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       # taz.de -- Ausbeutung im Knast: Mindestlohn 2,38 Euro
       
       > Schreinern, Sortieren, Schweißen. Für Arbeit im Gefängnis soll es ab Juli
       > mehr Geld geben, das haben Gefangene erkämpft – sind aber unzufrieden.
       
   IMG Bild: Kapitalismus braucht Knäste, hier: JVA Essen
       
       Wenn ein Lkw auf den Hof gefahren kommt, stehen die Männer bereit. Die
       Sattelschlepper haben tonnenweise Kabel geladen, teils ordentlich
       aufgerollt und gut erhalten, teils wirr durcheinander geworfen, abgerissen,
       dreckig, verbogen, verschlissen. Die Lkw laden die Kabel im Hof ab, die
       Männer trennen die guten von den schlechten. Die schlechten werden in
       handgerechte Stücke von ungefähr eineinhalb Metern Länge geschnitten und
       auf einen Gitterwagen geworfen. Die bekommt Klaus Waschinewski.
       
       Er nimmt ein Kabel in die Hand und schlägt ein Ende mit Wucht auf die Erde.
       Dann knallt es einmal richtig. Das Kabel bricht auf. Nun kann er es
       auseinandernehmen, Stahl und Aluminium trennen, den Stahl klein schneiden.
       Dafür nutzt er eine Maschine, „meine Maschine“, sagt er, „so groß wie eine
       Musiktruhe in der Kneipe ungefähr“. Das Aluminium biegt er auf einen halben
       Meter zusammen und stapelt die Teile aufeinander, anschließend kommen sie
       in eine Presse. Dann kommen andere Lkw und holen die Wertstoffe ab. Der
       Kreislauf kann wieder beginnen.
       
       Waschinewski ist in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Werl in
       Nordrhein-Westfalen untergebracht. Auf dem Kabelhof hat der heute
       66-Jährige rund 15 Jahre verbracht, immer während seiner Gefängnisstrafen,
       die erste war in den 80er Jahren, erzählt er am Telefon.
       
       Manchmal hatte er im Gefängnis andere Jobs, bis wieder ein Platz im
       Kabelhof frei war, es gibt eine Warteliste. Waschinewski hat auch schon
       Karton gefaltet, „aber das war katastrophal“. Die Arbeit auf dem Kabelhof
       sei genau das Richtige für ihn. „Ich bin ein Typ, der viel Bewegung
       braucht.“
       
       [1][Für die „Knochenarbeit“, wie er sie nennt, bekommt er zu diesem
       Zeitpunkt noch 28,76 Euro pro Tag, ohne Zulagen.] Das ist mehr als andere,
       die den gleichen Job machen, weil Waschinewski [2][in der
       Sicherungsverwahrung] untergebracht ist, in die Menschen nach dem Absitzen
       ihrer Strafe kommen, wenn ein Gericht davon ausgeht, dass weiterhin eine
       Gefahr von ihnen ausgeht. Da die Untergebrachten nicht mehr strafgefangen
       sind, müssen ihre Haftbedingungen besser sein als die der regulär
       Gefangenen. Die bekommen für die gleiche Arbeit in Nordrhein-Westfalen zu
       dem Zeitpunkt nur 14,67 Euro pro Tag. Ein Bruchteil vom Mindestlohn ist es
       für beide Gruppen. Dieser liegt aktuell bei 12,82 Euro brutto pro Stunde.
       
       Ungerecht, fand Waschinewski das bereits vor zehn Jahren und klagte
       dagegen. Der Fall lief durch mehrere Instanzen, und Jahre später, im Juni
       2023, entschied schließlich das Bundesverfassungsgericht, dass die
       Gefangenenvergütung in Nordrhein-Westfalen reformiert werden muss.
       
       Auch in Bayern hat ein Gefangener geklagt, Peter Roth. Auch er bekam Recht,
       auch Bayern musste sein Gesetz überarbeiten. Ab diesem Monat bekommen
       Gefangene und Untergebrachte in den beiden Bundesländern nun mehr Geld.
       [3][Die anderen Bundesländer ziehen mit], die meisten aber erst 2026.
       Lediglich Hamburg zahlt Gefangenen auch schon seit Juli mehr Geld.
       Sachsen-Anhalt hat seinen Gesetzentwurf bereits veröffentlicht, die anderen
       sind noch unter Verschluss.
       
