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       # taz.de -- Schlagershow „immer wieder sonntags“: Tanzen und klatschen und tanken und quatschen
       
       > „Immer wieder sonntags“ treffen sich Schlagerfans zur Aufnahme der
       > gleichnamigen Live-Sendung in Südbaden. Unser Reporter war dabei.
       
   IMG Bild: „Immer wieder sonntags“ wird gefeiert
       
       Und wer von euch ist zum 80. Mal hier?“, fragt der junge Mann in weißer
       Hose, weißem Hemd das Publikum. Noch immer melden sich welche. „Immer
       wieder sonntags“ hat seine Hardcore-Fans. Menschen, die für jede der zwölf
       Sendungen der Saison anreisen – und das schon seit Jahren. Menschen, die
       sich um neun Uhr am Sonntagmorgen an eine Bierbank setzen und dort brav
       beim Warm-up mitspielen, mitsingen, tanzen, obwohl die Wetter-App bereits
       jetzt 24 Grad meldet.
       
       Schatten fällt am 22. Juni nur auf die Tribünen am Rand der Arena. Die
       begehrten Bier- und Café-Tische vor der großen Bühne stehen in der
       verkrampften Morgensonne. Der Anheizer gönnt einzelnen Menschen ein paar
       Schübe aus seiner Sprühflasche. Dann endlich taucht Stefan Mross auf. „Das
       lässt er sich nicht nehmen“, erklärt ein Mann am Biertisch, stolz auf
       „seinen Stefan“. Vor Beginn der TV-Übertragung übt Mross mit dem „besten
       Publikum der Welt“, wie es jubelt, klatscht, ein bisschen ausrastet.
       Zwischendrin frischt eine Stylistin sein Make-up wieder auf.
       
       Auch wenn das Puder heute immer wieder wegfließt: Mross bleibt. Seit 20
       Jahren schon kämpft er sich jeden Sommer durch die Schlagersendung. Seit 30
       Jahren kämpft sich die Sendung schon durchs deutsche TV. Sie ist eine der
       letzten Bastionen des Schlagers im Fernsehen, hat an diesem Sonntag einen
       Marktanteil von 17,4 Prozent, das sind 1,22 Millionen Menschen. Plus die
       2.000, die gerade in der Arena aufspringen, weil Mross anfängt, sein
       neustes Lied zu singen: „Ja mei Halleluja – heut rock ma olle z’samm“. Ein
       Junggesellenabschied auf der Tribüne zieht sich die T-Shirts nach oben und
       grölt.
       
       Egal, wie sehr man sich dagegen wehrt: Im Schlager liegt etwas Archaisches,
       etwas, das an unsere Instinkte als Gesellschaftswesen anknüpft; irgendwann
       klatscht man mit den anderen mit. Der Bass, die Bewegung, das Kollektiv.
       Mross singt ein Medley. „17 Jahr, blondes Haar“. Als Udo Jürgens es 1965
       herausbrachte, war er 31 Jahre alt. Wenige Meter entfernt beißt sich ein
       junger Mann auf die Lippe, lächelt verkrampft, als seine Begleitung, eine
       ältere Frau, ihn anschaut.
       
       ## Die Identifikationsfläche der Höhner
       
       Mross verschwindet von der Bühne, um gleich wieder auftauchen zu können –
       für die Kameras dieses mal. Um 10.03 Uhr beginnt die Sendung. Der
       Kameramann mit seiner Steadicam und dem schwarzen Ganzkörper-Outfit
       schmilzt bereits. Zwei Stunden wird er noch schleppen. Jetzt rennt er auf
       Mross zu und dann vor ihm her, während der auf einem Steampunk-Hochrad in
       die Manege einfährt und zum Playback der Titelmusik in die Menge winkt. Die
       schunkelt und klatscht. Dann bekommt auch das TV-Publikum ein Warm-up. „Wer
       kommt denn von ganz weit weg her?“, fragt Mross in die Arena. Eine Familie
       schreit laut. Sie ist aus Wendling angereist, aus Oberösterreich. „612,2
       km“ weit war die Reise, das steht auf den einheitlichen Shirts. Sie feiern
       den 50. Geburtstag des Vaters.
       
       Damit der Spannungsbogen nicht gleich wieder fällt, dürfen die Höhner ran,
       die Kölner Band, die für „Viva Colonia“ verantwortlich ist. „Es war im
       Sommer, 30 Grad“, singen sie, das schafft hier Identifikationsfläche. Auf
       einer Nebenbühne hebt Mross derweil im Takt die Hand. Dann klemmt er sich
       die Moderationskarten zwischen die Zähne und zuppelt Hemd und Hose zurecht.
       Gleich muss er wieder ran und überleiten zum nächsten Gesprächs-Element,
       „Herzensmensch“. In dieser Kategorie überrascht die österreichische
       Sängerin und Schauspielerin Ronja Forcher (stilecht: „Der
       Bergdoktor“)Menschen zuhause, weil Angehörige ihnen für etwas danken
       wollen. Jetzt teasert Mross das nur an, später in der Sendung steht Forcher
       dann in einem bayriscchen Garten und eine Tochter bedankt sich aufgelöst
       bei ihrer Mama dafür, dass sie immer für alle da sei. Gebannt schauen 2.000
       Menschen auf den Monitor in der Arena, der in einem Wohnzimmer groß wirken
       würde. Eine Frau in rosa „Schlager“-Shirt am Biertisch wischt sich mit der
       Hand über die Wange. Tränen? Schweiß?
       
