URI: 
       # taz.de -- Nachruf auf US-Funklegende Sly Stone: Der Spirit des Standfesten
       
       > Er erfand den Funk mit sozialkritischem Masterplan und leitete eine der
       > ersten integrierten US-Bands. Musiker Sly Stone ist gestorben. Ein
       > Nachruf.
       
   IMG Bild: Einer seiner wenigen öffentlichen Auftritte nach 1975: Sly Stone bei der Grammy-Verleihung 2006 in Los Angeles
       
       Liebe, Freiheit und friedliches Zusammenleben. In den unruhigen,
       segregierten USA der mittleren 1960er Jahre mussten solche Attribute hart
       erkämpft werden. Es brauchte dafür künstlerischen Spirit, Standfestigkeit
       und eine klare Haltung. Von den grundlegenden Dingen jener unruhigen Zeit
       handeln die Songs des Albums „Stand!“ von Sly and the Family Stone.
       
       Musik und Texte bringen die Hoffnungen der Bürgerrechtsbewegung auf soziale
       Teilhabe und das gestiegene Selbstbewusstsein der Schwarzen Musikkultur mit
       dem Optimismus der Hippie-Ära zu etwas völlig selbstverständlichem Neuem
       zusammen: Funk. Groove und spirituelle Bestimmung waren abgeleitet von Soul
       und Gospel; Psychedelik und Experimentierfreude kamen vom Rock; und die
       Chuzpe hatte Sly Stone, der Sänger und Bandleader, als zeitweiliger
       Moderator am Mikrofon eines Radiosenders in San Francisco erprobt.
       
       Schon Mitte der 1960er arbeitete Sly Stone dort als Studioproduzent, unter
       anderem für die Sängerin Grace Slick (später Jefferson Airplane). Sly Stone
       brach im Musikbiz alle Schranken, die Schwarzen in der US-Gesellschaft bis
       dato im Weg standen. Und er schaffte als einer der Ersten den Crossover in
       die Mehrheitskultur. Sly Stone brachte etwa durch Auftritte in
       Late-Night-Talkshows tiefe Kontraste in das Farb-TV, das ungefähr
       zeitgleich mit seiner Karriere entstand.
       
       ## Wut kanalisieren
       
       „Stand!“, veröffentlicht 1969, ist vielleicht das Meisterwerk seiner Band
       Sly and the Family Stone. Denn aus der Musik spricht erhöhte Spiritualität
       („I Wanna Take You Higher“), die Lust an der Existenz („You Can Make It If
       You Try“); und ein Masterplan, die angestaute Wut in Songs zu kanalisieren,
       die etwas bewirken ([1][„Don’t Call Me Nigger, White]y“).
       
       Der Song „Everyday People“ mit der zum Slogan gewordenen Zeile „Different
       strokes for different folks“, die sich gegen die Privilegien der
       Hippie-Bohemiens wandte. Sich erheben und bewegen zur Musik „Dance to the
       Music“ (erschienen als Single, fast zeitgleich mit dem Album „Stand!“) und
       ein wütender Kommentar zu den Unruhen um 1968 „Hot Fun in the Summertime“
       (ebenfalls eine Single, veröffentlicht 1969). Diese beiden und sowie die
       acht Songs auf „Stand!“ hatten eine wichtige Botschaft und so formte sich
       das Album zum Gesamtkunstwerk.
       
       Sly Stone hatte großen Anteil daran, dass sich das englische Wort „Spirit“
       damals überhaupt in den deutschen Sprachgebrauch eingeschlichen hat. Wer
       seine filigranen Gesangsarrangements hört, die Läufe am Keyboard, merkt
       sofort den Spirit, der aus der Musik von Sly and the Family Stone spricht.
       Sly (bürgerlich Sylvester Stewart) verkörperte wie kein Zweiter den Spirit
       einer Ära, die Aufbruchstimmung der 1960er Jahre, den Willen, Dinge zu
       ändern. [2][]
       
       ## Integrierte Band
       
       [3][Sly Stone etwa leitete eine Band aus Schwarzen, Weißen und Latinx,
       Musikerinnen und Musikern]. Frauen als gleichberechtigte
       Instrumentalistinnen. „In ihrem Sound lag enorme künstlerische Freiheit.
       Die Musik war komplex, weil Freiheit an sich komplex ist“, formulierte es
       der US-Autor Greil Marcus.
       