       ## 39,55 Euro Lohn pro Tag
       
       Waschinewski verdient nach der neuen Regelung pro Tag nun 39,55 Euro, das
       sind 37 Prozent mehr als vorher. Strafgefangenen bringt die Anhebung etwa
       70 Prozent zusätzlich.
       
       Immer noch zu wenig, findet Waschinewski. Außerdem gehe die Umsetzung am
       Kern des Urteils vorbei: Oberstes Ziel sowohl des Strafvollzugs als auch
       der Sicherungsverwahrung ist die Resozialisierung: Gefangene sollen dazu
       befähigt werden, sich nach Entlassung in die Gesellschaft zu integrieren
       und ein straffreies Leben zu führen. Das soll auch durch Arbeit erreicht
       werden, bei der die Gefangenen eigenes Geld verdienen und Wertschätzung
       erfahren. Das Bundesverfassungsgericht hat die Bundesländer aufgefordert,
       Arbeit in Haft als Maßnahme der Resozialisierung zu stärken.
       
       Im Gefängnis ist Arbeit Pflicht. Das Grundgesetz erlaubt Zwangsarbeit für
       Gefangene. Nur vier Bundesländer – Sachsen, Brandenburg, Rheinland-Pfalz
       und das Saarland – stellen es Gefangenen frei, ob sie arbeiten oder nicht.
       Insgesamt gibt es rund 60.000 Gefangene in Deutschland. Ihre
       Beschäftigtenquote liegt je nach Bundesland bei 50 bis 65 Prozent.
       
       Die Jobs sind vielfältig: Die Insassen waschen, putzen und schrubben die
       Böden. Oder sie arbeiten in einem gefängniseigenen Betrieb: Schreinerei,
       Schlosserei, Polsterei. Auch externe Unternehmen lassen im Gefängnis
       produzieren. Auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalten stehen große
       Fabrikhallen, die Häftlinge müssen nur wenige Schritte gehen.
       
       Die meisten Aufgaben sind einfach – Kugelschreiber zusammenschrauben,
       Kartons falten, Schrauben sortieren. Viele Jobs sind körperlich
       anstrengend, zum Beispiel lange, schwere Seekabel oder Oberleitungen
       auseinandernehmen, um sie zu recyclen, wie das Waschinewski macht.
       Technisch herausfordernder sind Jobs, bei denen Einzelteile für Maschinen
       hergestellt werden. Da heißt es Fräsen oder Schweißen – Präzisionsarbeit.
       Dafür gibt es etwas mehr Geld. Doch auch das nur im Centbereich. Seltener
       sind Jobs in den Bereichen Medien oder Kultur, etwa Bibliotheksaufsicht,
       oder [4][die Redaktion einer Gefangenenzeitung].
       
       Der Durchschnittsstundenlohn lag in Nordrhein-Westfalen bisher bei 1,83
       Euro. In Bayern waren es 1,78 Euro. Die bestbezahlten Jobs, beispielsweise
       in der Schreinerei, brachten in Bayern 2,22 Euro pro Stunde ein. Die Sätze
       waren in den Strafvollzugsgesetzen der Bundesländer festgeschrieben. Sie
       waren auf 9 Prozent des Durchschnittslohns aller Rentenversicherten in
       Deutschland festgelegt. Künftig sollen sie in allen Bundesländern auf 15
       Prozent des Durchschnittswertes erhöht werden. Diese 9 beziehungsweise 15
       Prozent werden Eckvergütung genannt.
       
       Tariflohn, Mindestlohn, Branchenmindestlohn – das alles gilt für Gefangene
       nicht. Arbeit in Haft wird nicht als Arbeit im klassischen Sinne anerkannt.
       Regelmäßig führen Politik und Gericht an, Arbeit sei ein Mittel der
       Resozialisierung. Gesetzlich festgeschrieben ist das aber nirgends;
       geregelt ist nur die Höhe der Vergütung.
       
