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       # taz.de -- Queeres Leben: Die Antwort auf Angriffe muss mehr Organisation sein
       
       > Worauf ist für queere Menschen noch Verlass, wenn Pride-Paraden selbst in
       > EU-Staaten einfach so verboten werden können?
       
   IMG Bild: Pride in Budapest: Im Kampf gegen das Patriarchat und Queerfeindlichkeit kann der Staat nur ein temporärer Verbündeter sein
       
       Es ist 19.10 Uhr, als ich in Budapest ankomme. Seit zwei Stunden schaue ich
       permanent auf mein Smartphone. Während mein Zug über die
       ungarisch-österreichische Grenze rollte, beschloss das ungarische Parlament
       das Verbot der Pride-Parade. Live.
       
       Bevor ich losfuhr, habe ich mir über die bevorstehende
       Parlamentsentscheidung keine Gedanken gemacht. Während der Fahrt fiel sie
       mir irgendwann ein und kam mir vor wie ein verrückter Zufall.
       
       In Budapest bin ich zum ersten Mal. Vom Bahnhof holt mein Freund mich ab.
       Wir fahren mit der Metro zu seiner WG – beschrieben als „gegenüber vom
       Parlamentsgebäude“. Und tatsächlich, bei der Ankunft leuchtet das
       neugotische Gebäude mich mit seiner hellen Fassade an. Harmlos, oder?
       
       Die nächsten Tage werde ich in dieser Stadt verbringen, Lángos essen und
       eine gute Zeit haben. Aber ich verhalte mich anders, als ich es während der
       Prides in Prag, Wien, Paris und selbst Tirana tat. Ich ziehe mich anders an
       und bin skeptisch gegenüber den Menschen, die mir begegnen. Und das in
       einer europäischen Großstadt.
       
       Und ich frage mich: Was beschützt Menschen wie mich in Deutschland davor,
       dass wir uns irgendwann nicht mehr offen queer auf die Straße trauen? Die
       EU jedenfalls nicht. Bleibt zu hoffen, dass das deutsche Rechtssystem
       stabil genug ist. Aber was, wenn nicht? [1][Trump hat es in den USA
       geschafft, den Rechtsstaat zu einem zahnlosen Tiger zu machen]. Orbán hat
       Ungarn zu einer Autokratie umgebaut, in der keine*r seinem Wort
       widersprechen darf. Was lässt mich sicher sein, dass das in Deutschland
       nicht möglich wäre?
       
       Als ich vor wenigen Wochen zum CSD in Wetzlar fuhr, standen dort plötzlich
       35 gewaltbereite Neonazis. Sie waren für mich aber keine Bedrohung. Die
       gegenwärtige Rechtsordnung hielt sie in Form von Hunderten
       Polizist*innen davon ab, uns zu verprügeln. Dabei machten sie einen
       traurigen und bemitleidenswerten Eindruck: wie sie am Bahnhof
       herumlungerten, in deutlich zu großen, ausgewaschenen T-Shirts, auf denen
       „88“ oder „Blut, Ehre, Stolz“ stand.
       
       Die Polizist*innen, die uns vor ihnen beschützten, wurden zur Brandmauer
       aus Versammlungsrecht und Grundrechten. Doch Ungarn und die USA zeigen: Es
       gibt keinen Verlass darauf, dass die politischen Verhältnisse sich nicht
       derart ändern, dass dieselben Polizist*innen, die uns in Wetzlar
       beschützten, eines Tages gegen mich und andere queere Menschen eingesetzt
       werden. Wenn die Rechtsradikalen einmal gewinnen, setzen sie alles daran,
       uns aus der Gesellschaft zu vertreiben, uns zu sanktionieren und uns das
       Leben schwer zu machen.
       
       Wir können uns im Zweifel nicht auf ratifizierte Menschenrechte, das
       Versammlungsrecht oder unsere Grundrechte verlassen. Der Grad zwischen
       autoritären und demokratischen Verhältnissen ist offenbar so dünn, dass
       beides – Wetzlar und Budapest – koexistieren kann. In derselben EU, mit
       derselben Menschenrechtscharta und denselben „Grundwerten“.
       
       Im Kampf gegen das Patriarchat und Queerfeindlichkeit kann der Staat nur
       ein temporärer Verbündeter sein. Wir werden uns also viel besser
       organisieren müssen, wenn wir nicht umfallen wollen, sobald der politische
       Wind etwas stärker von rechts weht. Das heißt, [2][die Pride wieder
       deutlicher als Demonstration auszurichten] und die politische Situation in
       Ländern wie Ungarn oder den USA auf jeder CSD-Bühne zwischen Berlin und
       Nierstein zu thematisieren. Für queere Menschen bedeutet es auch, gemeinsam
       zu Prides anzureisen, lokale Schutzräume in den Veranstaltungsorten zu
       kennen und stets damit zu rechnen, dass es nicht wie geplant läuft.
       [3][Pride muss wohl wieder riot werden].
       
       6 Jul 2025
       
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