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       # taz.de -- Israels Vorgehen im Nahost-Konflikt: Netanjahus strategische Sackgasse
       
       > Statt über ein Ende der Besetzung nachzudenken, redet Netanjahu vom
       > „Frieden durch Stärke“. Doch kann das überhaupt funktionieren?
       
   IMG Bild: Bibi und wie er lernte, die Iranische Bombe zu malen
       
       Bestandsaufnahme: Die Waffen schweigen, der Iran ist eindeutig geschwächt,
       [1][das Atomprogramm wirft mehr Fragen auf als Antworten.] Israel bleibt
       vulnerabel inmitten feindlich gestimmter Nachbarn. In Benjamin Netanjahus
       Krieg gegen den Iran gibt es bisher weder eine Lösung noch einen
       strategischen Sieger. Nur eines ist klar: Die Region ist völlig instabil.
       
       Ein Blick auf die Vergangenheit hilft, zu bewerten, wo wir heute im
       Nahostkonflikt stehen. Vor 23 Jahren starteten die arabischen Staaten,
       angeführt von Saudi-Arabien, ihre „Land für Frieden“-Initiative. 2002 boten
       alle Staaten der Arabischen Liga Israel eine Normalisierung der Beziehungen
       und die Anerkennung an. Dafür forderten sie Israel auf, sich auf die
       Grenzen von 1967 zurückzubeziehen.
       
       Die Arabische Liga wollte einen unabhängigen palästinensischen Staat mit
       Ostjerusalem als Hauptstadt und eine Lösung der Flüchtlingsfrage. Der Iran
       unterschrieb damals diese Initiative als Mitglied der Organisation der
       Islamischen Konferenz. Später setzte sich Netanjahu über die Einigungen
       hinweg. Er lehnte ein Ende der israelischen Besatzung und einen
       palästinensischen Staat ab. Heute spricht Israels Premier von „Frieden
       durch Stärke“. Umgeben von Hybris lobt er seine militärisch-taktischen
       Erfolge und träumt von einem „Neuen Nahen Osten“.
       
       Seine Armee hat [2][die Hamas im Gazastreifen] geschwächt, doch zu welchem
       Preis? Das Gebiet versinkt in Schutt und Asche, die Bevölkerung hungert.
       
       Netanjahu blendet das aus. Schließlich hat Israel die Hisbollah im Libanon
       geschwächt, deren Anführer getötet. Syrien mit Bombenangriffen auf
       Militäranlagen nach dem Sturz von Diktator Baschar al-Assad um Jahre
       zurückgeworfen. Und nun den Iran militärisch gestutzt. Netanjahu glaubt,
       dass nichts mehr die israelische Vorherrschaft im Nahen Osten und die
       Fortsetzung der Besatzung aufhält, solange es Rückenwind aus den USA gibt.
       
       Vorbei sind die Zeiten des ehemaligen israelischen Premiers Jitzhak Rabin,
       der versuchte, die Besatzung zu beenden. Rabin wurde 1995 von einem
       jüdischen Extremisten ermordet, seine gedanklichen Nachfolger sitzen heute
       im israelischen Kabinett.
       
       ## Das Wort „Besatzung“ nimmt er nicht in den Mund
       
       Bei Netanjahu stößt die Idee „Land für Frieden“ auf taube Ohren. Das Wort
       „Besatzung“ nimmt er nicht in den Mund. Stattdessen baut er seit
       Jahrzehnten konsequent weiter ein Narrativ auf, das den Iran inklusive
       Atomprogramm als Israels größten Feind benennt. Irans Regime lieferte mit
       antiisraelischer Rhetorik dafür auch immer wieder Steilvorlagen.
       
       Keine Rolle in der Debatte spielt, dass es völlig absurd ist zu glauben,
       dass der Iran eine Atombombe gegen Israel einsetzen würde, um sofort darauf
       selbst von der Atommacht Israel ausgelöscht zu werden – insofern es dem
       Land überhaupt gelingt, eine funktionierende Atomwaffe zu bauen. Netanjahu
       hat sein Ziel erreicht. Niemand spricht über die israelische Besatzung.
       Alle sprechen über die iranische Bedrohung. Eines seiner Hauptargumente war
       stets auch, dass die Hisbollah, die Hamas und damit der Iran als deren
       Sponsor die Quelle für die Instabilität der gesamten Region seien.
       
