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       # taz.de -- Wie Trump Feminismus untergräbt: Das ist keine „Hexenjagd“!
       
       > Mächtige Männer wie Trump und Netanjahu inszenieren sich als Opfer einer
       > „Hexenjagd“. Das ist ein zynischer Zaubertrick der Täter-Opfer-Umkehr.
       
   IMG Bild: Was körperliche Züchtigung und Verbrennung auf dem Scheiterhaufen war, ist heute strukturelle Diskriminierung
       
       Ein kurzes Trump-Bingo: Was ist das Lieblingswort [1][des US-Präsidenten]?
       „Fake News“, „hoax“ oder „a lot of people say“? Alles falsch! Es ist „witch
       hunt“.
       
       Laut dem „Trump Twitter Archive“ hat der US-Präsident das Wort seit 2017
       auf X 767 Mal verwendet. Alles, was Trump politisch oder juristisch
       gefährlich werden könnte, ist in seiner realitätsverzerrten Parallelwelt
       eine „Hexenjagd“: die Einsetzung eines Sonderermittlers in der
       Russland-Affäre, die Impeachment-Verfahren gegen ihn sowie alle
       darauffolgenden Anklagen und strafrechtlichen Ermittlungen.
       
       Seit vergangener Woche wittert Trump auch hinter dem Korruptionsverfahren
       gegen seinen israelischen Amtskollegen Benjamin Netanjahu eine „Hexenjagd“.
       Dem Ministerpräsidenten und seiner Frau wird vorgeworfen, in großem Stil
       Geschenke angenommen zu haben. Außerdem soll er Einfluss auf die
       Berichterstattung der größten israelischen Zeitung Jediot Achronot genommen
       haben.
       
       Trump forderte die israelische Justiz auf, das Verfahren einzustellen. Auf
       Trumps eigener Plattform Truth Social schrieb er: Es schockiere ihn, dass
       Israel die „lächerliche Hexenjagd gegen seinen Ministerpräsidenten
       fortsetzt“. Netanjahu hatte selbst wiederholt von einer „Hexenjagd“
       gesprochen.
       
       ## Geschichtsvergessen
       
       Dass diese notorischen Narzissten rechtsstaatliche Verfahren gegen sich
       gleichsetzen mit den größten Massenhinrichtungen, die es zu Friedenszeiten
       in Europa gegeben hat, ist geschichtsvergessener Zynismus.
       
       Die Hexenverfolgungen zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert zielten in
       erster Linie auf sozial- und wirtschaftlich unabhängige Frauen, die sich
       nicht in die vorgegebene patriarchale Ordnung fügten.
       
       Ziel war es, sie zu disziplinieren und auf ihre Rolle als Gebärende und
       unbezahlte Reproduktionsarbeiterinnen festzuschreiben. Die Anschuldigungen
       waren haltlos, die Prozesse fanden ohne Rechtsbeistand statt, Geständnisse
       wurden unter Folter erzwungen. Am Ende stand meist die Exekution.
       
       Trump und Netanjahu sind keine Opfer einer willkürlichen Jagd. Sie sind
       Angeklagte im Rechtsstaat. Sie instrumentalisieren den Begriff, um dadurch
       legitime Ermittlungen gegen sich zu diskreditieren.
       
       Dabei geht es um konkrete, schwerwiegende Vorwürfe: Schweigegeldzahlungen,
       Steuerbetrug, Wahlbeeinflussung, versuchter Umsturz, unrechtmäßiger Besitz
       und Zurückhaltung von geheimen Regierungsdokumenten sowie Behinderung der
       Justiz. Trump ist ein verurteilter Straftäter. Netanjahu versucht, die
       Justiz zu entmachten, während er selbst wegen Korruption angeklagt ist.
       
       ## Vor Strafverfolgung geschützt
       
       Diese Männer haben alle Privilegien, die die verfolgten Frauen nicht
       hatten: Sie sind weiße, wohlhabende Männer mit bester PR und Anwälten.
       Durch die ihnen zugestandene politische Immunität werden sie über weite
       Strecken sogar vor Strafverfolgung geschützt. 6 der 9 Richter*innen im
       Supreme Court wurden von republikanischen Präsidenten ernannt – 3 von Trump
       selbst.
       
       Dennoch ist Trump überzeugt: „Bei den Hexenprozessen von Salem gab es mehr
       rechtsstaatliche Verfahren als hier.“ Das schrieb er an Nancy Pelosi, die
       damalige Sprecherin des Repräsentantenhauses, in Bezug auf das erste
       Impeachment-Verfahren gegen ihn.
       
       Geschichtsvergessenheit und Revisionismus sind bei Trump nichts Neues:
       Holocaustrelativierungen sind Programm, die kritische Geschichtsforschung
       hat er gekürzt, stattdessen plant er eine „patriotische“
       US-Geschichtspolitik. Und dennoch ist es besonders zynisch, dass sich
       ausgerechnet ein misogyner Menschenfeind wie „grab ’em by the Pussy“-Trump
       aus dem Vokabular unterdrückter Frauen bedient.
       
       ## Täter-Hexen-Umkehr
       
       Die Täter-Opfer-Umkehr ist grotesk: Trumps frauenverachtende Agenda ist
       eine moderne Fortsetzung der Hexenverfolgung. Die Gewalt hat sich bloß
       verändert. Was körperliche Züchtigung, öffentliche Demütigung und
       Verbrennung auf dem Scheiterhaufen war, ist heute strukturelle
       Diskriminierung, geschlechtsspezifische Gewalt und Femizid.
       
       Unter Trump hat sich die Lage für Frauen und queere Menschen in den USA
       dramatisch verschärft: Das Recht auf körperliche Selbstbestimmung wird
       ausgehöhlt. In zahlreichen Bundesstaaten gelten inzwischen radikale
       Abtreibungsverbote. Gleichzeitig inszeniert Trump einen brutalen
       Kulturkampf gegen trans Personen.
       
       Wenn Trump Aufklärung über sexuelle Selbstbestimmung und Transidentität
       sowie „gender ideology“ an öffentlichen Schulen verbietet, knüpft er an die
       Wissensunterdrückung während der Hexenverfolgung an, als Hebammen und
       Heilerinnen wegen ihres Wissens über Kräuter, Verhütung und Abtreibung
       verfolgt wurden.
       
       Der Zweck bleibt gleich: Machtsicherung. Das Leid verfolgter Frauen für
       diese politische Selbstverklärung zu missbrauchen, verhöhnt die Opfer
       historischer Gewalt. Und eins steht fest: Die Jäger sind Trump und
       Netanjahu. Die Opfer – nach wie vor – Flinta* und Queers.
       
       29 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Lilly Schröder
       
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