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       # taz.de -- Warum Radios in Myanmar so wichtig sind: Lauter als Waffen
       
       > Im Bürgerkriegsland Myanmar sind Radios die letzte Verbindung zu Fakten.
       > Doch die Kürzung der US-Hilfen bedroht die Radiosender im Land.
       
   IMG Bild: Schon lange ein Signal zur Außenwelt: Ein Binnenflüchtling hört Radio in einem Camp in Danai, 2018
       
       In Myanmar, einem von einer [1][Militärdiktatur], bewaffnetem Widerstand
       und [2][Naturkatastrophen] heimgesuchten Land in Südostasien, ist
       Wahrheitsfindung nicht nur ein Prinzip, sondern ein Lebenselixier. Und für
       Millionen Menschen geschieht dies immer noch durch ein bescheidenes
       elektronisches Gerät: das Radio.
       
       Während international kaum noch über das Land berichtet wird und Myanmars
       prodemokratische Sender ums Überleben kämpfen, werden in den abgelegenen
       und vom Krieg gebeutelten Regionen dort die Menschen von der einzigen
       verlässlichen Informationsquelle, die sie bisher hatten, zunehmend
       abgeschnitten: Die Elektrizitätsversorgung ist instabil, das Internet wird
       vom Militär blockiert und Telefonleitungen werden regelmäßig unterbrochen.
       Dann bleibt das Radio der einzige funktionierende Kanal für
       überlebenswichtige Informationen.
       
       Die Dringlichkeit, diese Lebensader zu erhalten, ist seit den [3][starken
       Budgetkürzungen der US-Regierung von Donald Trump] für US-finanzierte
       Mediendienste in der Region nur noch gewachsen. Trump hat die
       US-Entwicklungshilfe für Myanmar [4][2025 samt Unterstützung dortiger
       unabhängiger Medien um 39 Millionen] US-Dollar zusammengestrichen.
       
       Die hatten direkte Auswirkungen auf die Radiosender in Myanmar. Die
       birmesischsprachigen Programme von Voice of America (VOA) und Radio Free
       Asia (RFA) wurden eingestellt. RFA musste 90 Prozent seiner Mitarbeitenden
       entlassen, bei VOA wurden fast alle Angestellten beurlaubt.
       
       Dies führte zum Zusammenbruch der Junta-kritischen Dienste von VOA, RFA und
       der Democratic Voice of Burma (DVB Radio). Das waren nicht bloß
       Medienprogramme. Für viele in Myanmar waren sie die einzigen
       vertrauenswürdigen Informationsquellen in einem Land, in dem Desinformation
       tödlich sein kann und offizielle Propaganda die Medienlandschaft dominiert.
       
       ## Recht auf Informationen
       
       „Zuerst haben die Menschen in Myanmar ihr Recht auf Information verloren“,
       sagt der frühere RFA-Journalist Htet Naing Zaw, der jetzt für die BBC
       berichtet. „RFA und VOA waren nicht nur Radiosender – sie waren der Kanal,
       durch den Menschen selbst in den entlegensten Gebieten erfuhren, was
       geschah.“
       
       Aye Chan Naing, Gründer und Chefredakteur von DVB Radio, sagt: „Trump hat
       Budgets gekürzt, was in manchen Ländern vielleicht nicht viel ausmacht,
       aber für Birma ist es verheerend. Besonders in Konfliktgebieten ist das
       Kurzwellenradio sehr wichtig.“ Er erinnert sich daran, wie
       DVB-Radio-Reporter tagelang laufen mussten, um nach dem Militärputsch 2021
       überhaupt Berichte übertragen zu können. „In der Region Rakhine war das
       Internet bereits vor dem Putsch blockiert. Dann dehnte die Junta die
       Blockaden auf Kachin, Chin und andere Regionen aus. Das machte es extrem
       schwierig, überhaupt noch Informationen zu verbreiten.“
       
       In den bergigen Grenzregionen und dichten Dschungeln Myanmars ist die
       Elektrizitätsversorgung unzuverlässig oder gar nicht existent.
       Mobilfunkmasten werden oft gesprengt oder sabotiert. Und das Regime kappt
       regelmäßig den Zugang zum Internet. Für die betroffenen Gemeinschaften ist
       das Radio nicht nur eine Alternative – es ist das einzige Medium, das
       überhaupt noch funktioniert.
       
       In Flüchtlingslagern und Dschungelverstecken, wo Menschen ohne
       Elektrizitätszugang leben und auf kleine Batterien oder Solarzellen
       angewiesen sind, bleiben tragbare Radios – manche betrieben mit nur zwei
       AA-Batterien – wichtige Mittel zum Überleben. „Als die internationalen
       Sender ihre Arbeit einstellten, war es, als ob das Land in Dunkelheit
       versinkt“, sagt Htet Naing Zaw.
       
       „Menschen auf dem Land und in den ethnischen Gebieten sind auf das Radio
       angewiesen, nicht nur für Nachrichten, sondern auch für Bildung,
       Katastrophenwarnungen und Gesundheitsberatung.“ Jetzt droht diesen
       Gemeinschaften nicht nur eine noch größere Isolation, sondern auch, dass
       sie von Informationen gänzlich abgeschnitten werden, die sie für
       lebenswichtige Entscheidungen benötigen. Das Schweigen im Äther ist nicht
       nur politisch – es ist persönlich und potenziell tödlich.
       