       Bis 2001 betrug der Haftlohn sogar nur 5 Prozent des allgemeinen
       Durchschnittslohns. Auch die damalige Erhöhung ging auf eine Entscheidung
       des Bundesverfassungsgerichts zurück, auf ein Urteil von 1998. Damals
       erklärte das Gericht, dass sich aus dem Grundgesetz ein
       „Resozialisierungsgebot“ ergebe. Strafgefangene haben den Anspruch, auf ein
       straffreies Leben vorbereitet zu werden. Waschinewski und Roth fanden, dass
       auch 9 Prozent vom Durchschnittslohn gegen dieses Resozialisierungsgebot
       verstießen.
       
       ## Gericht fordert Lohnerhöhung
       
       Dem stimmte das Bundesverfassungsgericht 2023 zu. Es forderte nicht
       explizit, die Vergütung zu erhöhen, sondern verpflichtete die Länder, die
       Bedeutung der Arbeit festzulegen. Wenn die Arbeit hinter Gittern eine
       wichtige Rolle bei der Resozialisierung spielen soll, dann müsse geleistete
       Arbeit auch „angemessene Anerkennung“ finden. Der Gefangene müsse „den Wert
       regelmäßiger Arbeit für ein künftiges eigenverantwortetes und straffreies
       Leben in Gestalt eines für ihn greifbaren Vorteils“ sehen.
       
       Kann man das bei einem Stundenlohn von 1,83 Euro? Kann man das bei einem
       Stundenlohn von nun 3,14 Euro besser?
       
       Ein künftiges straffreies Leben „nach Entlassung“ aus dem Gefängnis – wie
       soll das gehen, wenn man Schulden hat, die teils in die Zehntausende gehen?
       Wie mit solchen Schulden eine Wohnung finden? Wie bekommt jemand einen Job,
       der nicht einmal eine Wohnanschrift hat? Wie soll man seinen
       Lebensunterhalt bestreiten, wenn man über Jahre, möglicherweise Jahrzehnte,
       im Gefängnis einer 40-Stunden-Arbeitswoche nachgegangen ist, aber in der
       Zeit weder die Gerichtskosten noch etwaige Entschädigungszahlungen
       abbezahlen konnte?
       
       Peter Roth kam mit knapp 100.000 D-Mark Miese in den Knast. 1997 wurde er
       nach einem Gewaltverbrechen zu lebenslanger Haft verurteilt und sitzt
       seitdem in der JVA Straubing. „Ich habe das mal überschlagen: Ich müsste 50
       Jahre arbeiten, um mit dem Gefängnislohn diese Schulden bewältigen zu
       können“, sagt Roth, heute 64 Jahre alt, der taz [5][bei einem Besuch in
       Straubing] im April 2023.
       
       Roth hatte schon viele Jobs: Als erstes stellte er im Auftrag der Firma MTU
       Teile her, die für Turbinen gebraucht werden. „Selbst mit Gehörschutz war
       das schwer auszuhalten“, erzählte Roth bei einem Besuch der taz vor zwei
       Jahren in der JVA Straubing. Er wechselte den Job, wurde Redakteur einer
       Schachzeitung, später fräste er für den gefängniseigenen Betrieb Holz für
       Tische, Stühle und Schränke, weitere Jobs folgten.
       
       ## Er freute sich schon, aber…
       
       Als das Bundesverfassungsgericht acht Jahre nach seiner Erstklage
       entschied, dass die Vergütungsregeln in Bayern nicht grundgesetzkonform
       sind, freute er sich natürlich. Aber was Bayern zwei Jahre später aus dem
       Urteil gemacht hat, entspricht aus seiner Sicht nicht dem Gedanken, den die
       Rechtsprechung im Sinn hatte: „Von 9 auf 15 Prozent – das ist lächerlich“,
       sagt er der taz bei einem Telefonat Mitte Juni 2025. „Nur 100 Prozent
       dienen der Resozialisierung.“ Das hält sogar er für utopisch. Deshalb
       fordert er zumindest 40 Prozent des Mindestlohns.
       
