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       # taz.de -- Profi-Fußballspielerin über Sportwashing: „Wir sind alle in das System verwoben“
       
       > Der Frauenfußball findet immer mehr Sponsoren, darunter auch Öl- und
       > Gasunternehmen. Profi Tessel Middag kämpft derweil dafür, dass ihr Sport
       > fossilfrei wird.
       
   IMG Bild: Die Fußballerin und Klimaaktivistin Tessel Middag auf dem Platz in Glasgow, ihrem ehemaligen Verein
       
       taz: Tessel Middag, Sie sind als Profifußballerin bei der Organisation
       Fossil Free Football aktiv, die fossile Sponsoren aus dem Fußball verbannen
       will. Adidas, Booking.com und Amazon als EM-Sponsoren: Wie ökologisch
       schlimm ist das? 
       
       Tessel Middag: Für Adidas als Sportmarke ist es sinnvoll, ein Turnier zu
       sponsern. In gewisser Weise macht es auch für Booking.com als
       Hotelplattform Sinn. Wir als Organisation haben vor allem ein Problem mit
       den Öl- und Gasfirmen, weil sie mit Fußball nichts zu tun haben. Die sind
       so schädlich wie früher die Tabakfirmen und nutzen Fußball, um ihr
       schlechtes Image zu verbessern. Genau wie Tabakwerbung sollte das verboten
       werden. Die Fußballführungskräfte bei der Fifa und Uefa lassen uns hängen.
       Natürlich haben alle Unternehmen, die Sie erwähnt haben, auch nicht die
       beste Bilanz, was Menschenrechte oder Nachhaltigkeit angeht. Idealerweise
       wollen wir Sponsoren, die voll zu den Werten des Frauenfußballs passen,
       aber ich bin mir nicht sicher, ob das finanziell schon drin ist. Wir sind
       alle Teil eines Systems, Unternehmen müssen sich zusammen mit Verbrauchern
       ändern.
       
       taz: Aber ist es nicht ein bisschen naiv, so klar zwischen den Öl- und
       Gassponsoren und anderen Sponsoren zu unterscheiden? Die Textilindustrie
       verursacht höhere Emissionen als die Flugindustrie, die für Sie ein
       fossiler Sponsor ist. 
       
       Middag: Vielleicht liegen wir falsch. Die Kleidungsindustrie ist wirklich
       schlimm: die Mülldeponien und die Arbeitsbedingungen, die Menge an
       Kleidung, die weggeworfen wird. Ich habe mich bei solchen Themen viel
       bilden müssen und tue es immer noch. Ich hatte einen Vertrag mit Nike. Dann
       habe ich mehr über die Arbeitsbedingungen dort erfahren und auch, dass für
       meinen Schuh Känguruleder verwendet wurde. Ich trage jetzt vegane Schuhe
       von Sokito. Aber wenn ich für einen Verein spiele, habe ich kein
       Mitspracherecht bei der Kleidung. Es ist auch schwer, die richtigen
       Entscheidungen zu treffen, wenn es oft keine Alternativen gibt. Bei diesen
       Öl- und Gasunternehmen dagegen geht es stärker um Sportswashing. Ich fühle
       mich benutzt, ein Regime oder ein Produkt reinzuwaschen, das nichts mit
       unserem Sport zu tun hat. Das ist vielleicht der kleine Unterschied.
       
       taz: Der Frauenfußball hat lange Zeit ein Schattendasein geführt. Viele
       Spielerinnen freuen sich über jedes Wachstum und mehr Sponsoren. 
       
       Middag: Da lauert eine Gefahr. Ich bin nicht damit einverstanden, wie der
       Männerfußball geführt wird, und ich persönlich will nicht verdienen, was
       Cristiano Ronaldo jetzt in Saudi-Arabien verdient. Wir dürfen für Equal
       Pay nicht jeden Sponsor ins Boot holen, der uns Geld bietet. Und wir müssen
       von den Sportmarken verlangen, dass sie nicht jede Saison vier verschiedene
       Trikots herausbringen. Es gibt auch wirklich gute Initiativen von Vereinen,
       die das Trikot vom Vorjahr wiederverwenden.
       
       taz: Gehen denn ein wachsender Frauenfußball und Nachhaltigkeit zusammen?
       Wenn Sie mehr Einnahmen wollen, wird man Ihnen sagen: Verkaufen Sie mehr
       Trikots. 
       