       ## Senden aus Bunkern
       
       Mehrere unabhängige und der Widerstandsbewegung nahestehende Medien haben
       sich bemüht, oft unter großem personellen und finanziellen Risiken das
       Vakuum zu füllen, das durch das Ende von VOA und RFA Anfang des Jahres
       entstanden ist. Das nach dem Beginn der Revolution gegen den Putsch
       gestartete Federal FM sendet unabhängige Nachrichten, Sicherheitswarnungen
       und Bildungsinhalte in mindestens 20 Städten, und das auch in ethnischen
       Sprachen wie Karen, Kachin und Shan. „Selbst wenn wir Bunker graben müssen,
       um uns vor Luftangriffen zu schützen, werden wir weiter senden“, sagt der
       Gründer des Senders, Tint Zaw Hein.
       
       Radio NUG, gegründet im August 2021 von der Nationalen Einheitsregierung
       (NUG, der demokratischen Gegenregierung im Untergrund), sendet täglich zwei
       halbstündige Kurzwellenprogramme und veröffentlicht auch Online-Inhalte per
       Youtube und Podcast. Der Sender bietet alles von Sicherheitstipps in
       Kriegsgebieten bis hin zu Gesundheitsupdates und politischen Kommentaren.
       
       „Radio NUG ist nicht nur ein Sprachrohr der Gegenregierung – es gibt auch
       die Stimmen und Emotionen derjenigen wieder, die sich gegen die
       Militärherrschaft stellen“, sagte Ko Maung Yit, der
       Radio-NUG-Programmmanager. Im Programm hat der Sender Inhalte von der
       Bewegung des zivilen Ungehorsams (CDM) oder von Schriftstellern und
       Journalisten, die sich mit vom Krieg betroffenen Menschen solidarisieren.
       „Fehlende Rundfunkprogramme sind eine ernsthafte Herausforderung in einem
       Land, in dem Internetzugang, Elektrizität und Kommunikationskanäle oft
       unterbrochen sind“, sagt der Programmmanager. „In diesem Vakuum sendet
       Radio NUG jeden Morgen und Abend 30 Minuten auf Kurzwelle.“
       
       Doch Radio NUG bekommt wie viele andere keine regelmäßige finanzielle
       Unterstützung von ausländischen Regierungen oder anderen internationalen
       Geldgebern. „Wir sind auf öffentliche Spenden und internes Fundraising
       angewiesen. Unsere Arbeit wird durch das Engagement der Mitarbeiter,
       Freiwilligen und Journalisten aus dem In- und Ausland ermöglicht“, sagte Ko
       Maung Yit.
       
       ## Sender in lokalen Sprachen
       
       Mizzima Radio setzt täglich seine einstündige birmesischsprachige
       Kurzwellenübertragung fort. „Sie deckt das ganze Land ab. Aber wir haben
       die UKW-Übertragungen in den Regionen einstellen müssen. Früher hatten wir
       Sender in Chin, Shan, Karenni“, sagte Gründer Soe Myint. Andere wie Voice
       of Spring (VOS) und einige Sender ethnischer Minderheiten senden in lokalen
       Sprachen und bieten regionale Sicherheitswarnungen und Überlebenshilfen an.
       
       Obwohl die RFA- und VOA-Sendungen eingestellt wurden, zirkulieren ihre
       Inhalte weiterhin informell – über USB-Sticks, mobile Speicherkarten und
       Bluetooth-Sharing – und bilden ein Untergrundnetzwerk des Wissens in einem
       Land, das nach Wahrheit dürstet. Diese Radiosendungen informieren nicht
       nur. Sie leiten an, schützen und vereinen Gemeinschaften im Widerstand. Sie
       bieten Informationen zum Umgang mit Minenfeldern, zur Wundversorgung, zur
       Vermeidung von Luftangriffen und zum Überleben.
       
       Die internationale Gemeinschaft und insbesondere EU-Staaten wie Deutschland
       sollten diese Krise als das erkennen, was sie ist: [5][nicht nur ein
       Problem der Pressefreiheit,] sondern ein humanitärer Notfall.
       
       Dringend benötigt werden Radiosender, tragbare Empfänger, solarbetriebene
       Batterien, FM-Ausrüstung und grundlegende Schulungen für
       Bürgerjournalisten. Diese bescheidenen Interventionen können einen realen,
       unmittelbaren Unterschied in kriegsgebeutelten Gemeinschaften in ganz
       Myanmar bewirken. Jeder Euro für die Radioinfrastruktur hilft heute,
       Desinformation zu bekämpfen, Leben zu retten und demokratische Werte zu
       verteidigen. Schweigen hingegen ist das, worauf Tyrannen am meisten bauen.
       Angesichts von Unterdrückung kann ein kleines Radio lauter sein als jede
       Waffe.
       
       Kyaw Min Swe war in Myanmar bis zum Putsch 2021 Chefredakteur der Zeitung
       The Voice sowie von 2012 bis 2015 Vorsitzender und von 2018 bis 201
       Mitglied des Presserates. Er wurde schon 2017 unter der Regierung von Aung
       San Suu Kyi für zwei Monate inhaftiert wegen einer Satire über das Militär.
       2023 saß er drei Monate im Gefängnis, weil er aus Protest gegen einen
       verheerenden Luftangriff auf ein Dorf sein Facebook-Profil geschwärzt
       hatte. Ende 2023 gelang seiner Familie die Flucht nach Thailand, seit
       Sommer 2024 lebt sie in Berlin.
       
       1 Jul 2025
       
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