       Die Zahl hat er sich nicht selbst ausgedacht. 1977 hatte der Bund, der,
       nicht wie heute die Bundesländer, für die Justiz zuständig war, erstmals
       überhaupt eine Lohnhöhe für Gefangene festgelegt: 5 Prozent des
       Durchschnittslohns. Der Gesetzgeber wollte, so der Plan, den Satz
       stufenweise auf 40 Prozent erhöhen, das wurde jedoch nie umgesetzt. Roth
       findet: Das sollen die Länder endlich nachholen. Und dann sagt er doch
       noch: „Tief in meinem Innersten geht es mir aber um 100 Prozent.“
       
       Roth weist außerdem darauf hin, dass die neue Regelung einige Fallstricke
       bereithält, aufgrund derer nicht alle gleich von der Lohnerhöhung
       profitierten. Unter anderem werden die bisher gültigen fünf
       Vergütungsstufen – ähnlich den Lohnstufen im Tarifvertrag des öffentlichen
       Dienstes – auf sieben gestreckt. Gleichzeitig gibt es für Lohnstufe I
       künftig anteilig weniger Geld; dafür auf Lohnstufe VII allerdings mehr als
       jetzt.
       
       Ein weiterer Fallstrick: Gefangene, die nicht arbeiten, erhalten
       stattdessen ein „Taschengeld“, das sich an der Eckvergütung orientiert.
       Dieses Taschengeld soll nach dem neuen Gesetz nicht steigen. Warum nicht?
       Das Bundesverfassungsgericht habe sich nur mit Arbeitsentgelt befasst, das
       Urteil gelte daher nur für die Vergütungssätze.
       
       Roth ist damit nicht einverstanden. „In der JVA Straubing gibt es 800
       Gefangene, aber nur 500 Arbeitsplätze.“ 300 Gefangene können – trotz
       Arbeitspflicht – also gar nicht arbeiten, selbst, wenn sie wollten. Sie
       bekommen den Taschengeldsatz, profitieren aber nicht von der durch Roth
       herbeigeführten Neuregelung. Der kommentiert: „Alles was kürzbar und
       verschlechterbar ist, wird gekürzt und verschlechtert.“
       
       Auch andere Gefängnisinsassen mit denen die taz gesprochen hat, sind
       unzufrieden – sowohl mit der jetzigen als auch der künftigen Regelung. „Wir
       werden ausgebeutet“, sagt einer. Eine andere sagt, auch mit der geplanten
       Erhöhung werde das Vollzugsziel der Resozialisierung verfehlt. Sie fürchtet
       außerdem, dass andere Kosten steigen werden, die das Lohnplus wieder
       auffressen.
       
       ## Was die Gewerkschaft sagt
       
       Einer, der sich schon lange mit dem Thema beschäftigt, ist Manuel Matzke.
       Er ist Sprecher der Gefangenengewerkschaft GG/BO, die seit 2014 die Rechte
       von Gefangenen vertritt. Ihre Mitglieder sitzen in Gefängnissen in ganz
       Deutschland. Trotz der Missstände fallen klassische Gewerkschaften nicht
       mit großangelegten Arbeitskämpfen in Gefängnissen auf. Matzke saß selbst
       einmal im Gefängnis, er kennt das Leben in Haft.
       
       Zur Erhöhung der Eckvergütung von 9 auf 15 Prozent sagt er: „Das ist
       einfach zu wenig.“ Im Telefonat Mitte Juni mit der taz benutzt er später
       noch andere Formulierungen, spricht von einer „Farce“, einem „Witz“. „In
       Summe bekommt man etwa 8 Euro mehr pro Monat.“ Schulden und
       Opferentschädigungen seien damit immer noch schwer abzubezahlen. „Das
       versetzt dich nicht in die Lage, für dich einzustehen.“
       
       Zudem sei das Leben in Haft nicht günstig. „Telefonieren willst du ja auch
       mal.“ Auch das, den Kontakt mit Familie und Freunden außerhalb der Mauern
       halten, dient der Resozialisierung, und selbst dafür müssen Insassen selbst
       aufkommen. Und das kostet im Gefängnis nicht 5,99 Euro, was man draußen
       aktuell für eine Handy-Flat zahlt. Auf Gefängnisse spezialisierte
       Telefonanbieter rechnen noch Minutenpreisen ab, die je nach Bundesland,
       Anstalt und Orts- oder Ferngespräch oder Anruf auf ein Handy bei 23 oder
       sogar 48 Cent liegen.
       