       Middag: Es geht nicht nur darum, mehr Geld einzunehmen. Sondern um die
       Frage: Wie verteilen wir die Einnahmen so, dass mehr Menschen davon
       profitieren? Viel Geld im Fußball wird falsch ausgegeben. Fußballer sollten
       nicht so viel Geld verdienen wie einige Männerstars, vor allem, weil ich
       Fußball nicht für einen so relevanten Beruf wie einen im Bildungs- oder
       Gesundheitssektor halte. Ich hoffe, dass wir erreichen, dass Frauen 40
       Stunden pro Woche voll als Fußballprofis berufstätig sein können, zumindest
       mit einem Mindestlohn. Wir wollen Fußball inklusiv machen, gerade weil wir
       so lange ausgeschlossen waren.
       
       taz: Sie haben bei Spitzenvereinen wie Ajax Amsterdam und Manchester City
       gespielt und 44 Länderspiele für die Niederlande absolviert. Was erleben
       Sie in den Kabinen, ist die Klimakatastrophe ein Thema für Spielerinnen? 
       
       Middag: Das Bewusstsein dafür ist im Frauenfußball generell höher als im
       Männerfußball. Aber ich muss ehrlich sagen, dass sich nicht alle meine
       Teamkameradinnen für das Thema interessieren oder meine Meinung teilen.
       
       taz: Trotzdem haben über hundert Profispielerinnen einen [1][Protestbrief
       an die Fifa] gegen das Sponsoring durch den Ölkonzern Saudi Aramco
       geschrieben, darunter Sie. Sie protestieren für Nachhaltigkeit, Menschen-
       und Frauenrechte. Eine Zeitenwende? 
       
       Middag: Dass so viele unterschrieben haben, hat mir Mut gegeben. Wir
       Fußballerinnen haben gezeigt, dass uns Dinge nicht egal sind. Aber ich bin
       sehr enttäuscht von der Führungsriege. Gianni Infantino hat uns nicht mal
       geantwortet.
       
       taz: Ich fand es auch bemerkenswert, wie wenige Star-Spielerinnen
       unterschrieben haben. Hatten die Angst vor Konsequenzen? 
       
       Middag: Ja, nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht. Ich habe mit vielen der
       Spielerinnen gesprochen. Einige von ihnen wollten sich die Option offen
       halten, in die saudische Liga zu wechseln. Ich habe von dort auch ein
       Angebot bekommen. Die Summe, die ich dort hätte verdienen können, ist irre,
       30.000 Euro im Monat, danach kann man sich zur Ruhe setzen. Im Moment
       verdiene ich in der schottischen Liga etwas über dem Mindestlohn. Ein
       weiterer Grund war, dass sie Angst um ihre persönliche Sicherheit hatten,
       falls in Saudi-Arabien ein Frauenturnier organisiert wird. Was, wenn sie
       mich einsperren? Und viele Vereine oder Nationalteams sind schon mit
       Saudi-Arabien verwoben. Die Männermannschaft im Klub einer Spielerin
       spielte in Saudi-Arabien die italienische Supercopa. Sie durfte kein
       Interview geben, bis der Pokal gespielt war. Und im Frauenfußball
       unterschreibt man Einjahres- oder Zweijahresverträge. Wenn man zu sehr
       nervt, verliert man seinen Job.
       
       taz: Ist das ein Grund dafür, dass sich Spieler:innen generell beim
       Thema Klimakrise eher zurückhalten? 
       
       Middag: Ja, ich glaube schon. Und sie haben wahrscheinlich Angst, dass man
       sie als Heuchler bezeichnet, weil sie viel fliegen, was auch bei mir der
       Fall ist. Ich wechsele im September nach Neuseeland. Das ist schlimm für
       meinen ökologischen Fußabdruck. Wir sind alle in das System verwoben. Aber
       ich habe trotzdem das Recht, meine Meinung zu sagen.
       
       taz: Warum sind die Männer so viel stiller als die Frauen? 
       
