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       # taz.de -- Repression gegen Palästina-Solidarität: Davidsterne und rote Dreiecke
       
       > Nach einer Pro-Palästina-Kundgebung wurde die Aktivistin Iris Hefets am
       > Freitag bereits zum fünften Mal zeitweise festgenommen – ohne triftigen
       > Grund.
       
   IMG Bild: Iris Hefets wird abgeführt; auf dem Schild, das sie trug, standen die Worte „Jews against Genocide“, dazu ein roter Davidstern
       
       Berlin taz | Die Kundgebung war schon beendet, die Menge hatte sich
       aufgelöst, vor dem Rathaus Neukölln standen nur noch verstreute Grüppchen
       herum. Die israelische Psychoanalytikerin Iris Hefets unterhielt sich dort
       mit zwei Freundinnen, als zwei Polizisten auf sie zukamen. Sie wollten das
       Schild, das sie während der Kundgebung hochgehalten hatte und nun vor sich
       auf dem Boden hielt, noch einmal inspizieren. Hefets antwortete, die
       Polizei kenne das Schild doch schon – es sei schon einmal beschlagnahmt und
       ihr als unbedenklich zurückerstattet worden; ein roter Aufkleber des
       Landeskriminalamts mit der Vorgangsnummer haftete deshalb noch am Griff.
       
       Die Beamten beharrten jedoch darauf, sie solle mit zu einem Polizeiwagen
       kommen, damit das Schild dort untersucht werden könne. Als sich Iris Hefets
       weigerte und anbot, die Polizisten könnten das Schild doch auch vor Ort
       fotografieren, zögerten die Beamten nicht lange. Zwei kräftige Männer
       griffen zu und schleiften die 60-Jährige über den Platz bis zu ihrem
       Mannschaftswagen, der um die Ecke geparkt war. Dort wurde Hefets über eine
       halbe Stunde lang von zwei Dutzend Polizisten bewacht, während sie
       durchsucht wurde und man ihre Personalien aufnahm.
       
       Die Linke Neukölln hatte am Freitagnachmittag zu einer Kundgebung „Für
       Frieden und ein Ende des Völkermords in Gaza“ aufgerufen. Rund 300 Menschen
       waren zu der Kundgebung gekommen. Über dem Platz wehten neben
       palästinensischen Fahnen auch Flaggen der Linkspartei und der Grünen.
       
       Bei der Kundgebung sprachen unter anderem der linke Bundestagsabgeordnete
       Ferat Koçak sowie die beiden Fraktionsvorsitzenden der Linken und der
       Grünen in Neuköllns Bezirksverordnetenversammlung, der Anwalt Ahmed Abed
       und die Sozialpädagogin Samira Tanana. Unterbrochen wurden ihre Reden von
       „Free Palestine“-, „Hoch die internationale Solidarität“- und anderen
       Rufen. Nach rund einer Stunde endete die Kundgebung ohne besondere
       Zwischenfälle.
       
       ## Polizei wittert heimliche Sympathiebekundung mit Hamas
       
       Die Polizei wurde erst am Ende aktiv, als die meisten Teilnehmer und die
       Redner schon gegangen waren. Auch eine junge Frau wurde vorübergehend
       festgehalten. Sie hatte eine Fahne gehalten, auf der eine schwarz-weiße
       Faust abgebildet war. Die Polizei prüfte, ob es sich dabei um die verbotene
       „Hirak-Faust“ handelte, die mit dem verbotenen Verein Samidoun in
       Verbindung gebracht wird. Sie ähnelte allerdings eher der „Black
       Power“-Faust, die bei den Black Lives Matter-Demos gezeigt wurde.
       
       Auf dem Schild, das Iris Hefets bei der Kundgebung trug, standen die Worte
       „Jews against Genocide“, dazu ein roter Davidstern. Auf der Rückseite des
       Plakats stand „Another Jew for a free Palestine“, dazu ein Davidstern, der
       aus zwei Dreiecken in den Farben Rot und Grün bestand, auf weißem Grund in
       einem von Schwarz umgebenen Kreis, zusammen sind das die palästinensischen
       Nationalfarben.
       
       Die Polizei wittert dahinter womöglich eine heimliche Sympathiebekundung
       mit der Hamas. Denn die Hamas hat in Videos rote Dreiecke benutzt, um
       Feinde und Angriffsziele zu markieren, weshalb die ehemalige
       Innenministerin Nancy Faeser diese geometrische Form in Rot im vergangenen
       November verboten hat. Ein rotes Dreieck kommt allerdings auch in der
       Nationalflagge Palästinas vor, die in Deutschland nicht verboten ist. Das
       Symbol ist also mehrdeutig.
       
       Iris Hefets ist Schikanen gewöhnt. Sie engagiert sich seit Jahren im Verein
       „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden“, der sich mit
       Palästinenserinnen und Palästinensern solidarisiert, und war dessen
       Vorsitzende. Der Verein steht in der Kritik, weil er einen Boykott Israels
       fordert. Mehr als einmal wurde ihm das Konto gesperrt – zuletzt im
       vergangenen Jahr vor dem „Palästina-Kongress“, den der Verein mit
       organisierte und der von der Polizei mit Gewalt aufgelöst wurde. Denn seit
       dem 7. Oktober 2023 und Israels jüngstem Krieg in Gaza hat die Repression
       deutscher Behörden gegen propalästinensische Proteste nochmals deutlich
       zugenommen.
       