       Markus Ziemann ist Redakteur von „Immer wieder sonntags“, einer „Sendung
       mit Herz“, wie er sie nennt. Der Kern sei eine gute Musikmischung und eine
       große emotionale Bandbreite. Dabei müssen beide Zielgruppen bedient werden:
       die schwitzende in der Arena genauso wie die vor den Fernsehgeräten.
       Produziert wird sie vom SWR und von Kimmig Entertainment. Die Firma sitzt
       ca 30 Minuten entfernt von Rust im badischen Oberkirch und ist seit ihrer
       Gründung 1973 im Schlagergeschäft. Einen ihrer ersten Verträge hatte sie
       mit dem griechisch-deutschen Schlagersänger und zweimaligen griechischen
       Landesmeister im Skilanglauf Costa Cordalis.
       
       ## Tricks aus der Küche
       
       Eine Frau muss wieder von der Bierbank steigen, als Sonia Liebing über
       einen simplen Beat „Können diese Augen lügen?“ fragt. Wenige Meter entfernt
       wendet ein Mann sich von Liebing ab und einer Sprühflasche mit Ventilator
       zu. Es ist 10.19 Uhr und die Spaßgrenze für manche offensichtlich erreicht.
       
       Der Trick: Tanzen und Klatschen, wenn musiziert wird. Tanken und Quatschen,
       wenn geredet wird. Auf einer Nebenbühne steht eine Küche und darin Tim
       Peters. Der Schlagersänger und Musikproduzent ist diese Woche Star der
       Rubrik „Gerichte mit Geschichte“. Die funktioniert so: Ein Star kocht ein
       Lieblingsgericht und erzählt dazu, was er*sie damit verbindet. Auf
       Facebook funktioniert die hervorragend, über 500 Menschen gefällt das
       Rezept, das dort zwischen Videos von der Show steht. „Immer wieder
       sonntags“ hat auf der Plattform über 117.000 Follows, dafür aber keinen
       Instagram- oder Tiktok-Account. Die Altersstruktur einer Plattform muss
       auch zum Publikum der Sendung passen. In der Arena besteht das – auch wenn
       vereinzelt Kinder und Jugendliche dabei sind – zum Großteil aus Menschen
       jenseits der 40.
       
       „Gerichte mit Geschichte“ ist ein Trick. Wirkliches Kochen zeigt die
       Sendung nur selten. Es ist eine Hommage an den Sonntagsschmaus nach dem
       Kirchgang. Tim Peters kocht Gulasch nach dem Rezept von „Omma Inge“. Das
       ist die zweite Ebene des Tricks: das Menscheln. Christian Kleinau ist der
       Abteilungsleiter Show und Musik und spricht von einem „Vehikel, um eine
       Geschichte zu erzeugen“. „Stinklangweilig“, sagt ein Mann mit rosa
       Glitzerhut, während Peters von seiner Oma erzählt. Ihm fehlt die Musik, die
       Partylaune. Getuschel breitet sich in der Arena aus. Die Gesprächselemente
       funktionieren vor allem für das TV-Publikum. „Aber alle drei bis vier
       Minuten spätestens kommt auch wieder Musik“, sagt Ziemann. Er und Kleinau
       reden von „Volksfest-Vibes“, von „Amplituden“. Das Raster, in dem sich
       Musik mit Reden und Spielen abwechselt, könne so auch für andere Sendungen
       mit anderen Zielgruppen genutzt werden. „Man müsste nur eine andere
       Plattform und andere Künstler*innen nehmen“.
       
       Das eigene Publikum beschreibt Kleinau als „konservativ“ und
       „heimatverbunden“. Die Künstler*innen würden aber nicht danach
       ausgesucht, wie konservativ sie sind. Trotzdem: „Wir sagen nicht um 10 Uhr
       morgens: Heute fordern wir die Leute mal so richtig raus! Wir wollen gute
       Laune erzeugen, Bedürfnisse befriedigen.“
       
       ## Weit entfernt von den Wasserrutschen
       
       „Das Gequatsche ist das Schlechteste“, sagt der Mann mit rosa Hut. Er nimmt
       einen Schluck von seinem alkoholfreien Bier. Seine Mutter schaut ihn böse
       an. „Ich will das hören!“. Mross bekommt mal wieder sein Make-up
       aufgefrischt. Laut Wetter-App sind es 26 Grad. Am Biertisch nebenan bilden
       leere Wasserflaschen einen Haufen.
       
