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       # taz.de -- Süd- und nordkoreanischer Sporttradition: Miteinander ringen will nicht gelingen
       
       > Südkorea und Nordkorea haben sich schon über den Sport angenähert. Beim
       > traditionellen Ssireum, einer alten Form des Ringens, herrscht aber
       > Funkstille.
       
   IMG Bild: Begehrtes Motiv: ein Ssireum-Wettbewerb in Südkorea
       
       Als der Champion feststeht, jubelt die ganze Halle. In einem knappen Kampf
       hat der Mann im blauen Tuchgürtel seinen Gegner in Rot von den Beinen
       gerissen, womit das Duell entschieden war. Kurz danach schwenken
       Scheinwerferlichter durch die Arena, gefolgt von Feuerwerk. Und jetzt fährt
       der Sieger, ein Mann aus dem geografischen Zentrum Südkoreas, gekleidet in
       einen edlen Umhang, auf einer Art Thron mit Rollen durch die Halle.
       
       Diese jahrtausendealte Kampfdisziplin, ist voll von altnationaler Symbolik:
       Die beiden halbnackten Ringer, die sich auf einem runden Kampffeld aus Sand
       begegnen, tragen Stoffgurte in roter und blauer Farbe – so wie sie jeweils
       in den Flaggen Nord- und Südkoreas zu sehen sind. Die Ringseiten, von denen
       die Kämpfer starten, sind nach koreanischen Bergen benannt. Die
       Schiedsrichter tragen Trachten, wie man sie von alten koreanischen
       Gemälden oder historischen Dramen kennt. Koreanische Tradition.
       
       Nur fällt bei diesem nationalen Turnier in Mungyeong, im Zentrum Südkoreas,
       auch etwas Seltsames auf: Unter den Ringern, dem anfeuernden Publikum und
       den händeschüttelnden Offiziellen sind ausschließlich Menschen aus Südkorea
       zu finden. Fragt man nach, ob es auch mal [1][Ssireum]-Kämpfe mit Athleten
       aus Nordkorea gebe, kommen abweisende Reaktionen. Das Thema sei „heikel“,
       heißt es. Über Nordkorea zu sprechen, wo Ssireum zwar ebenso
       Traditionssport ist, ist tabu.
       
       Verständlich einerseits, Nord- und Südkorea sind verfeindet. Doch gerade
       hier verwundert die Zurückhaltung: Denn während Nordkorea ein
       diktatorischer Einparteienstaat ist, versteht sich Südkorea als liberale
       Demokratie mit Presse- und Meinungsfreiheit. „Die politischen Umstände sind
       im Moment zu schwierig“, winkt ein stämmiger, älterer Herr flüsternd ab. Er
       stellt sich mit dem Namen Brian vor, ist in Südkoreas nationalem
       Ssireum-Verband für internationale Angelegenheiten zuständig. Es hätte doch
       sowieso keinen Sinn, gibt er zu verstehen. [2][Da sei das nordkoreanische
       Atomprogramm,] das sich auch auf den Süden richtet. Und die südkoreanischen
       Militärmanöver mit den USA, die hier zahlreiche Militärbasen führen. Was
       solle man sich da austauschen?
       
       ## Gemeinsam in die Olympia-Arena
       
       75 Jahre ist es her, als zwischen den seitdem verfeindeten Staaten nördlich
       und südlich der innerkoreanischen Grenze ein Krieg ausbrach. Die
       Grenzregion entlang des 38. Breitengrads wird de-militarized zone genannt,
       entmilitarisierte Zone, ist in Wahrheit aber die wohl am stärksten
       bewaffnete Grenze des Planeten. Kontakt mit Menschen des je anderen Koreas
       ist den Leuten verboten.
       
       Aber auf der Koreanischen Halbinsel ist es in der Vergangenheit immer
       wieder der Sport gewesen, der die Bruderstaaten zumindest zu Gesprächen
       bringen konnte. Zuletzt gelang das bei den Olympischen Winterspielen 2018
       im südkoreanischen Pyeongchang: In einer angespannten Lage schaffte es
       Südkoreas Präsident Moon Jae In, eine Delegation aus Nordkorea in den Süden
       einzuladen.
       
