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       # taz.de -- Sofortprogramm der Regierung: Die Kluft wird tiefer
       
       > Unter der Regierung von Kanzler Merz und Finanzminister Klingbeil sind
       > die Aussichten auf soziale Gerechtigkeit düster. Beide zeigen
       > verteilungspolitische Ignoranz.
       
   IMG Bild: Ignorante Experten: Bundeskanzler Friedrich Merz und Finanzminister Lars Klingbeil
       
       Mit dem „Gesetz für ein steuerliches Investitionssofortprogramm zur
       Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland“ soll unser Land noch
       konkurrenzfähiger auf den Weltmärkten werden. Das ist das Leitmotiv der
       schwarz-roten Koalition unter Friedrich Merz. Der neue Kanzler geht, wie
       sein Vize Finanzminister Lars Klingbeil, von der Grundüberzeugung aus, dass
       man nur die Gewinnerwartungen der (großen) Unternehmen verbessern muss, um
       die Konjunktur in Schwung zu bringen.
       
       Auf diese Weise – so hoffen die beiden allen Ernstes – lasse sich
       „Wohlstand für alle“ schaffen, wie es die Präambel ihres
       [1][Koalitionsvertrages] in Anlehnung an Ludwig Erhard verspricht. Der
       neoliberalen Standortlogik folgend setzen CDU, CSU und SPD als erste
       wichtige Maßnahme den „[2][Investitionsbooster]“ um. Eine degressive
       „Turbo-Abschreibung“ auf bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens
       von jeweils 30 Prozent in den Jahren 2025, 2026 und 2027 verschafft großen
       Unternehmen höhere Gewinne, die anschließend geringer besteuert werden,
       weil der Körperschaftsteuersatz ab 2028 in fünf Jahresschritten von 15 auf
       10 Prozent sinkt.
       
       Nur zur Erinnerung: Unter dem christdemokratischen [3][Bundeskanzler Helmut
       Kohl betrug die Körperschaftsteuer], gewissermaßen die Einkommensteuer der
       Kapitalgesellschaften (AGs und GmbHs), noch 30 oder 45 Prozent, je nachdem,
       ob die Gewinne ausgeschüttet oder einbehalten wurden. Gerade angesichts der
       Exportlastigkeit von Deutschlands Industrie wäre es viel sinnvoller, die
       unberechenbare Außenwirtschaftspolitik, allen voran die Zollpolitik des
       US-Präsidenten Donald Trump, mit einer Stärkung der Binnenkaufkraft zu
       beantworten.
       
       Dem britischen Ökonomen John Maynard Keynes folgend, sollte man durch eine
       deutliche Anhebung des [4][gesetzlichen Mindestlohns] sowie der
       Sozialtransfers die Geringverdiener/innen und die Menschen im
       Transferleistungsbezug materiell besserstellen, weil sie das zusätzliche
       Einkommen zeitnah ausgeben und dadurch die Konjunktur ankurbeln würden. So
       könnte man die Unternehmen – eher als mit Steuervergünstigungen und
       Subventionen – veranlassen, mehr zu investieren, um die wachsende Nachfrage
       zu befriedigen.
       
       ## Gesteigerte Gewinnaussichten
       
       Verteilungspolitisch steht die CDU/CSU/SPD-Koalition unter Bundeskanzler
       Friedrich Merz jedoch nicht aufseiten der Armen und sozial Benachteiligten,
       sondern aufseiten der Wohlhabenden, Reichen und Hyperreichen. Ihr erstes
       wichtiges Gesetzgebungsverfahren bezweckt denn auch nicht eine materielle
       Besserstellung von Menschen im Niedriglohnsektor oder im
       Transferleistungsbezug, sondern eine Verbesserung der Gewinnaussichten von
       Unternehmen.
       