       „Ziel der Arbeit in Haft ist doch zu vermitteln, dass sich ehrliche Arbeit
       auszahlt. Aber mit dem Lohn, den man jetzt bekommt, zahlt sich ehrliche
       Arbeit einfach nicht aus. Das ist Ausbeutung. Und die paar Euro mehr im
       Monat ändern daran auch nichts“, sagt Matzke.
       
       Viele Fremdfirmen, die in Knästen arbeiten lassen, müssten außerhalb des
       Gefängnisses den Mindestlohn an die Beschäftigten zahlen. Die Tatsache,
       dass die Firmen, teils seit Jahrzehnten, Produktion in Haftanstalten
       auslagerten, sieht Matzke als Beleg dafür, dass dort gute, produktive
       Arbeit geleistet werde. Auch deshalb wäre der Mindestlohn also angemessen.
       
       ## Und was ist im Alter?
       
       Matzke hat aber noch andere Probleme mit der politischen Umsetzung des
       Gerichtsurteils. Da die Arbeit in Haft nicht als
       sozialversicherungspflichtig anerkannt wird, zahlen die Beschäftigten weder
       in die Kranken- noch in die Rentenversicherung ein. Das hätten – dem
       Ressozialisierungsgedanken folgend – die Bundesländer spätestens mit dem
       Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2023 ändern müssen, findet er.
       „Rente ist das A und O – gerade für Menschen, die viele Jahre im Gefängnis
       gearbeitet haben, ohne dass es ihnen angerechnet wird. Sie trifft
       Altersarmut besonders hart.“
       
       Ein weiterer Grund, warum Gefangenenarbeit nicht rentenversichert ist, ist
       der Föderalismus: Weil Justiz inzwischen Ländersache ist, die
       Rentenversicherung aber eine Einrichtung des Bundes. Die Länder wollen,
       dass der Bund zahlt, der Bund, dass die Länder zahlen. Tatsächlich hatte
       der Bundestag, als er 1976 das Strafvollzugsgesetz verabschiedete,
       beschlossen, dass die Einbeziehung von Gefangenen in die gesetzliche
       Rentenversicherung gesetzlich geregelt werden soll. Ein solches Gesetz
       wurde jedoch bis heute nicht verabschiedet.
       
       Der Bund befürwortet sogar die Einbeziehung von Strafgefangenen und
       Sicherungsverwahrten in die gesetzliche Rentenversicherung, wie die damals
       noch rot-grün-gelbe Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine
       Anfrage der Linken vom Mai 2024 erklärte. Aber: „Für die Bundesregierung
       kommt eine Tragung der Kosten nicht in Betracht.“ Selbst ein „gemeinsames
       Finanzierungsmodell mit den Ländern“ schließt sie in ihrer Antwort aus.
       Warum? Weil Justiz Ländersache sei.
       
       Auch die Länder sähen Gefangene gerne in der gesetzlichen
       Rentenversicherung, wie eine Umfrage der taz bei den Justizministerien
       ergeben hat, verweisen aber auf die hohen Kosten, die sie ohne den Bund
       nicht bewältigen könnten. Ein Sprecher aus Nordrhein-Westfalen ergänzt:
       Müssten die Länder Gefangenen im Alter eine Rente zahlen, würden sich diese
       Mehrausgaben für den Landeshaushalt „weder während der Inhaftierung noch
       perspektivisch nach der Entlassung substantiell in für die einzelnen
       Gefangenen spürbaren Vorteilen widerspiegeln“. Wie sein Ministerium zu
       dieser Einschätzung kommt, lässt er offen.
       
       Bayern verweist lediglich darauf, der Bund solle zahlen, wolle aber nicht,
       obwohl er dadurch an anderer Stelle sparen könne: zum Beispiel bei der
       Sozialhilfe.
       