       ## Zeichen der politischen Verfolgung
       
       Iris Hefets wurde seitdem zum fünften Mal von der Polizei festgehalten. Das
       erste Mal wurde sie Ende 2023 verhaftet, als sie alleine auf der Straße
       stand und ein Schild in die Höhe hielt, auf dem in Handschrift geschrieben
       stand: „Als Jüdin und Israelin: Stoppt den Genozid in Gaza“. Beim zweiten
       Mal bekam sie für dieses frühere Schild sogar eine Strafanzeige wegen
       Volksverhetzung, das Verfahren wurde aber eingestellt. Das dritte Mal wurde
       ihr ein anderes Schild abgenommen. Ihr aktuelles Schild konfiszierten
       Polizeibeamte im Dezember 2024 bei einer Kundgebung am Wittenbergplatz im
       westlichen Zentrum von Berlin.
       
       Nach mehr als drei Monaten erhielt Hefets das Schild Anfang Mai zurück:
       Nachdem sie der Behörde deswegen geschrieben hatte, durfte sie es vom LKA
       abholen. Nun bekam sie deshalb wieder Probleme. Dabei hatte sie sogar einen
       amtlichen Nachweis vom LKA dabei, dass das Schild unbedenklich und die
       Anzeige eingestellt worden sei. „Keine Strafbarkeit: rotes Dreieck als Teil
       des Davidsterns“, steht wörtlich in dem Schreiben.
       
       Den Vorwurf, bewusst Hamas-Assoziationen wecken zu wollen, weist Iris
       Hefets entschieden zurück. Auf ihren früheren Schildern sei gar kein
       Davidstern und daher auch kein Dreieck gewesen. Das rote Dreieck im
       mehrfarbigen Davidstern weise zudem, anders als die angebliche
       Hamas-Variante, mit der Spitze nach oben. Zudem sei das rote Dreieck kein
       exklusives Zeichen der Hamas, fügt sie hinzu: im Dritten Reich seien damit
       politisch Verfolgte markiert worden. Wenn überhaupt, dann habe sie darauf
       anspielen wollen.
       
       ## Polizeigewalt bei Palästina-Kundgebungen
       
       Unklar ist, warum die Polizei erst nach der Kundgebung eingriff. Wäre das
       Schild wirklich so gefährlich, hätte sie schon während der Veranstaltung
       zugreifen müssen. Iris Hefets wurde von der Polizei mitgenommen,
       festgehalten und durchsucht, sie nahmen ihre Personalien auf. Angemessen
       und verhältnismäßig wirkt das nicht, zumal sie und das Schild den Behörden
       ja bereits bekannt waren. Die Polizei äußerte sich bis Redaktionsschluss
       nicht zu den Fragen der taz. „Ich werde als Jüdin politisch verfolgt“, sagt
       Hefets. „Sie wollen uns einschüchtern und verhindern, dass sich Juden mit
       Palästinensern solidarisieren“, glaubt sie.
       
       Videos von unverhältnismäßiger Polizeigewalt gegen propalästinensische
       Demonstranten in Berlin machen schon seit Monaten in den Sozialen Medien
       die Runde und prägen weltweit das Bild der deutschen Hauptstadt. Zuletzt
       waren solche Szenen bei Kundgebungen zum [1][„Nakba-Tag“ Mitte Mai] zu
       sehen. Für politische Debatten sorgte aber viel mehr, dass dort ein
       Polizist verletzt worden sein soll. Im Oktober 2023 hat die Berliner
       Polizei eine BAO („Besondere Aufbauorganisation“) gegründet, die
       ausschließlich Straftaten im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt verfolgt.
       Nach kaum einem Jahr hatte die Dienststelle bereits über 5.000 Anzeigen
       ausgestellt, berichtete im vergangenen September die Boulevardzeitung B.Z..
       Wie viele davon solche Bagatellen sind, die wie schwere Straftaten
       behandelt werden, ist schwer zu sagen.
       
       ## Ein Bundestagsabgeordneter übt Kritik
       
       In seiner Rede bei der Kundgebung hatte Ferat Koçak das Vorgehen von
       Politik und Behörden kritisiert. „Menschen wollen für ihre ermordeten
       Kinder, Freunde, Familien hier protestieren können“, sagte er. Aber die
       Polizei gehe „brutal rein“. Koçak erwähnte in seiner Rede auch, dass sogar
       jüdische Israelis, „die mit uns gegen den Genozid in Gaza protestieren“,
       verhaftet würden. „Das ist doch Antisemitismus!“, rief er unter Applaus.
       
       Später kehrte Koçak zum Rathaus Neukölln zurück, nachdem er von der
       Verhaftung gehört hatte. Auf X teilte er ein Foto des Plakats und der
       Festnahme von Iris Hefets und kritisierte die Polizei: „Das ist nichts
       anderes als politische Repression – gegen Menschen, die das Leid der
       Palästinenserinnen sichtbar machen“, schrieb er dazu. „Dass ausgerechnet in
       Deutschland wieder Jüdinnen festgenommen werden, zeigt auf erschreckende
       Weise: Dieses Land hat aus seiner Geschichte nichts gelernt.“
       
       7 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Nakba-Tag-in-Berlin/!6088163
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Bax
       
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