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       # taz.de -- Zum „Nationalen Veteranentag“: Gehört die Bundeswehr in die Mitte der Gesellschaft?
       
       > Der Veteranentag soll das Image der Bundeswehr verbessern. Eine
       > Veteran*in, ein baldiger Soldat und ein Verweigerer erzählen, was sie
       > davon halten.
       
   IMG Bild: Für seinen Kriegskurs 1999 blutrot markiert: das Ohr von Joschka Fischer
       
       Am Sonntag findet in Berlin erstmalig der [1][„Nationale Veteranentag“]
       statt. Damit soll Veteran:innen der Bundeswehr Respekt gezollt und das
       gesellschaftliche Bild der Truppe verbessert werden. Eine Veteran:in, ein
       Verweigerer und ein 18-jähriger, der sich für 17 Jahre verpflichtet hat,
       erzählen, was sie davon halten.
       
       ## „Im Ernstfall nicht marschieren“
       
       Samira F. ist Veteran*in und bereitet mit dem provisorischen
       [2][anarchistischen Antikriegsrat] seit über einem Jahr Proteste gegen den
       Veteranentag vor. 
       
       Die Veranstalter des Veteranentags beanspruchen, für 10 Millionen Menschen
       zu reden, die seit 1955 in der Bundeswehr „gedient“ haben. Es wird dabei
       kein Unterschied zwischen Wehrpflichtigen und Freiwilligen gemacht. Ich bin
       auch ein*e Veteran*in, bin aber wie viele ehemalige Wehrpflichtige einfach
       vereinnahmt worden durch die Veranstalter.
       
       Ich absolvierte im Jahr 1985 einen 15-monatigen Grundwehrdienst in einer
       Kaserne in Augustdorf zwischen Bielefeld und Paderborn, die den Namen des
       Wehrmachtsoffiziers Erwin Rommel trug. In der Kaserne gab es
       NS-verherrlichende Symbole und wir mussten in unserer Einheit
       kriegsverherrlichende Lieder zu singen, die eigentlich verboten waren.
       
       Doch es gab in unserer Kaserne auch Widerstand. So wurde die
       [3][anarchistische Soldaten-Zeitung Rührt Euch] breit verbreitet und von
       den Soldaten gerne gelesen. Ich wurde verdächtigt, etwas mit der illegalen
       Zeitung zu tun zu haben, was aber nie bewiesen werden konnte.
       
       Ich habe bei meinem Wehrdienst erlebt, wie sich Soldaten selbst
       verstümmelten, nur um den Militärübungen zu entgehen. Ich wurde in einer
       Einheit zu Panzerspähsoldaten ausgebildet, die im Ernstfall in den
       „feindlichen Linien“ operieren sollten. Das überlebt kaum jemand, was den
       Soldaten bewusst war. Es gab innerhalb „meiner“ Kompanie etwa 30 Soldaten,
       die schriftlich erklärten, sie würden im Ernstfall nicht marschieren.
       
       Diese Erlebnisse motivierten mich auch zum Wurf des Farbbeutels, mit dem
       ich den grünen Außenminister Joseph Fischer beim Sonderparteitag 1999 in
       Bielefeld blutrot markierte. Es war klar, dass Fischer für seinen
       Kriegskurs eine Mehrheit auf dem Parteitag finden würde. Mir war klar, dass
       ein Befehl von oben zum Kriegführen bei den Soldaten unten mehr Drill und
       mehr Repression bedeuten würde.
       
       Ich bin aktiv im provisorischen anarchistischen Antikriegsrat, der hat sich
       nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine gegründet. Mit dem
       Veteranentag sollen auch alle durch die Kriegsbeteiligung traumatisierten
       Veteranen an die Bundeswehr gebunden werden, indem argumentiert wird, dass
       sie hier eine Gemeinschaft finden, die sie auffängt. Doch das ist eine
       Instrumentalisierung.
       
       Wir fordern die Veteranen auf, sich gegen eine Bundeswehr und eine
       Gesellschaft zu stellen, die wieder kriegsfähig gemacht werden soll. Wir
       wollen zu jeder vollen Stunde mit Lärm und Transparenten unsere
       antimilitaristischen Forderungen deutlich machen. Und ermutigen alle, dann
       auch innerhalb des Geländes am Reichstag antimilitaristisch sichtbar zu
       werden.
       