       Ein Sprecher des Justizministeriums in Sachsen erklärt: „Die Einbeziehung
       in die gesetzliche Rentenversicherung ist sinnvoll, um eine spätere
       Bedürftigkeit der betroffenen Personen zu minimieren und so mittelbar zu
       einem straffreien Leben beizutragen.“
       
       Ob sich Klaus Waschinewski gegen die Reform wehren und noch einmal vors
       Gericht ziehen wird? Beim Telefonat Mitte Juni sagt er: „Das weiß ich noch
       nicht. Schließlich kosten solche Verfahren Geld, Kraft und Ausdauer.“
       
       ## Nach der Reform hat er weniger Geld als vorher
       
       Am 30. Juni, einen Tag, bevor die neue Regelung in Kraft tritt, meldet er
       sich noch einmal: Die neue Lohnhöhe sei ihm nun offiziell mitgeteilt
       worden. „Ich habe gegen die neue Regelung ein Beschwerdeverfahren
       eingeleitet“, erklärt er. Seine Beschwerde an die JVA Werl liegt der taz
       vor. Darin rechnet er vor, dass er künftig unterm Strich sogar weniger
       verdient als bisher: Pro Monat verliere er 130 Euro. Denn Gefangene können
       für ihre Arbeit bestimmte Zulagen bekommen – die fallen nach dem neuen
       Gesetz allerdings wesentlich niedriger aus.
       
       Während es bisher „für Arbeiten unter arbeitserschwerenden
       Umgebungseinflüssen“ 5 Prozent Zulage gab – die bekam Waschinewski bisher –
       sind es künftig nur noch 3 Prozent. Zudem gab es Zulagen für besondere
       Leistungen, eine Art Bonus für gute Arbeit, von bis zu 30 Prozent –
       Waschinewski bekam 15 Prozent. Die fallen künftig komplett weg. Insgesamt
       hatte Waschinewski also Zulagen von 20 Prozent – ab Juli nur noch 3
       Prozent. „Das ist eine Schweinerei!“
       
       Auch in Bayern sinken die Zulagen. Peter Roth betrifft das als
       Taschengeldbezieher nicht. Ob er gegen die Neuregelung rechtlich vorgehen
       will, zum Beispiel mit einer Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof? „Ich
       bin so müde“, antwortet er, noch unentschieden. Er habe schon so viele
       Gerichtsverfahren geführt, einige liefen auch noch.
       
       Manuel Matzke setzt einerseits auf das Bundesverfassungsgericht selbst.
       Dessen Aufgabe sei sowieso, zu prüfen, ob die Gesetzesreformen seinem
       Urteil entsprechen. Andererseits werde die GG/BO auch selbst
       Experteneinschätzungen einholen, ob die neuen Regelungen dem
       Resozialisierungsgebot entsprechen. „Wenn nicht, werden wir das in einem
       gerichtlichen Verfahren prüfen lassen.“
       
       Klaus Waschinewski ist mit seinen 66 Jahren schon fast im Rentenalter – und
       macht sich bereits Gedanken über das Ende des Lebens. Mit dem Geld, das man
       im Gefängnis verdiene, könne man sich keine Sterbegeldversicherung leisten,
       kritisiert er im Gespräch mit der taz. „Menschen, die im Vollzug sterben,
       werden unwürdig bestattet.“
       
       Noch aber arbeitet Waschinewski weiter auf dem Kabelhof. Bei Regen, Kälte
       und auch bei über 30 Grad. „Wer nicht mehr kann, soll sich hinsetzen, in
       den Schatten gehen. Da achten wir untereinander drauf.“ Im Winter würden
       sie auch mal bei Minus zehn Grad rausgehen. „Da waren die Hände so kalt
       gefroren, da habe ich vormittags erst mal meine Arme ein paar Runden
       geschleudert, damit die Hände wieder warm wurden. Sonst hätte ich kaum
       zupacken können.“
       
       Die Kabel riechen nach Teer, nach Chemie. Und dann ist da noch der ganze
       Dreck. Oberlandleitungen sind jahrzehntelang Wind und Wetter ausgesetzt.
       Über die Jahre sammelt sich Dreck auf ihnen, die Sonne brennt ihn fest.
       Wenn Waschinewski die Kabel auf die Erde schlägt oder mit dem Hammer drauf
       haut, löst sich der Dreck und wirbelt staubig durch die Luft. „Ich freue
       mich immer, wenn es regnet“, sagt Waschinewski. Denn dann sinkt der Staub
       zu Boden und die Luft wird klar.
       
       4 Jul 2025
       
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       ## AUTOREN
       
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