unfähige Könige sitzen auf dem Thron, korrupte Hofschranzen
       und boshafte Berater umschwänzeln sie.
       
       Ein einmal errungener Frieden kann die Konflikte nur überdecken, alte
       Verletzungen kochen immer wieder aufs Neue hoch. Kennt man aus der SPD.
       Geheimnisse werden als Einsatz im Machtpoker benutzt, sie werden bewahrt –
       als Munition für morgen – oder weitergegeben, um Komplizenschaft zu
       stiften. Passiert an jedem zweiten Tisch in den Cafés des Berliner
       Regierungsviertels.
       
       Die Leidenschaft zieht eine Blutspur, das Fehlen von Leidenschaft mitunter
       auch. Ehrgeiz, Rachsucht, Eitelkeit und Gefallsucht sowieso. Frappierend,
       wie ähnlich sich das in Demokratien und Königreichen ist. Auch die Könige
       brauchten Legitimität, und sie waren von Machtnetzwerken umgeben, die an
       ihnen zerrten. Dass sie nicht gewählt werden mussten, machte es ihnen kaum
       leichter.
       
       ## Unerzogene Jungs und gestörte Narzissten
       
       „Die Zeit ist aus den Fugen“, heißt es bei Hamlet. In den USA vollzieht
       sich nicht nur das Abgleiten in einen neuen Autoritarismus. Der Präsident
       schickt seine Menschenjäger aus – Abschiebebeamte, die Leute von der Straße
       wegfangen. Zuletzt entfaltete sich ein Beziehungsdrama der bizarren Art:
       Die lange zelebrierte Liebe zwischen dem alternden Wirrkopf Donald Trump
       und dem crazy Spinner Elon Musk schlug in ihr Gegenteil um – erst in ein
       Zerwürfnis, dann in offenen Hass.
       
       Wie unerzogene Jungs und gestörte Narzissten richteten sie ihre ordinäre
       Kraftmeierei, die ihre Anhänger an ihnen bewundern, nun gegeneinander. Man
       denkt an König Lear – mit dem Trump einerseits wenig gemein hat, weil Trump
       nicht die sichtbare Güte und Liebe ausstrahlt, wie Lear das tut. Aber wie
       der alternde König Lear, der seine Nachfolge regeln will, dabei aber das
       Unheil in Gang setzt, weil ihn die Leidenschaft zur Unvernunft anstachelt,
       so kann man auch in Trump den wunderlichen Greis sehen, der seines
       Unvermögens wegen ein ganzes Imperium ruiniert.
       
       Shakespeares Charaktere – auch die Schurken – machen oft eine allmähliche
       Wandlung durch. Eine Ausnahme ist der Erzschurke Richard III. Es drängte
       sich auf, dass wir in Bad Ischl auch auf Benjamin Netanjahu zu sprechen
       kamen. Letztendlich ist Benjamin Netanjahu der größte Feind Israels und die
       größte Bedrohung der Sicherheit des Landes – und das nicht erst seit
       gestern oder ein paar Jahren.
       
       ## Das Schurkenleben des Bibi Netanjahu
       
       Selbst Zeitzeugen wie ich vergessen die Dinge ja manchmal, und man muss sie
       sich in Erinnerung rufen. Schon in den frühen neunziger Jahren hetzte
       Netanjahu gewissenlos gegen den Friedenskurs und den damaligen Premier
       Jitzhak Rabin – so wüst, so lange –, bis ein rechtsradikaler Irrer den
       Regierungschef erschoss. Mehr noch: Ohne diese Hetze hätte es die
       gigantische Friedensdemonstration nicht einmal gegeben, nach deren Ende
       Rabin ermordet worden war. Sie war die Antwort auf Netanjahus Politik des
       Hasses. Den Abzug der Pistole drückte ein rechter Wirrkopf, aber das Klima,
       das ihn motivierte, schufen Netanjahu und seine Leute. Es war, glaube ich,
       das letzte Mal, dass ich weinend vor dem TV-Gerät saß. Allein für dieses
       Verbrechen will ich Netanjahu in Den Haag sehen. Das ist fast eine
       persönliche Sache.
       
       Wie Richard III. tritt Netanjahu seit jungen Jahren als Schurke auf und
       führt in der Folge sein Schurkenleben, das zum moralischen Verfall seiner
       Umgebung beiträgt. Richard III. trieb sein Groll an – die Zurücksetzung: Er
       hinkt, hat einen Buckel, nichts Prächtiges ist an ihm. Auch in Netanjahu
       steckt diese Bitterkeit, als Sohn eines radikalen Gelehrten, der Benjamins
       älteren Bruder immer für fähiger hielt und den Jüngeren für einen
       Nichtskönner. Der Ältere, Jonathan Netanjahu, ist als Kommandeur einer
       Spezialeinheit bei der legendären Geiselbefreiung in Entebbe getötet
       worden. Ungezügelte Ambition, Ruchlosigkeit, Niedertracht und Bitterkeit
       treiben seinen Bruder nun seit Jahrzehnten an, und er zerstört sein Land –
       seiner persönlichen Macht wegen.
       
       „Gewissen ist ein Wort, gebraucht von Feigen, erfunden nur, die Starken
       einzuschüchtern.“ Das war jetzt von Shakespeare – nicht von Bibi.
       
       25 Jun 2025
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Robert Misik
       
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