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       # taz.de -- Sammelband zu Sport und Feminismus: Selbstverteidigung als feministische Praxis
       
       > Die Journalistin Petra Sturm und der Historiker Georg Spitaler zeigen,
       > welche Bedeutung Körperkultur für Geschlechterdebatten hat. Historisch
       > und aktuell.
       
   IMG Bild: „Die Befreiung der Frau durch den Sport“: Freizeitbetätigung feiner Damen im Jahr 1921
       
       „§ 1. Die Zeit der Rache ist gekommen!“ Diesen Paragrafen der Satzung eines
       Frauenturnvereins aus dem Jahr 1851 haben Petra Sturm und Georg Spitaler
       dem von ihnen herausgegebenen Sammelband zu „Sport und [1][Feminismus]“
       vorangestellt. Ein schönes Zitat, drückt es doch sowohl das bei diesem
       Thema nötige kämpferische Bewusstsein aus, als auch gibt es einen Hinweis
       darauf, wie alt – und dabei doch unverdienterweise vergessen – das Thema
       ist.
       
       Dabei ist in jüngerer Zeit viel von Feminismus die Rede, auch im Sport.
       Frauen fordern im Sport, was sie zurecht auch in anderen gesellschaftlichen
       Bereichen fordern. Und immer wieder ist zu lesen und zu hören, dass es doch
       ach so viele Fortschritte gebe, wie schlimm früher alles gewesen sei und
       dass gewiss bald alle Forderungen erreicht seien.
       
       Ein guter Grund für einen Sammelband, der theoretische und reflektierende
       Beiträge aus bestimmten historischen Epochen hervorholt. Der Band
       dokumentiert, das nicht nur vieles, was uns als neues Thema erscheint,
       schon eine lange Geschichte hat. Er zeigt zudem, dass früher – und heute,
       freilich in kulturellen Zusammenhängen, die westeuropäischen Lesern und
       Leserinnen nicht so vertraut sind – schon Antworten und Anregungen gegeben
       wurden, die aktuelle Bedeutung besitzen.
       
       Die Journalistin Petra Sturm und der Historiker Georg Spitaler, beide aus
       Österreich, beginnen ihren theoretischen Streifzug in den 1890er Jahren.
       Das ist nachvollziehbar, weil sich in diesem Zeitraum der Sport, wie wir
       ihn mit seinen Vereinen, Verbänden, Ligen, Rekorden und Meisterschaften
       kennen, durchsetzte und weil dies zugleich mit einem [2][Herausdrängen von
       Frauen] aus diesem neuen Phänomen einherging. Die zweite „Schlüsselphase“
       verorten Sturm und Spitaler in den 1920er Jahren, mit dem Massensport und
       dem Konzept der „neuen Frau“. Die dritte Epoche beginnt nach 1968 mit der
       neuen Frauenbewegung. Zum Abschluss gibt es noch einen Überblick zu
       aktuellen Geschlechterdebatte zum Sport.
       
       Entlang dieses Konzepts werden Beiträge präsentiert, die teils nicht oder
       kaum bekannt waren oder noch nicht in deutscher Sprache vorlagen. In diese
       Kategorie fällt etwa ein Text wie „Champion of Her Sex“ aus dem Jahr 1896,
       wo eine Amerikanerin namens „Nelly By“ über ihre alltäglichen Kämpfe
       berichtet, zu denen auch der ums Fahrradfahren gehörte.
       
       Oder der Beitrag „Die Befreiung der Frau durch den Sport“, den Marie
       Deutsch-Kramer 1929 in einer sozialdemokratischen Zeitung veröffentlicht
       hatte. Oder, recht aktuell, der Aufsatz „Sportliche Gender: Hyperbolische
       Verkörperung und/oder die Überwindung der binären Geschlechterordnung“ von
       [3][Judith Butler] 1998, der – was bei der Bedeutung der Autorin
       ungewöhnlich ist – bislang nicht auf Deutsch vorlag.
       
       ## Historische Funde und kluge Analysen
       
       Außer solchen historischen Texten gibt es auch wichtige Originalbeiträge,
       die sich mit Phänomenen wie der einengenden Frauenturnkleidung, mit der
       Bedeutung des Autorennsports für weibliche Selbstermächtigung, mit dem
       Frauensports in der DDR, mit [4][Selbstverteidigung] als feministische
       Praxis, mit der Frage, ob es Zeit für einen feministischen Fußball ist,
       oder mit „(Trans-)Feministischen Perspektiven auf Frauenkörper im Sport“
       beschäftigen.
       
       Es ist ein unglaublich verdienstvoller Sammelband, den Sturm und Spitaler
       vorgelegt haben. Die größte Stärke des Bandes ist, dass überwiegend in
       feministischen Debatten nach Beschäftigungen mit Sport gesucht wurde – und
       die Funde sind grandios. Zugleich deutet sich hier ein – im Vergleich zur
       Stärke deutlich kleineres – Manko an: Es fehlen teils Erkenntnisse, die
       sich aus dem Blick auf die weibliche Sportpraxis selbst ergeben.Die ist
       nämlich älter als der Zeitrahmen dieses Buches.
       
       Boxerinnen, Läuferinnen, Kraftathletinnen und andere Wettkämpferinnen gab
       es ja schon vor dem politischen Feminismus, dessen Debatten in dem Band
       abgebildet werden. Die Forderung nach Rache, die der grundsympathische
       Frauenturnverein 1851 erhoben hatte, basierte ja darauf, dass Frauen erst
       hinausgedrängt wurden, ehe sie um ihr Recht auf Teilhabe kämpfen mussten.
       
       1 Jul 2025
       
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