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       # taz.de -- Berliner CSD-Vorstand zu Sicherheitslage: „Wir brauchen Rückendeckung der Politik“
       
       > Marcel Voges, Vorstandsmitglied des Berliner CSD e.V. blickt mit Sorge
       > auf die zunehmende Gewalt – und die „Zirkuszelt“-Aussage des
       > Bundeskanzlers.
       
   IMG Bild: Hunderttausende protestierten und feierten beim 46. Berliner Christopher Street Day (CSD) im letzten Jahr
       
       taz: Herr Voges, Ende August wird der Entwurf zur [1][„Berliner
       Landesstrategie für queere Sicherheit und gegen Queerfeindlichkeit“] dem
       Senat übergeben. Seit Mittwoch wissen wir, [2][was drinsteht]. Gibt es
       wegen der zunehmenden Zahl queerfeindlicher Angriffe seitens des Berliner
       CSD e.V. ein neues Denken in puncto Sicherheit? 
       
       Marcel Voges: Wir sind ja eine Demonstration und da ist in erster Linie die
       Polizei für die Sicherheit zuständig. Wir sind natürlich im engen
       Austausch, daher weiß ich, dass die Polizei die veränderten Gegebenheiten
       fest im Blick hat und sich entsprechend vorbereitet. Deshalb gehe ich davon
       aus, dass die Polizei die Demo ausreichend schützen wird.
       
       taz: Mit Blick auf den CSD am 26. Juli: Was sagen Sie zur allgemeinen
       Sicherheitslage in der Stadt? Allein am letzten Wochenende kam es in Berlin
       zu drei queerfeindlichen Angriffen. 
       
       Marcel Voges: Ich nehme in der queeren Community eine große Unsicherheit
       wahr – und mir geht es auch selber so. Das ist einerseits auf die
       verschärfte Sicherheitssituation zurückzuführen. Die Angriffe werden
       häufiger und kommen näher, auch an den Orten, wo wir uns gerne aufhalten,
       zum Beispiel Clubs oder Kneipen. Andererseits gibt es einen Wegfall von
       Strukturen und Schutzräumen. Clubs kommen in finanzielles Wanken, [3][wie
       zum Beispiel das SchwuZ]. Gleichzeitig werden Bildungsprojekte vom Senat
       eingespart. Dazu merken wir, dass auch der Rückhalt von staatlichen
       Institutionen zurückgeht. Das alles ist besorgniserregend.
       
       taz: Was kann man da machen? Weiter auf die Straße gehen, sich zeigen und
       nicht wegducken? 
       
       Marcel Voges: Es ist sehr facettenreich, was man machen muss und machen
       sollte. Wir als queere Community müssen weiter sichtbar sein. Wir müssen in
       Gesprächen bleiben und versuchen, die Mehrheitsgesellschaft zu überzeugen,
       dass es wichtig ist, queere Menschen zu schützen. Denn als Minderheit sind
       wir immer auch auf die Solidarität der Mehrheitsgesellschaft angewiesen.
       Und ich finde, dass die Mehrheitsgesellschaft bei den aktuellen Ereignissen
       nicht schweigen sollte.
       
       taz: Wie sehen Sie die Kürzungen bei queeren Projekten in Zeiten klammer
       Kassen? 
       
       Marcel Voges: Ich bin sehr skeptisch, wenn ich mir die aktuelle
       Haushaltspolitik der Landesregierung anschaue und das Wegkürzen von queeren
       Projekten, ob das am Ende wirklich eine Strategie sein kann, um die
       aktuellen Herausforderungen zu lösen.
       
       taz: Apropos Mehrheitsgesellschaft. Wie lässt sich die
       [4][„Zirkuszelt“-Aussage von Bundeskanzler Friedrich Merz], Parteikollege
       des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner (CDU) deuten? 
       
       Marcel Voges: Es gibt ein Thema hinter dem Thema: Wir CSD-Organisator:innen
       und Aktivist:innen sind aktuell alle total angespannt. [5][Wir sind ja
       im Austausch mit anderen CSD-Vereinen.] Jede Woche gibt es eine andere
       Bedrohung. Jede Woche mobilisieren Rechtsextreme zu CSDs. Jede Woche gibt
       es entweder Angriffe auf Kneipen oder auf queere Menschen in Berlin. In so
       einer Situation brauchen wir einfach Unterstützung und Rückendeckung von
       den politischen Entscheidungsträger:innen und nicht eine
       Herabwürdigung durch solche Äußerungen. Und jetzt ist die Regenbogenfahne
       ja für viele nur ein Symbol. Uns aber in dieser Situation, in der wir aktiv
       angegriffen werden, dieses Symbol zu entziehen, ist ein klares politisches
       Signal, dass sich staatliche Institutionen wegducken und uns im Stich
       lassen. Das kommt bei vielen queeren Menschen so an und ruft erhebliche
       Unsicherheit hervor.
       
       taz: In Berlin selbst, also auf Landesebene, sieht es mit der Unterstützung
       ja doch anders aus. Bezirksrathäuser hissen die Regenbogenfahne und auch
       der Regierende Bürgermeister lässt das Rote Rathaus damit beflaggen. Wie
       fühlen Sie sich da wahrgenommen? 
       
