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       # taz.de -- Vize-Dekan über Uni-Proteste in Madrid: „Die Universitäten dürfen nicht einknicken“
       
       > Die rechte Regionalregierung in Madrid will mit hohen Bußgeldern
       > Studierenden-Proteste einschränken. Das sei absurd, sagt der Vize-Dekan
       > der Uni Complutense.
       
   IMG Bild: Víctor Rocafort, Vize-Dekan der Uni Complutense
       
       taz: Herr Rocafort, die Regionalregierung von Madrid will mit massiven
       Bußgeldern Proteste an Hochschulen einschränken. Wie sehen Sie das? 
       
       Víctor Rocafort: Der Gesetzentwurf ist völlig absurd. Schließlich kommt ein
       Großteil des Geldes, über das die öffentlichen Unis verfügen, aus dem
       Haushalt des Staates und der Region. Hauptkritikpunkt ist aber: Es handelt
       sich dabei um einen Eingriff in unsere Kompetenzen und in unsere in der
       spanischen Verfassung festgeschrieben Unabhängigkeit.
       
       taz: Inwiefern? 
       
       Rocafort: Die Strafen von bis zu einer Million Euro richtet sich ganz
       gezielt gegen ein vielfältiges, pluralistisches und freies
       Universitätsleben, wie wir es gewohnt sind. Die Universitäten in Spanien
       waren immer ein Vorreiter, wenn es um ethische Positionen in der
       Gesellschaft geht. Ein Beispiel waren die [1][Protestcamps gegen den Krieg
       und den Völkermord in Gaza] seitens Israel vor einem Jahr. Diese Proteste
       würden durch das neue Gesetz mit hohen Geldstrafen für Teilnehmer, aber
       auch die Universitätsverwaltung enden, weil sie die Camps nicht verhindert
       hat.
       
       taz: Die Regionalregierung Madrid will damit die Wissenschaft an den
       Universitäten über die Ideologie stellen und die Meinungsfreiheit
       verteidigen. 
       
       Rocafort: Sie verteidigt aber nicht die Meinungsfreiheit, im Gegenteil. Es
       ist das gleiche Projekt, wie das von US-Präsident Donald Trump und
       [2][Argentiniens Staatschef Javier Milei]. Die Regierungschefin in Madrid
       Isabel Díaz Ayuso tut so, als ob ihre Position nicht ideologisch sei. In
       Wirklichkeit ist es aber ein ideologischer Angriff auf die Universität und
       auf ihre Freiheiten. So sollen ausgerechnet in einer Zeit, in der die
       Wirtschaft wächst, die Gelder für die öffentlichen Universitäten
       zusammengestrichen werden. Wir müssen mit 35 Prozent weniger auskommen.
       
       taz: Der Bußgeldkatalog soll die freie Meinungsäußerung sichern. An Ihrer
       Fakultät kommt es immer wieder zu Protesten gegen rechte Politiker und
       Redner. 
       
       Rocafort: Ja, wir treten für eine Universität ein, an der Hassreden keinen
       Platz haben. Nicht nur, weil wir das so wollen, sondern auch weil das
       spanische Gesetz Hassreden und Aufrufe zur Gewalt gegen Minderheiten unter
       Strafe stellt. So wollte an unserer Uni ein rechtsextremer Blogger
       auftreten, der unter anderem die EU-Präsidentin als „Dreckshure“ beschimpft
       hatte, der sich in den Netzwerken für die Anti-LGTBI-Gesetzgebung in Ungarn
       ausspricht und gegen Immigranten und andere Minderheiten hetzt. So jemand
       will eine akademische Veranstaltung abhalten? Soll das neue Gesetz solche
       Leute schützen?
       
       taz: Wo ziehen Sie die Grenze? 
       
       Rocafort: An den öffentlichen Hochschulen sind die akademischen
       Veranstaltungen dazu da, die Debatten zu bereichern, die freie, ruhige und
       öffentliche Diskussion zwischen unterschiedlichen Ideen zu fördern. Wir
       wollen ein sicherer und freier Raum sein. Da haben verbale Angriffe auf
       Minderheiten [3][wie etwa LGTBI] oder auf muslimische Studierende keinen
       Platz.
       
       taz: Was können die Universitäten tun, um ihre Unabhängigkeit zu bewahren?
       Die Rektoren verlieren mit dem neuen Gesetz ihr Hausrecht, die Polizei kann
       ohne Genehmigung der Universität auf den Campus. 
       
       Rocafort: Der Gesetzesentwurf verstößt ganz klar gegen die Verfassung. Ich
       glaube nicht, dass er vor dem Verfassungsgericht Bestand haben wird. Aber
       wir müssen auch sehen, dass die Universitätsleitungen in den letzten
       Jahren ihre Unabhängigkeit, zum Beispiel gegenüber den Ordnungskräften,
       nicht genug verteidigt haben. Sie haben all zu oft weggeschaut, wenn die
       Polizei ohne Genehmigung gegen Proteste auf dem Campus vorging.
       
       taz: Angenommen, das Gesetz kommt wie geplant. Sehen Sie die Gefahr, dass
       die Unileitungen noch weiter einknicken und Proteste von vornherein
       untersagen? 
       
       Rocafort: Die Universitäten müssen sich klar auf die Seite der Demokratie
       und der Meinungsfreiheit stellen und deshalb friedliche Demonstrationen der
       Studierenden zulassen. Hier dürfen sie nicht einknicken. Wenn wir
       irgendwann eine autoritäre Regierung haben sollten so wie in den USA, die
       alle roten Linien überschreitet, müssen wir Stärke beweisen. Dazu müssen
       wir dann alle Mittel des zivilen Ungehorsams einsetzen. Wir können da auf
       wertvolle historische Erfahrungen zurückblicken.
       
       18 Jun 2025
       
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