       „Wild und anarchisch, weil der Wunsch nach (künstlerischer) Freiheit genau
       so ist. Die Musik klang ansteckend optimistisch, zärtlich, mitfühlend, wie
       eben die Realität von Freiheit.“ [4][Zur Legende geriet im August 1969 auch
       der Auftritt on Sly and the Family Stone beim Festival in Woodstock, wo die
       Band um eine Zugabe gebeten wurde.]
       
       In jener Zeit reflektierte und untermauerte Sly Stone seinen Status als
       Schwarzer Rockstar und Begründer des Funk mit dem Album „There’s a Riot
       goin’ on“ (1971) und dem Song „Family Affair“, der als einer der ersten den
       Beat von einer Rhythmusbox, einem Drumcomputer, so programmierte, dass er
       wie ein menschlicher Herzschlag pochte.
       
       ## Tiefer Fall
       
       Die 1960er Jahre waren da bereits vorbei, und mit ihnen geriet das
       affirmative Moment des Progressiven ins Hintertreffen. Nach dem steilen
       Aufstieg kommt ein tiefer Fall. Sly Stone zollte dem Tour- und
       Aufnahmestress mit exzessiven Drogenkonsum Tribut.
       
       Er veröffentlicht noch einige gute Alben in den 1970ern, ebnet dabei den
       Weg für Künstler:Innen wie Prince und Erykah Badu, aber ruiniert seine
       Karriere durch kokainhaltige Unzuverlässigkeit. In dem Dokumentarfilm „Sly
       Lives! The Burden of Black Genius“, von Ahmir „Questlove“ Thompson (2025),
       wird Sly Stones Genie mit der gesellschaftlichen Ausgrenzung
       zusammengedacht, der das Schwarze Amerika trotz Erlangung der Bürgerrechte
       auch in den 1970er und später weiter begegnete. Sly Stone konnte sich
       zunächst befreien; die Lust am freien Dasein kollidierte mit der Last
       seiner künstlerischen Begabung.
       
       Erst als Großvater konnte er sich von den Drogen wieder befreien. Am
       Pfingstmontag ist er im Alter von 82 Jahren gestorben.
       
       10 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Nicht-bloss-fuer-15-Minuten/!434705&s=Sly+Stone&SuchRahmen=Print/
   DIR [2] /Maurice-Summen-ueber-sein-neues-Album/!5456651
   DIR [3] /Maurice-Summen-ueber-sein-neues-Album/!5456651
   DIR [4] /Buecher-ueber-legendaeres-Festival/!5158053
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julian Weber
       
       ## TAGS
       
   DIR Funk
   DIR Nachruf
   DIR USA
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR GNS
   DIR Black Atlantic
   DIR Beach Boys
   DIR Brasilien
   DIR Prince
   DIR Funk
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Neues Album von Mourning [A] BLKstar: Die verbindende Kraft des Funk
       
       Das Kollektiv Mourning [A] BLKstar mischt Gospel mit Blues, Jazz mit
       HipHop, Funk mit Elektronik. Ihre Musik klingt zeitlos und zukünftig
       zugleich.
       
   DIR Zum Tod von Beach Boy Brian Wilson: Tragödien, Surfer und Teenagesinfonien
       
       Mit den Beach Boys schuf Brian Wilson unbeschwerte Welthits voll
       kalifornischer Sonne. Als Mensch hatte es der begnadete Komponist nicht so
       leicht.
       
   DIR Meisterwerk von João Donato: Gänsehaut auf dem Arsch
       
       „A Bad Donato“, das bedeutendste Werk des Künstlers João Donato wird
       wiederveröffentlicht. Warum seine Musik immer noch unerreicht klingt.
       
   DIR Nachruf auf Prince: Die Farbe Lila
       
       Prince war ein genialer US-Multiinstrumentalist, ein wieselflinker
       Funkateer, ein transgressiver Popstar. Unfassbar, dass er nun tot ist.
       
   DIR D’Angelo in Berlin: Unnachgiebig, präzise, das Herz klopft
       
       „Black Messiah“: Flankiert von seiner Band The Vanguard gibt der Sänger
       D'Angelo ein triumphales Konzert mit der Dramaturgie eines Gottesdienstes.