       Marcel Voges: Die Berliner CDU ist auf jeden Fall liberaler als die Partei
       auf Bundesebene. Ich begrüße es sehr, dass der Regierende Bürgermeister zum
       CSD kommt. Und jetzt haben wir auch endlich eine Berliner
       Bundesratsinitiative, um den Schutz queerer Menschen im Grundgesetz zu
       verankern. Das war lange ein Konfliktthema mit der Landesregierung, weil
       das doch sehr lange gedauert hat. Nichtsdestotrotz muss man sagen, dass
       Symbole – wie das Hissen der Regenbogenflagge – wichtig und richtig sind,
       doch Symbole immer auch mit politischen Handlungen verbunden sein müssen.
       Und wenn ich dann beobachte, dass bei der queeren Bildungsarbeit eingespart
       wird, dass immer mehr queere Projekte und queere Infrastruktur finanzielle
       Probleme haben, dann stelle ich mir die Frage, ob es in ein, zwei Jahren
       die Regenbogenhauptstadt noch gibt? Und welche Strategie verfolgt
       eigentlich die Landesregierung, um die Regenbogenhauptstadt zu erhalten und
       zu stärken?
       
       taz: Eine Regenbogenfahne hissen und verbale Bekundungen sind das eine,
       Finanzierbarkeit und Kürzungen das andere. 
       
       Marcel Voges: Ich will das gar nicht gegeneinander ausspielen. Wir freuen
       uns immer, wenn jemand die Regenbogenfahne hisst. Dadurch wird uns
       signalisiert: Das ist erst mal ein Ort, wo wir uns sicher und gesehen
       fühlen können. Das sollte aber nicht der einzige Anspruch sein, den wir als
       Hauptstadt haben, wo viele queere Menschen ihre Heimat gefunden haben.
       
       taz: Kai Wegner ist beim CSD dabei, wird ihn aber nicht eröffnen, oder? 
       
       Marcel Voges: In diesem Jahr werden die beiden Bundestagsvizepräsidenten
       den CSD eröffnen. Das ist eine bewusste Entscheidung von uns. Es gibt
       Gesprächsangebote unsererseits auch an die Senatskanzlei, weil bei allen
       politischen Konflikten in einer Demokratie immer miteinander reden können
       muss. Wir haben aber bisher keine Antwort von der Senatskanzlei bekommen.
       
       taz: Sind Firmen ganz im Geiste von Trump vom Sponsoring zurückgetreten? So
       wie beim CSD in München?
       
       Marcel Voges: Vor einigen Wochen sind damit wir an die Öffentlichkeit
       gegangen, dass wir im Vergleich zum Vorjahr 200.000 Euro Sponsorengelder
       weniger hatten. Danach haben wir super viel Solidarität erfahren. Es sind
       viele Spendengelder hereingekommen, aber es gibt auch einige Unternehmen,
       die uns jetzt unterstützen – und da sind auch amerikanische Unternehmen
       dabei. Es ist trotzdem so, dass wir eine gewisse Zurückhaltung und Vorsicht
       bei den Unternehmen wahrnehmen, die in Gesprächen signalisieren, dass sie
       uns schon unterstützen und sich solidarisch zeigen, aber nicht mehr in
       erster Reihe stehen wollen.
       
       taz: Es gibt immer wieder Leute, die sich fragen, ob die Teilnahme an einem
       CSD noch sicher ist … 
       
       Marcel Voges: In Berlin haben wir eine besondere Situation, weil wir eine
       sehr hohe Unterstützung aus der Stadtgesellschaft erfahren und eine
       konstruktive und gute Zusammenarbeit mit der Polizei haben. Dementsprechend
       erwarten wir da keine großen Gegenbewegungen von Rechtsextremen. Trotzdem
       sind wir natürlich auf der Hut und beobachten die Situation genau und
       stimmen uns eng mit der Polizei ab. Und ich bin überzeugt davon, dass sich
       die Polizei auf alle möglichen Szenarien vorbereitet.
       
       taz: Mit wie vielen Teilnehmer:innen rechnen Sie? 
       
       Marcel Voges: Ich glaube, es wird so in etwa die gleiche Zahl sein wie in
       den vergangenen Jahren, also mehrere 100.000.
       
       3 Jul 2025
       
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