       Protokoll: Peter Nowak 
       
       ## „Die Gefahr scheint mir weit weg“
       
       Marc-Luca Reiser, 18, hat sich für 17 Jahre verpflichtet und beginnt im
       Juli seine Grundausbildung. Danach wird er bei der Bundeswehr Medizin
       studieren.
       
       Ich fange im Juli meine Grundausbildung an. Nach den drei Monaten werde ich
       dann bei der Bundeswehr Medizin studieren. Ich möchte Soldat werden, um
       Deutschland im Verteidigungsfall zu schützen. Bisher haben wir ja noch eine
       Verteidigungsarmee. Gleichzeitig ist es mein Traum, Arzt zu werden, um
       Menschen zu helfen. Beides motiviert mich sehr, wenn ich mich aber
       entscheiden müsste, würde ich das Medizinische wählen.
       
       Schon als kleines Kind wollte ich Arzt werden. Das Interesse an der
       Bundeswehr kam dann über einen privaten Kontakt. Auf einer Jobmesse, die
       wir mit der Schule besuchten, habe ich mich intensiver damit beschäftigt.
       Kurz darauf habe ich in einem Karrierebüro der Bundeswehr erfahren, dass
       ich dort Medizin studieren kann.
       
       Angst vor einem drohenden Krieg habe ich nicht. Ich blicke da relativ
       gelassen drauf, die Gefahr scheint mir immer noch weit weg zu sein. Solange
       kein Nato-Staat angegriffen wird und wir weiterhin nur im Verteidigungsfall
       Truppen aussenden, natürlich.
       
       Die ganzen Militärübungen, die gerade durchgeführt werden, sehe ich auch
       ein bisschen als Provokation von beiden Seiten. Ich glaube aber nicht, dass
       die Bundeswehr einen Krieg will. Was die Bundeswehr macht, ist ja von der
       Politik angeordnet. Da laufen sehr viel mehr Prozesse im Hintergrund als
       dass einfach jemand sagt, ‚wir machen jetzt ein Manöver in der Ostsee und
       provozieren irgendwen‘.
       
       Ich bekomme natürlich mit, dass viele die Nato-Übungen kritisch sehen und
       Angst davor haben, dass der Krieg in der Ukraine weiter eskalieren könnte.
       Aber ich glaube, wir sollten eigentlich froh sein, dass es die Bundeswehr
       gibt und sie technisch halbwegs auf neustem Stand ist. Ihr Bild in der
       Gesellschaft zu verbessern, zum Beispiel durch den Veteranentag, finde ich
       richtig. Die Bundeswehr ist ja auch ein Staatsorgan und wird durch die
       Politik eingesetzt.
       
       Sorgen mache ich mir selbst aber nicht. Solange ich in der Ausbildung bin,
       steht mir sowieso kein Auslandseinsatz bevor. Respekt vor dem Gedanken habe
       ich aber trotzdem. Es muss aber auch nicht nur im Kriegsfall etwas
       passieren, auch bei Übungen mit scharfer Munition kann es Unfälle geben.
       
       Das Berufsrisiko ist neben der langen Verpflichtungszeit einer der
       Hauptgründe, warum meine Freunde nicht zur Bundeswehr gehen würden. Ich
       gehe zwar zum Sanitätsdienst, wäre aber prinzipiell auch bereit gewesen, in
       anderen Einheiten eingesetzt zu werden.
       
       [4][Deutsche Waffenlieferungen] an Nicht-Nato-Staaten lehne ich allerdings
       ab. Damit mischt sich die Bundesrepublik in einer Weise ins Weltgeschehen
       ein, die ethisch nicht vertretbar ist. Meiner Meinung nach werden Kriege so
       nur weiter befeuert.
       
       Protokoll: Marco Fründt 
       
       ## „Später haben die Feldjäger mich geschnappt“
       
       Thomas Siepelmeyer ist 69 Jahre alt und [5][Kriegsdienstverweigerer]. Dafür
       saß er im Gefängnis. Geändert hat das an seiner Haltung nichts. 
       
       Ich bin überzeugt, dass es völlig falsch ist, Krieg zu führen. Seit ich 13
       Jahre alt bin, bin ich in der Antimilitarismusbewegung aktiv. In der Jugend
       haben wir viele Aktionen gemacht: Als 1967 das Friedensdorf in Oberhausen
       eröffnet wurde, haben wir uns dort mit um die kriegsverletzen Kinder aus
       Vietnam gekümmert sowie Kriegsverweigerer, die in umliegenden Kasernen der
       kleinen Stadt im Münsterland, wo wir lebten, inhaftiert waren.
       