       Bei der Eröffnungsfeier liefen Athletinnen gemeinsam in die Olympiaarena –
       und dies auch noch unter einer hellblauen Wiedervereinigungsflagge, die die
       Silhouette der gesamten Halbinsel zeigte. Beim Eishockeyturnier der Frauen
       [3][trat gar ein gesamtkoreanisches Team an.] Kim Yo Jong, die Schwester
       von Nordkoreas Diktator Kim Jong Un, reiste in den Süden und übergab
       Südkoreas Präsident Moon einen Brief.
       
       Die Spiele von Pyeongchang 2018 waren aber nicht der erste politische
       Sportcoup. 1991, zu Ende des Kalten Krieges, traten Nord- und Südkorea
       gemeinsam bei der Tischtennis-WM an, ebenso bei einem Jugendturnier im
       Fußball. 2011 siegte ein gemischtes Tischtennis-Doppel bei einem
       internationalen Einladungsturnier.
       
       ## Beliebtester Sport vor Zweitem Weltkrieg
       
       „Ssireum wäre wirklich besonders symbolträchtig für Austausch“, sagt Yoon
       Mee Hyang, eine linksliberale Politikerin und Aktivistin, in ihrem Büro in
       Seoul, hunderte Kilometer nördlich von Mungyeong. „Es würde eben auf beiden
       Seiten der Grenze darauf hinweisen, dass wir im Norden und Süden dieselben
       Ursprünge, Traditionen und auch dieselben Interessen haben!“ Yoon, die
       selbst gern Ssireum im Fernsehen verfolgt, würde sich über ein Match
       zwischen Athleten aus Nord und Süd jedenfalls freuen.
       
       In der Arena in Mungyeong wird dies zumindest angedeutet. „Uns würde es
       guttun, wenn Ssireum sich internationalisieren könnte“, ruft der 29-jährige
       Ringer Kim Duck Il gegen den Hallenlärm an. Auch wenn die Stimmung
       elektrisierend ist: Mehr als einige hundert Menschen sind nicht da. Die
       Zeiten, als Ssireum vor dem Zweiten Weltkrieg Koreas beliebtester Sport
       war, sind lang vorbei. Einige glauben, sportliche Vergleiche mit dem Norden
       könnten Ssireum einen Boost geben.
       
       Nur ist das heute so schwierig wie nie. In Südkorea gibt es ein
       Sicherheitsgesetz, das „Propaganda“ für den Feind unter Strafe stellt, was
       prinzipiell schon positive Äußerungen über Nordkorea beinhalten kann. Dies
       erklärt, warum Vertreter des Ssireum-Verbands schmallippig werden, wenn es
       um Möglichkeiten des Austauschs geht.
       
       Hinzu kommt, dass sich Ssireum nicht internationalisiert hat. Einen
       Weltverband gibt es nicht. Dies erschwert Gespräche. Denn fast immer, wenn
       der Sport als Plattform für Austausch diente, spielten sich entsprechende
       Treffen am Rande internationaler Events auf dem Boden von Drittstaaten ab.
       
       Das erst mal vielleicht größte Hindernis aber ist der jahrzehntelangen
       Teilung geschuldet. „Unsere Athleten könnten gar nicht gegeneinander
       antreten“, sagt Brian, der Offizielle. „Unsere Einteilungen in
       Gewichtsklassen sind unterschiedlich. Auch der Ring im Norden ist ein
       bisschen anders.“
       
       Seit Anfang Juni regiert in Südkorea der Liberale Lee Jae Myung, der
       angekündigt hat, nach Jahren der Konfrontation wieder den Austausch mit
       Nordkorea zu suchen. Vielleicht, so munkelt man, könnte Sport ja doch
       wieder helfen.
       
       25 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Ssireum
   DIR [2] /Atomwaffen-in-Nordkorea/!5914869
   DIR [3] /Eishockeyteam-aus-Sued--und-Nordkorea/!5483058
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Felix Lill
       
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