       Middag: Wegen der besonderen Geschichte des Frauenfußballs. Allein dadurch,
       dass wir als Frauen in einer immer noch sehr männlich dominierten Welt
       sind, sind wir viel sensibler für Ungerechtigkeiten. Wir leben immer noch
       in einem Patriarchat, rechtsextreme Politik ist auf dem Vormarsch. Manche
       Männer, die all das nicht selbst erleben, sind sich gar nicht bewusst, was
       um sie herum passiert. Ich wollte immer nebenbei studieren, weil ich
       wusste, dass ich nicht voll auf eine Fußballkarriere setzen konnte. Wenn
       ich in Fußballrente gehe, muss ich sofort anfangen zu arbeiten.
       Fußballerinnen mussten sich immer notgedrungen bilden.
       
       taz: Kurz vor dem Turnier gab es in der Schweiz eine Naturkatastrophe, bei
       der [2][ein Gletscher ein ganzes Dorf verschüttet hat]. Derzeit haben wir
       eine massive Hitzewelle in Europa. Trotzdem spielt in der
       Medienberichterstattung über das Turnier die Klimakrise fast keine Rolle.
       Warum? 
       
       Middag: Stimmt, und es gibt so viel mehr Beispiele. Bei der Klub-WM der
       Männer mussten sechs Spiele wegen extremer Witterungsbedingungen abgesagt
       oder verschoben werden. Letztes Jahr bei der Copa América ist ein
       Schiedsrichter wegen Hitze ohnmächtig geworden. Die Zuschauerzahlen bei der
       Klub-WM sind niedrig, weil die Leute nicht in der Sonne sitzen wollen. Ich
       weiß nicht, warum das zur EM nicht aufgegriffen wird. Vielleicht haben die
       Leute die Nase voll von Weltpolitik. Viele wollen beim Fußball nicht über
       Politik nachdenken und einfach Spaß haben.
       
       taz: Die Uefa hat zum Turnier eine Nachhaltigkeitsstrategie vorgestellt,
       unter anderem können Fans mit Tickets an Spieltagen die öffentlichen
       Verkehrsmittel kostenlos nutzen. Wie nachhaltig ist die Euro? 
       
       Middag: Das ist eine tolle Initiative und etwas, das wir auf jeden Fall
       beibehalten sollten. Und zum Glück ist die Schweiz von den Entfernungen her
       ein Land, in dem das möglich ist. Sie schneidet eher gut ab. Wir brauchen
       mehr regionale Turniere und nicht Kanada, die USA und Mexiko, da muss man
       natürlich viel fliegen.
       
       taz: Wie sind Sie als Profi eigentlich auf die Idee gekommen, sich zur
       Klimakrise zu engagieren? 
       
       Middag: Ich habe einfach bemerkt, was um mich herum passiert, habe viele
       Bücher und Artikel gelesen. Auch Greta Thunberg hat tolle Arbeit geleistet,
       wir können ihr alle dankbar sein, dass sie das Thema auf die globale Agenda
       gesetzt hat. Ich war immer politisiert, aber ich habe eine Weile gebraucht,
       um zu sehen, wie der Fußball helfen kann, die großen Probleme anzugehen.
       2016 bin ich [3][Mitglied von Common Goal geworden] …
       
       taz: … einer Initiative, bei der Profis und Klubs ein Prozent ihrer
       Einnahmen für wohltätige Zwecke spenden. 
       
       Middag: Common Goal und Football For Future haben mir durch Workshops sehr
       viel vermittelt, genauso wie Frank Huisingh von Fossil Free Football. Mir
       ist immer klarer geworden, wie groß die Emissionen des Fußballs sind. Und
       gleichzeitig haben wir ein so großes Publikum. Allein dadurch, dass man
       Fußballerin ist, hören einem die Leute zu, das ist absurd. Es wäre besser,
       wenn sie auf die Wissenschaft hören würden als auf mich. Aber wenn sie mir
       zuhören, dann tue ich, was ich kann.
       
       4 Jul 2025
       
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