       Mit 18 Jahren wurde ich dann zur Musterung geladen. Ich bin erschienen,
       habe mich aber geweigert, mich medizinisch untersuchen zu lassen. Ich
       verwehre dem Staat das Recht, mich fürs Töten tauglich zu befinden. Nach
       mehreren Befragungen wurde ich zurückgestellt, konnte studieren und musste
       nicht zum Dienst – bis kurz vor meinem 28. Geburtstag.
       
       Da erhielt ich einen Einberufungsbefehl zu den Panzerpionieren, inklusive
       Wehrpass. Den habe ich verbrannt und die Asche zurückgeschickt. Ein halbes
       Jahr später haben mich dann die Feldjäger an der holländischen Grenze
       geschnappt. Dann saß ich 9 Monate in Münster im Knast wegen totaler
       Kriegsdienstverweigerung.
       
       Ich bin nach wie vor überzeugt, dass es richtig ist, sich gegen den Krieg
       zu stellen. Umso erschreckender finde ich, wie stark jetzt wieder auf
       Kriegstüchtigkeit getrimmt wird. Ich hätte nie gedacht, dass so eine
       Stimmung gesellschaftlich nach 80 Jahren kriegerischer bis genozidaler
       Verbrechen weltweit durch Militär und bewaffnete Banden wieder aufkommen
       kann.
       
       Mir ist schleierhaft, wie die Mehrheit der Menschen in Deutschland und in
       Europa meint, dass es sinnvoll sei, aufzurüsten. Allein aus
       wirtschaftlicher Sicht ist das absurd.
       
       Wie kann man glauben, dass Panzer, Drohnen oder Schiffe ein Investitionsgut
       sein können? Die stehen nur rum und wenn es gut ausgeht, werden sie
       irgendwann verschrottet und sonst im Krieg zerstört, nachdem sie selbst
       massiv Tod und Zerstörung gebracht haben.
       
       Das ist eine Verschwendung von menschlicher Arbeitskraft und Ressourcen.
       Und dennoch steuern wir erneut genau in diese Logik: 500 Milliarden Euro
       und mehr werden lockergemacht, um ein militärisches Arsenal aufzubauen. Es
       kann nicht sein, dass das die Lehre aus unserer Geschichte sein soll.
       
       Seit dem [6][Krieg in der Ukraine] wird wieder die Linie verfolgt: „Der
       Russe ist unser Feind“. Natürlich ist die russische Regierung der
       Aggressor. Aber warum ist der Russe jetzt der besondere Feind? Was ist mit
       all den anderen Aggressoren und Kriegen, die den Westen jahrzehntelang
       nicht interessiert haben oder die er selbst geführt hat?
       
       Das ist so ein eurozentristischer Standpunkt. Ich halte das für eine
       politische Strategie, um den Bedeutungsverlust von westlichen Staaten,
       insbesondere der USA aufzuhalten.
       
       Weder Deutschland noch die anderen EU-Staaten haben ein Konzept des
       weltbürgerlichen Zusammenlebens. Wir haben keine Politik, die Menschen
       einbezieht und soziale Verteidigung ernst nimmt. Dabei existieren zivile
       Verteidigungskonzepte, etwa durch gewaltfreien Widerstand,
       Straßenblockaden, das Lahmlegen von Infrastruktur oder kreative Formen des
       zivilen Ungehorsams. Doch anstatt diese Ansätze ernsthaft zu prüfen und
       weiterzuentwickeln, werden sie als utopische Spinnereien abgetan.
       
       Einen Veteranentag finde ich lächerlich. Es ist der Versuch, der Bundeswehr
       ein progressives Image zu verpassen, obwohl ihre Traditionen in die
       Wehrmacht mit all ihren Verbrechen zurückgehen.
       
       Protokoll: Lilly Schröder
       
       13 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.veteranentag.gov.de/
   DIR [2] https://www.anarchistischefoderation.de/
   DIR [3] https://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%BChrt_Euch
   DIR [4] /Offener-Brief-an-Friedrich-Merz-/!6088603
   DIR [5] /Deutschlands-Wehrhaftigkeit/!6080677
   DIR [6] /Hohe-Verteidigungsausgaben/!6090283
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marco Fründt
   DIR Lilly Schröder
   DIR Peter Nowak
       
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