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       # taz.de -- Loveparade-Unglück in Duisburg: Ein schmerzhafter Spaziergang
       
       > Der Karl-Lehr-Tunnel in Duisburg ist eine Verbindung in die Innenstadt.
       > Vor 15 Jahren zwängten sich die Loveparade-Besucher durch. Es folgt eine
       > Katastrophe.
       
   IMG Bild: Erinnerung an die Loveparade-Opfer in Duisburg
       
       Duisburg taz | Eher noch eine Brücke oder schon ein Tunnel? Was verband da
       in der Mitte des 19. Jahrhunderts das Dorf Neudorf mit der wachsenden
       Industriestadt Duisburg, die nebenan ihr Bahngelände hatte? Auf dem
       historischen Stadtplan ist es nicht genau zu erkennen, sicher aber ist:
       Zwei Paar Schienen konnte man über- oder unterqueren. Die sich bald
       vermehrten: Damals baute jede Eisenbahngesellschaft ihren eigenen Bahnhof
       mit eigenen Gleisen, bald gab es davon vier. All die Kohle, all der Stahl
       und was aus ihm geschmiedet wurde, es wollte transportiert werden.
       
       Und es wurde ein autotauglicher Rundtunnel gebaut, die Straße wie Tunnel
       benannt nach Karl Lehr, Bürgermeister von 1879 bis 1914, der Duisburg
       weiter industrialisiert hat. Neudorf, längst eingemeindet, zeigt heute
       einen Stilmix aus kleinen, großen, adretten und verbauten Häusern. Dazu ein
       Supermarkt im Flachbau, an der nächsten Ecke ein Altenheim mit
       Automatiktür. Was sieht man, wenn man sich nach Ruhrpott-Art ein Kissen
       aufs Fensterbrett legt und nach rechts in die Welt schaut?
       
       ## Flackerndes Licht, hallendes Dröhnen
       
       Es geht hinab ins Dunkle, ein schmaler Streifen für die Fußgänger, einer
       für die Radfahrer, in der Mitte des Tunnels der Platz für die Autos. Die
       Durchfahrthöhe bemisst drei Meter achtzig. Über allem flackert abwechselnd
       mal weißes, mal gelbes Neonlicht. 400 Meter lang.
       
       Wie von selbst beeilt man sich, geht schnell, das hallende Dröhnen der
       Autos im Kopf. Gleich ist es geschafft, vor einem das Tunnelende,
       plötzlich kommt davor eine Abbiegung nach rechts leicht hinauf ins Helle:
       Hier gingen sie, Tausende von meist jungen Menschen, am Nachmittag des 24.
       Juli 2010. Eine kleine Rampe führte auf das Gelände des nicht mehr
       benötigten Güterbahnhofes zur Duisburger Loveparade. Ein Nadelöhr. Immer
       mehr Besucher drängten aus dem bald überfüllten Tunnel von unten nach oben,
       andere wollten wieder umkehren, von oben nach unten. Bauzäune standen im
       Weg, Absperrungen, Container. Die Ersten stürzten, Panik brach aus, die
       Musik lief, Bässe wummerten. 21 Tote, hunderte Verletzte.
       
       Die Stadt wollte danach schnell zur Tagesordnung übergehen, für ein paar
       Tage war der Tunnel gesperrt, um trauern zu können. Dann lief der Verkehr
       wieder; die Rampe, den Unglücksort wollte man zuschütten. Schließlich hatte
       man jeweils alles richtig gemacht, ansonsten hatte der andere Schuld: der
       Veranstalter, die Behörden, die Polizei, die Besucher. Ein Prozess begann
       viel zu spät und endete abrupt, [1][weil Verjährungsfristen griffen].
       Immerhin setzten sich die Duisburger BürgerInnen durch und erkämpften sich
       ihren Gedenkort.
       
       Dieser Gedenkort ist wirklich mal divers, er ist seltsam und berührend und
       nicht kunstkommissionsmäßig durchdesignt: Auf einer schwarzen Plane
       versammeln sich 21 weiße Kreuze, in Grablichtern steht vom letzten Regen
       das Wasser, Plastikengel recken ihre Plastikhände gen Himmel. Kann man in
       der Trauer, in der Anteilnahme, etwas falsch machen?
       
       Eine Familie kommt hinzu, sie bleibt eng zusammen, die älteste Tochter legt
       vor einer der Gedenktafeln Blumen nieder. Und dann findet man ins Reden,
       langsam und vorsichtig. Die Familie ist von nebenan, aus Mülheim. Wo war
       man, als das Unglück passierte? Es wird erzählt: Unser Kind, auf den Weg
       ins Feier-geh-Alter, kam aus seinem Zimmer, der Video-Livestream zur
       Loveparade sei plötzlich abgeschaltet worden, wunderte es sich. Es ging zum
       Kühlschrank, nahm sich etwas zu trinken, es war ja ein heißer Tag, ein
       Sonnabend, es ging wieder in sein Zimmer, zog die Tür hinter sich zu.
       Abends dann gemeinsam die Nachrichten geschaut, die Sondersendung.
       
       Wir sitzen da auf den schönen Holzbänken. Schauen auf die Porträts der hier
       so jung Gestorbenen, einige der Fotos sind verblichen, andere fast wie neu.
       Lesen die Namen. Eine der jungen Frauen kam aus China, eine aus Australien.
       
       ## Am Geländer ein Turnschuh
       
       Die Familie möchte langsam weiter. Der jüngste Sohn, vierzehn, sitze im
       Auto und warte, er habe nicht mitgewollt, erzählt die Mutter. Zu traurig.
       „Das ist in Ordnung“, sage ich und spreche das Fragezeichen nur halb. „Aber
       natürlich“, sagt sie. Wir schauen auf den Turnschuh, der hier seit 15
       Jahren an einem Geländer hängt und der mal jemanden gehört hat, der
       hoffentlich davongekommen ist und dem es heute wieder gut geht, und dann
       wünschen wir uns jeweils einen guten Tag, trotz allem und gerade deswegen.
       
       Zurück im dröhnenden Tunnel, quert an dessen Ende die Autobahn A 59, auf
       der damals die Rettungshubschrauber landeten. Eingefasst in
       Lärmschutzwänden aus Plexiglas, dass es die folgenden Häuser nicht ganz so
       verschattet. Nun ist Duisburg-Dellviertel erreicht, ein gediegener
       Innenstadtteil, solide Häuser mit großen Gärten hinter dichten Hecken.
       
       Rechtsherum geht es nun die Düsseldorfer Straße hoch, Richtung Innenstadt.
       In der Mitte der Düsseldorfer der Immanuel-Kant-Park und in ihm [2][das
       Lehmbruck-Museum] mit seinem schönen Skulpturengarten. Ein bisschen Kunst
       schauen, [3][Toni Stadlers „Kniende Figur“] anfassen, das wird jetzt
       guttun.
       
       24 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Loveparade-Prozess-endgueltig-eingestellt/!5677574
   DIR [2] https://lehmbruckmuseum.de/de/
   DIR [3] https://skulpturen.kulturraum.nrw/duisburg/toni-stadler/eos.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Frank Keil
       
       ## TAGS
       
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