       Derweil hat der Iran den historisch geprägten arabischen Ärger über die
       Besatzung kanalisiert und für sich instrumentalisiert. Die israelische
       Besatzung von Gaza und der Westbank ist der Grund für die Entstehung der
       Hamas. Die Gruppierung wurde zunächst nicht maßgeblich vom Iran, sondern
       von anderen arabischen Ländern unterstützt. Die Hisbollah bildete sich
       wegen Israels Besatzung des Südlibanons und wurde als schiitische
       Organisation von Anfang an vom Iran unterstützt.
       
       ## Die Stellvertreter sind Irans erste Verteidigungslinie
       
       Hätte es die Besatzungen nicht gegeben, wäre der Wunsch nach Widerstand
       obsolet. Und dann hätte sich das iranische Regime nicht diese effektiven
       Stellvertreter als verlängerter Arm aufbauen können. Sie sollten als erste
       Verteidigungslinie fungieren, wenn der Iran selbst angegriffen wird.
       
       Teherans Sicherheitsdoktrin war immer: Sollte der Iran militärisch
       angegriffen werden, können die Stellvertreter die gesamte Region ins Chaos
       stürzen. Doch in diesem letzten zwölftägigen Krieg wurde deutlich, dass
       diese Karte in der Hand des iranischen Regimes nicht mehr sticht. Die
       israelische Armee hatte es geschafft, in Folge des 7. Oktober diese
       iranischen Proxys militärisch so zu schwächen, dass sie in diesem Krieg
       keine Rolle spielten.
       
       Dennoch brachte der Iran – zur Überraschung aller – mit seinen Raketen im
       Alleingang Chaos und ein Gefühl der Verwundbarkeit nach Israel. Netanjahus
       Kalkül, dass der Iran ohne seine Proxys nicht handlungsfähig sei, ist nicht
       aufgegangen.
       
       Dass jetzt auch noch Zweifel an der erhofften Schwächung des iranischen
       Atomprogramms aufkommen, führt dazu, dass Netanjahu nun kaum mehr glaubhaft
       machen kann, dass er strategischer Sieger in diesem Konflikt ist. Es war
       anmaßend zu glauben, Israel könnte den Iran, eine der großen Regionalmächte
       neben der Türkei und Ägypten, tatsächlich militärisch ausschalten. Alle
       diese Länder besitzen eine strategische Tiefe und Verwurzelung in der
       Region, auf die Israel nicht bauen kann.
       
       ## Weit weg von einer strategischen Exitstrategie
       
       Netanjahus „Neuer Naher Osten“ hatte also einen mehr als holperigen Start.
       Nachhaltig scheint der Versuch, sich auf diese Weise gegen die
       traditionellen Regionalmächte durchzusetzen, ohnehin nicht – [3][US-Hilfe
       hin oder her.] Denn der Rest des Nahen Ostens würde eine militärische
       Dominanz Israels als koloniales, fremdbestimmtes Projekt ansehen. Das zieht
       unausweichlich Widerstand an. Durch militärische Stärke allein wird
       Netanjahu keinen „Neuen Nahen Osten“ formen. Mit seinem Vorgehen wird er
       weder Sicherheit für Israel noch Frieden schaffen können.
       
       Zurück zu den Kernproblemen: der Instabilität in der Region, der
       Palästinenserfrage und der israelischen Besatzung. Es ist Zeit, sich wieder
       auf das „Land für Frieden“-Konzept zu besinnen und diese Besatzung zu
       beenden. Das würde der Hamas, der Hisbollah und dem iranischen Regime den
       politischen Wind aus den Segeln nehmen. Auf Dauer stabil und friedlich kann
       ein neuer Naher Osten nur werden, wenn die israelische Besatzung endet.
       Alles andere führt zu taktischen Siegen Netanjahus, doch nicht zu einer
       strategischen Exitstrategie.
       
       27 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
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   DIR Karim El-Gawhary
       
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