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       # taz.de -- Morgenland Festival Osnabrück: Große Strahlkraft
       
       > Das Morgenland Festival bringt arabische, persische und zentralasiatische
       > Musik nach Osnabrück. Zum Auftakt kam der Cello-Weltstar Yo-Yo Ma.
       
   IMG Bild: Nachdenkliches im Ratssitzungssaal: Yo-Yo Ma ist ein prominenter Gast beim diesjährigen Festival
       
       Osnabrück taz | Leuchttürme sind Wegweiser. Dass das „Morgenland Festival
       Osnabrück“ durch die Stadt, die es im Namen führt, als Leuchtturm
       bezeichnet wird, hat also Berechtigung: Das Musikfestival, vor zwei
       Jahrzehnten hier geboren, besitzt weltweit Strahlkraft. Michael Dreyer, der
       Gründer des Festivals, findet den Begriff allerdings heikel: „Leuchtturm
       klingt elitär“, [1][sagt er der taz,] als er die künstlerische Leitung des
       Festivals 2024 dem syrischen Klarinettisten und Komponisten Kinan Azmeh
       übergibt. „Wir sind sehr nah dran an den Menschen.“
       
       Dass auch „Morgenland“ heikel ist, weil eurozentristisch, ist ihm bewusst.
       Aber der Titel ist griffig – und weltweit ein Begriff, auch im Nahen,
       Mittleren und Fernen Osten. Das zu ändern käme einer Selbsttorpedierung
       gleich.
       
       Am vergangenen Sonnabend hat Dreyer als „Prolog“ der 21. Ausgabe des
       Festivals im Osnabrücker Ratssitzungsaal mit Azmeh und dem
       US-amerikanischen, chinesischstämmigen Cellisten Yo-Yo Ma diskutiert, der
       am Folgetag das Festival auch musikalisch eröffnet hat, mit dem
       Doppelkonzert „Venus in the Mirror“ des iranischen Komponisten [2][Kayhan
       Kalhor].
       
       Im Kern ging es um die Musik als Mittel der Völkerverständigung. „Wir
       haben nie die Überheblichkeit gehabt, zu denken, wir machen durch unsere
       Musik die Welt ein wenig besser“, sagt Dreyer. „Oder ist uns das gelungen?
       Ich weiß es nicht.“ Besserung könne er nicht erkennen. Man spürt, wie viel
       Sorge ihm das bereitet.
       
       Ma spricht, sehr philosophisch, über Liebe, Offenheit, Freundschaft,
       Sinnhaftigkeit, gemeinsame Werte. Nachdenklich und bescheiden tut er das,
       leidenschaftlich, eindringlich. Es ist fast andächtig still dabei.
       
       Zumindest im Saal selbst. Denn vor dem Rathaus findet zeitgleich ein
       Bierfest statt, mit Buden wie dem hellblau-pinken „Delirium Café“ und dem
       „Frittenmeister“ mit jeder Menge Glitzerglühbirnen. Discosongs wie „Yes
       Sir, I Can Boogie“ wummern. Seifenblasen wirbeln zu den Saalfenstern hoch.
       Aber die Diskutanten nehmen es mit Humor. „Ist nicht das erste Mal“, sagt
       Azmeh, „dass ich einen solchen Sound hier erlebe.“
       
       Am Ende geht es, thematisch stimmig, in den Saal, in dem 1648 ein Teil des
       Westfälischen Friedens geschlossen wurde, als Ende des Dreißigjährigen
       Kriegs. Hier setzt Ma sich ans Cello. Und plötzlich ist es, als sei das
       Gewummer des Bierfests verstummt. Ein magischer Moment.
       
       Die diesjährige Ausgabe des Festivals konzentriere sich auf KünstlerInnen,
       die „sich in mehreren Identitäten wohl fühlen“ hat Azmeh im Programmheft
       geschrieben, die „als wahrhaft global denkende und lebende Menschen mühelos
       und lustvoll durch die unterschiedlichsten Genres, Kategorien,
       geografischen und kulturellen Heimaten reisen“. Eine starke Botschaft in
       Zeiten immer engerer Grenzen.
       
       „Es ist vielleicht anmaßend zu sagen, dass das Festival die Region
       verändert hat“, schreibt Dreyer der taz im Vorfeld der Rathaus-Diskussion.
       „Aber es hat die arabische und persische Musik, die Musik Zentralasiens, in
       das europäische Musikleben eingebracht. Mittlerweile findet sich viel mehr
       Musik dieser Region auf den Spielplänen der großen Häuser. Ich denke, da
       war das Morgenland Festival ein Katalysator.“
       
       Das Osnabrücker Publikum sei „mit dem Festival gewachsen“ und habe diese
       Musik „lieben gelernt“, so Dreyer. Das sei sehr berührend. „Als 2015 so
       viele Syrer nach Deutschland kamen, verbanden die Osnabrücker mit Syrien
       vor allem so wundervolle Menschen und MusikerInnen wie Dima Orsho, Ibrahim
       Keivo oder Kinan Azmeh. Ich bin überzeugt, dass das mit ein Grund war für
       eine überwältigende [3][Willkommenskultur] in der Stadt.“
       
       Das Publikum des Festivals ist so vielfältig wie dessen Musik: „Mein Wunsch
       war immer, dass wir das hiesige Publikum ebenso erreichen wie die
       arabische, türkische, kurdische oder iranische Community“, schreibt Dreyer.
       Gerade Musik wirke „hier sehr verbindend“.
       
       Das betont auch Silke Brickwedde. Sprecherin der Stadt Osnabrück. Das
       Festival sei ein „hervorragendes Beispiel für die gelebte Friedenskultur“
       und „den Austausch zwischen den Nationen“, schreibt sie der taz. Die Stadt
       fördert das Festival mit derzeit 140.000 Euro pro Jahr – trotz chronisch
       klammer Kasse.
       
       Apropos Zahlen: Wer sich auch nur durch ein Zehntel dessen arbeiten will,
       was in den letzten 20 Jahren über das Festival geschrieben, gesagt und
       gefilmt wurde, hat viel zu tun. Zumal es nicht nur eigene Ensembles geboren
       hat, sondern auch selbst auf Reisen geht, aller Risiken zum Trotz: 2013
       etwa lud es während des Bürgerkriegs in Syrien 65 Musiker aus neun Ländern
       zu einem mehrtägigen Gastspiel nach Erbil und Sulaimaniya ein, ins
       irakische Kurdistan.
       
       Die Zeit der Umbrüche geht für das Festival übrigens weiter. Azmeh gibt
       2026 die künstlerische Verantwortung an die iranisch-deutsche
       Klarinettistin, Bildkünstlerin und Kuratorin Shabnam Parvaresh ab. Das wird
       zu neuen Wegweisungen führen.
       
       1 Jul 2025
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Harff-Peter Schönherr
       
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