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       # taz.de -- Buch „Harry Rowohlt – Ein freies Leben“: Im Anekdoten-Universum
       
       > Vor zehn Jahren verstarb Harry Rowohlt. Alexander Solloch hat eine
       > angenmessen distanzierte Biografie über den Sprach-Beherrscher
       > geschrieben.
       
   IMG Bild: Mythen, Legenden und am Ende 14 Seiten Werkverzeichnis: Harry Rowohlt, hier bei einer Lesung 2011 in Köln
       
       Mutig, oder? Eine Biografie über Harry Rowohlt zu schreiben, diesen
       Übersetzer, Schauspieler, Sprecher; diesen wilden Kolumnisten und
       Vermittler Winnie the Poohs und der irischen Literatur, vor allem aber
       vielleicht umtriebigen Vorleser – einen, bei dem ein Abend schon mal drei,
       vier, fünf, ach: bis zu sieben Stunden dauern konnte. Bis heute rühmt sich
       der TV-Literaturkritiker Denis Scheck, dass er nie eine Rowohlt-Lesung
       besucht habe – das seien doch Geiselnahmen gewesen!
       
       Harry Rowohlt also, geboren 1945 in Hamburg, wo er am 15. Juni 2015 auch
       verstarb. Ein Mann, umgeben von einem ganzen [1][Universum an Legenden und
       Mythen und Anekdoten] und Weitererzähltem. Vier Jahre lang habe er an dem
       Buch gearbeitet, bekennt der Rundfunkjournalist Alexander Solloch gleich am
       Anfang.
       
       Einmal habe er Rowohlt zu einem Radiogespräch eingeladen, an einem
       Vormittag, mehr sei nicht gewesen. Und listet gleich darauf auf, wen er
       später alles getroffen habe, um sich von Rowohlts Leben erzählen zu lassen:
       frühe Freunde, zeitweilige Weggefährten, spätere Kollegen wie [2][Frank
       Schulz] und [3][Gerhard Henschel].
       
       Vor allem aber Rowohlts Ehefrau Ulla, die sehr offenherzig über die
       gemeinsamen, manchmal komplizierten und doch glücklichen Ehejahre
       gesprochen haben muss. Am Schluss des Buches folgen 434 Fußnoten, ein
       dichtgewebtes Personenverzeichnis von Adenauer, Konrad, über Phettberg,
       Hermes bis Zischler, Hanns. Plus ein 14-seitiges, eng getipptes
       Werkverzeichnis.
       
       Eine Fleißarbeit, die sich gelohnt hat: Solloch erzählt mit gebotener
       Distanz vom 1968er-Leben eines Verlagserben, der nichts weniger wollte, als
       einen Verlag zu erben und der diesem Nicht-Wollen glücklicherweise
       vertraute. Der sich anfangs zuweilen wünschte, Vollwaise zu werden,
       entstammte er doch einer mehr als seltsamen Familie: im Zentrum besonders
       seine Mutter Maria Rowohlt, Schauspielerin und irgendwann auch Ehefrau von
       Verleger Ernst Rowohlt, die noch auf der Hochzeit ihres Sohnes hoffte, dass
       diese Hochzeit nie stattfinden werde. Dann sein Halbbruder Heinrich Maria
       Ledig-Rowohlt, 37 Jahre und noch mehr Welten liegen zwischen ihnen; von dem
       er doch so sehr wollte, dass er sein Freund sei.
       
       Angenehm ist, dass der Biograf bei seiner Rolle als beobachtender
       Beschreiber bleibt. Er protzt auch nicht mit vorgeblichen Enthüllungen;
       gut, eine einzige gibt es davon doch, eine, bei der mancher Rowohlt-Fan
       auch wirklich sehr tapfer sein muss: Harry war HSV-Fan. Echt.
       
       Ganz nebenbei, sozusagen durch Rowohlt hindurch, erzählt Solloch von der
       fast vergessenen Kunst des Briefeschreibens. Harry Rowohlt nämlich hat
       nicht nur nahezu alle Briefe, die ihm im Laufe von Leben und Karriere
       geschickt wurden, aufgehoben und archiviert; sondern auch fast alle, die er
       geschrieben hat: sein Mittel, Freundschaften wie Feindschaften genüsslich
       zu pflegen, barsch aufzukündigen oder überhaupt liebevoll zu initiieren.
       
       Eine Kostprobe? 1976, Rowohlt lebte in München, als ihn die Mutter eines
       einstigen Schulfreundes anschrieb, ob er für diesen nicht einen Job habe.
       Die Antwort: „Wenn Heinz-Dieter (wie kann man seinem Kind nur so einen
       Namen geben?) mal nach München kommen sollte, findet er hier immer
       Verständnis und eine ruhige Poofe, aber ganz sicher keinen Job. Ansonsten
       verstehe und ehre ich Ihre Bemühungen; ich habe selbst eine Mutter und
       entsprechend zu leiden. Vielleicht können Sie sich mal mit ihr
       kurzschließen und Entsetzen austauschen.“
       
       Und selbst? Ich habe Harry Rowohlt einmal getroffen, im Sommer 2011. Für
       das Straßenmagazin Hinz&Kunzt war ich mit ihm in seiner Eppendorfer Wohnung
       verabredet: Er hatte gerade die Rolle des Hartmut Rennep in der
       [4][TV-Serie „Lindenstraße“] inne; der fiktive Nachname erkennbar ein
       Anagramm von „Penner“.
       
       Rowohlt erzählte und erzählte und kam von einem zum anderen. Etwa, dass er
       das Kölner Publikum wegen dessen prophylaktischem Lachens hasse. Oder wie
       er mal im Hamburger Literaturhaus, in dem er auftreten sollte, am Einlass
       wegen seines Äußeren abgewiesen wurde – an diesem Abend sei hier nämlich
       eine Dichterlesung.
       
       ## Mitten im Gespräch legte er einfach auf
       
       Nach einer dreiviertel Stunde stand er auf, er habe nun zu tun. Wie
       abgesprochen schickte ich ihm bald meinen ausgedruckten Text per Brief: Ob
       ich ihn richtig zitiere und so weiter. Mit bangem Herzen rief ich ihn am
       nächsten Tag an, und tatsächlich hielt er mir einen langen, eindringlichen
       Vortrag über die richtige Kommasetzung anhand aktueller Beispiele.
       
       Dass der Text noch zweimal Korrektur gelesen werden würde, mindestens, wie
       ich beschämt einwarf, interessierte ihn nicht. Mitten im Gespräch legte er
       einfach auf. Klack, weg war er. Stille.
       
       Ich sehe bis heute vor mir, wie Harry Rowohlt aus seinem Telefonier-Sessel
       aufsteht und den langen Flur entlang schlendert in sein Arbeitszimmer, sich
       an den Schreibtisch setzt und [5][die nächste zu übersetzende Seite]
       aufschlägt.
       
       14 Jun 2025
       
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