       Auch von einer weiteren Maßnahme des Investitionssofortprogramms
       profitieren gemäß der sozialdarwinistischen Maxime, die Starken anstelle
       der Schwachen zu unterstützen, praktisch nur gewinnträchtige, nicht aber
       notleidende Betriebe. Anstatt das milliardenschwere Dienstwagenprivileg für
       leitende Angestellte, die ihren Firmenwagen auch für Privatfahrten nutzen,
       endlich abzuschaffen, erhöhen CDU, CSU und SPD die Bruttopreisgrenze bei
       der steuerlichen Förderung von [5][elektrisch betriebenen Dienstwagen] auf
       100.000 Euro.
       
       Wer solche Nobelkarossen kauft, braucht aber definitiv keine Förderung
       durch den Fiskus. Will man damit etwas für den Schutz der Umwelt und die
       Transformation der heimischen Autoindustrie tun, wäre eine breite Streuung
       der staatlichen Fördermittel sehr viel effektiver. Angeblich stehen „alle
       Maßnahmen des Koalitionsvertrages“, wie dort ausdrücklich festgehalten
       wird, „unter Finanzierungsvorbehalt.“ Für die jetzt geplanten Maßnahmen
       gilt das aber offenbar nicht.
       
       Denn obwohl sie wahrscheinlich die teuersten der gesamten Legislaturperiode
       sind, wenn man von Rüstungsprojekten absieht, werden sie beschlossen, ohne
       dass der Bundeshaushalt steht. CDU, CSU und SPD rechnen mit
       Steuerausfällen von beinahe 46 Milliarden Euro allein in der laufenden
       Legislaturperiode. Sie glauben allerdings, die Ausfälle durch Einnahmen aus
       einer florierenden Wirtschaft mit der Zeit kompensieren zu können, was an
       den „Lügenbaron“ Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen erinnert, der
       sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen haben will.
       
       ## Geldgeschenke an Kapitaleigner
       
       Trotz knapper Finanzmittel und extrem teurer Aufrüstungspläne, die zwar
       über Kredite finanziert werden sollen, deren Zinsen und Tilgung aber den
       Bundeshaushalt enorm belasten werden, verteilt die CDU/CSU/SPD-Koalition
       großzügige Geldgeschenke an Kapitaleigner. Da die Länder und vor allem die
       Kommunen hohe Steuerausfälle treffen, sorgt der Bund zunächst für eine
       Kompensation. Zu erwarten ist mehr öffentliche Armut als Folge einer
       weiteren Konzentration des privaten Reichtums.
       
       Man muss kein Prophet sein, um vorhersehen zu können, dass die soziale
       Ungleichheit zunehmen wird, was Gift für den gesellschaftlichen
       Zusammenhalt und eine akute Gefahr für die Demokratie ist. Wenn noch mehr
       Bevölkerungskreise die soziale Ungerechtigkeit in Deutschland wachsen
       sehen, wird die AfD bei Wahlen weiter zulegen. Der organisierte
       Rechtsextremismus ist nicht durch „gutes Regieren“ im technokratischen
       Sinne zu bannen, wie Friedrich Merz, Lars Klingbeil und Markus Söder
       behaupten, sondern nur durch richtiges Regieren im Interesse der
       Bevölkerungsmehrheit.
       
       Notwendig wäre daher ein Sofortprogramm der Bundesregierung zur Bekämpfung
       der wachsenden Alters-, Kinder- und Familienarmut durch die Einführung
       einer [6][Kindergrundsicherung], Maßnahmen zur Belebung des öffentlichen
       Wohnungsbaus, um Wohnungsnot und Mietenexplosion entgegenzuwirken, und
       nötig wären Schritte zur Beendigung des Pflegenotstandes sowie zur
       Verbesserung der sozialen, Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur.
       
       26 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.koalitionsvertrag2025.de/
   DIR [2] /Information-aus-Regierungskreisen/!6096401
   DIR [3] /Vorschlag-der-Wirtschaftsweisen/!5890468
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   DIR [5] /Klingbeils-Plaene-fuer-Dienstwagen/!6088516
   DIR [6] /Lisa-Paus-Kindergrundsicherung/!6026503
       
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