       Eine Frau nutzt ein Prospekt vom Wasserpark „Rulantika“ als Fächer. Im
       Hintergrund ragen Wasserrutschen wie Fasern eines Stromkabels aus einem
       Gebäude. Gelegentlich huscht ein Schatten durch eine der Röhren. Seit 1998
       wird die Sendung im Freizeitpark Europa-Park gedreht, zu dem der Wasserpark
       gehört. Das Resort wird diesen Sommer 50 Jahre alt, ist einer der großen
       Arbeitgeber des ehemals armen Fischerdorfs Rust.
       
       Eine Strategie, um auch jüngere Erwachsene, womöglich sogar Teenager für
       die Sendung zu begeistern, ist die Sommerhitparade. Bei der treten 13
       Künstler*innen in Duellen gegeneinander an. Wer gewinnt, kommt in die
       nächste Sendung und trifft dort auf die nächste Herausforderung. Willy
       Pichay muss gegen Jordan Hanson ran. Jordan singt „Nur die Ruhe, halt mal
       an“. Er macht den Job gut, aber eben zu ruhig für das Publikum. Pichay
       macht in Kaminkehrerkluft und mit Quetsche deutlich mehr Party, bringt die
       Leute mit „So schnell gehen wir heut nicht nach Hause“ zum Tanzen und
       Singen. Sie fordern eine Zugabe „Der junge, moderne Schlager gegen die
       Volksmusik“, framt Mross den Wettstreit.
       
       „Früher waren wir noch stärker volkstümlich unterwegs“, sagt Redakteur
       Ziemann. [1][Dass diese Musik immer noch funktioniert], wenn sie
       musikalisch ein wenig angepasst wird, beweise Pichay. Der Schlager erlebe
       eine „Renaissance“, sagt Ziemann. Die Quote gibt ihm recht.
       
       ## Gefährliche Challenge
       
       Um 10.42 Uhr, eine ältere Frau zieht sich gerade ihre Stützstrümpfe hoch,
       tauchen Männer in Anglerhosen vor einem Planschbecken auf. Es ist der
       Angelsportverein Konstanz. Kein uriges, sondern ein lebensnahes Element der
       Sendung. In „Alle gegen Stefan“ bekommt Mross jede Woche von einem Verein
       eine Aufgabe gestellt. Letzte Woche wurde er in einer übergroßen Kugel auf
       Kegel gerollt. Diese Woche soll er Sachen aus einem Planschbecken angeln.
       Das klingt spektakulär, ist aber harmlos im Vergleich zu 2014, als er eine
       scharfe Currywurst essen sollte und dabei kollabiert ist. Gefährliche
       Challenges gibt es nicht nur bei Tiktok.
       
       Im weiteren Verlauf der Sendung kommt noch ein Beichtstuhl zum Einsatz,
       darf Mross ein bisschen Gulasch essen und mimt eine Holzwurmhandpuppe den
       Hofnarren, der Mross auch mal sagen darf, dass er nervt. „Immer wieder
       sonntags“ hat eine strikte, professionelle, schnelle Taktung. Das Prinzip
       ist das gleiche wie auf Youtube: Es muss immer irgendetwas Neues passieren!
       
       Dazwischen sind kleine Momente für tiefere Emotionen eingeplant. Dominik
       ist zehn Jahre alt, läuft über einen Teppich, auf dem Klaviertasten
       abgebildet sind, und tritt an das „rote Mikro“. Sobald er beginnt,
       klatschen alle mit, und als klar wird, ihm bricht gleich die Stimme, setzt
       die ganze Arena mit ein. Der Junggesellenabschied mit der Shirt-Aufschrift
       „Männertour“ schwenkt in der Luft die Arme im Takt.
       
       Um 11.35 Uhr rinnt Schweiß ein Männerschienbein herab, bis er vom
       Sockensaum aufgesogen wird. Die letzte halbe Stunde droht zur Qual zu
       werden. Eine Frau zupft sich immer wieder das Kleid einige Zentimeter von
       der Brust und wedelt. Dann kommen zum Glück die Höhner wieder auf die
       Bühne. Ein Paar eilt in den Weg zwischen den Bierbänken und setzt zum
       Standardtanz an. Wer tanzt, der leidet weniger unter der Hitze. Wer jetzt
       auf die Bierbank klettert, wird nicht mehr runtergeschickt. Die
       „Männertour“ macht sich auf zur Polonäse. Ein anderer Mann reiht sich ein.
       Kein Problem. Dann holt er noch eine Frau dazu. Die „Männertour“
       verschwindet wieder an ihren Tisch, zu ihrem Bier.
       
       Als Mross kurz darauf [2][die Sendung] beenden will, grätschen ihm die
       Höhner dazwischen, singen noch ein klein bisschen weiter. Dem Publikum
       gefällt’s, Mross eher nicht. Als er das Ergebnis vom Televoting bekannt
       gibt, das Willy Pichay mit 79 zu 21 Prozent gewonnen hat, überrascht das
       niemanden. Es ist eine wohlig absehbare Information. Als Mross aber bekannt
       gibt, dass laut Messung auf der Bühne im Mittelbereich 46,3 Grad herrschen,
       raunt und staunt die Arena. Dann bedankt er sich beim „besten Publikum der
       Welt“. Und wie trainiert: Es rastet aus.
       
       6 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Johannes Drosdowski
       
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