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       # taz.de -- DDR-Architekturzeichnungen: Die Subversion des Volkseigentums
       
       > Eine Berliner Ausstellung zeigt unbekannte Architekturzeichnungen aus der
       > DDR. Sie offenbaren eine quälende Spannung zwischen Vision und
       > Wirklichkeit.
       
   IMG Bild: Tropische Platte: „Balkonträumereien“ von Lutz Brandt, 1983
       
       „My home is my castle“, sagt der Engländer, aber wohl nirgends wurde dieser
       eherne Grundsatz zäher verteidigt als damals im Ostblock. Eine besondere
       Rolle im Plattenbau spielte, so vorhanden, der Balkon. Er wurde mindestens
       als Lagerraum, gern aber als zusätzliches Wohnzimmer genutzt. Auf der
       Brüstung angebrachte Fenster machten ihn nutzbar auch bei Wind und Wetter.
       
       Dem Wunsch nach Ausbau hat der Ostberliner Architekt und Designer Lutz
       Brandt Gestalt gegeben und konnte seine „Balkonträumereien“, wie er selbst
       sie nannte, sogar als Serie „Wohnraumberatung“ in einer DDR-Illustrierten
       veröffentlichen. Das freilich erregte den Unmut von Funktionären, die
       subversiven Umgang mit Volkseigentum befürchteten. Für die Leser wirkten
       die liebevoll ausgestalteten Zeichnungen eher als Ventil für das, was sie
       in der Realität entbehren mussten.
       
       „Pläne und Träume“ ist die derzeitige Ausstellung des [1][Museums für
       Architekturzeichnung] der Tchoban Foundation überschrieben, und der
       Untertitel „Gezeichnet in der DDR“ lässt aufhorchen. Denn dass Architekten
       in der DDR frei gezeichnet haben, war eher nicht bekannt; wohin hätte das
       auch führen sollen, wo die Masse des Bauens doch aus industriell
       vorgefertigtem Plattenbau bestand?
       
       ## Wettbewerbe waren rar gesät
       
       „Sonderbauvorhaben“ wie das Kulturzentrum in Dresden bekamen nur die
       Wenigsten als Aufgabe. Architekten arbeiteten in Kombinaten und hatten die
       Typenbauten an die örtlichen Gegebenheiten anzupassen. Wettbewerbe waren
       rar gesät. Der städtebauliche Wettbewerb [2][für die Gestaltung von Sofia]
       bildet ein seltenes Beispiel von internationalem Austausch; die
       entsprechende Planzeichnung der DDR-Einreicher dominiert die erste
       Museumsetage.
       
       Die „Träume“ finden sich in der zweiten. Wolfgang Kil, Kenner der
       DDR-Kultur und als Architekt selbst jahrelang beim Wohnungsbaukombinat
       Berlin angestellt, hat gemeinsam mit Kai Drewes insbesondere das Archiv des
       Instituts für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) in Erkner durchforstet und
       eine Fülle von Zeichnungen zutage gefördert, die nicht auf Realisierung
       angelegt waren. Oder einfach nur aufs Bewahren.
       
       Auf den Ansichten der vom Verfall bedrohten Altbausubstanz etwa in Templin,
       die Hans-Dietrich Wellner Mitte der 1980er altmeisterlich aquarellierte,
       liegt eine leise, unübersehbare Melancholie. Ursula Strozynski gab der
       Großstadttristesse ebenfalls in den 1980ern in düsteren Kohlezeichnungen
       Ausdruck.
       
       „Die oft quälende Spannung zwischen Vision und Wirklichkeit für sich
       auszugleichen, greifen dann nicht wenige zu Bleistift, Feder, Kreide,
       Filzstift oder Aquarellpinsel, um an möglichst heilen Häusern, Stadt- und
       Landschaftspanoramen ihr seelisches Gleichgewicht wiederzufinden“, urteilt
       Wolfgang Kil in seinem lesenswerten Katalogbeitrag.
       
       Denn es ging dem Kuratorenduo gerade nicht um die bekannten Vorhaben und
       die großen Namen, nicht um Fernsehturm [3][Berlin und Hermann Henselmann],
       sondern um den Alltag derer, die Zeichnen und Entwerfen gelernt hatten und
       ihr Potenzial dennoch nie ausschöpfen durften. Etwa Dieter Bankert, der
       1968 einen in jeder Hinsicht auf Modernität getrimmten Entwurf für die
       Zentrale des VEB Carl Zeiss Jena wagte. Doch der Optimismus der Jahre um
       1970 verflog restlos.
       
       Ja, es gab Architekten in der DDR, ist das Fazit dieser konzentrierten
       Ausstellung; es gab ein weites Spektrum von beschaulicher Heimatliebe bis
       zu vorwärtsdrängenden Visionen. Und dazwischen die „Balkonträume“, für die
       es im Zweifel nicht mal Architekten brauchte, sondern nur den Mut, am
       sozialistischen Bestand Hand anzulegen. Heimwerken, man ahnt es, war schon
       immer eine gesamtdeutsche Marotte.
       
       12 Jun 2025
       
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       ## AUTOREN
       
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