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       # taz.de -- Ein Rezept für den Abgang: Jens, uns schmeckt’s nicht!
       
       > Was haben ein Schmorgericht und Rücktritte von Politikern gemeinsam?
       > Eine Betrachtung der Spahn’schen Maskenaffäre anhand des Münsterländer
       > Töttchens.
       
   IMG Bild: Keine Masken, weniger Sorgen: Jens Spahn beim CDU-Kreisverband Borken 2018
       
       Etliche politische Karrieren von Konservativen beginnen auf Schützenfesten
       oder in traditionellen Gastwirtschaften. Dazu gehört natürlich Kenntnis der
       regionalen Spezialitäten. Im Falle von Jens Spahn ist dies das
       [1][Münsterländer Töttchen], früher ein sogenanntes Armeleuteessen, heute
       wird es auch gerne zu festlichen Anlässen serviert, zum Beispiel auf
       besagten Schützenfesten. Beim Traditionsgericht aus der Heimatregion des
       heutigen CDU/CSU-Fraktionschefs haben sich allerdings im Laufe der
       Jahrzehnte die Zutaten etwas geändert.
       
       Einst wurde für das Töttchen ein Kalbs- oder Rinderkopf verwendet sowie
       Innereien wie Herz, Lunge und auch Pansen. Heute greift man lieber zu
       hochwertigem Fleisch aus der Kalbsschulter oder -brust sowie Kalbszunge.
       
       Mit der [2][Maskenaffäre] hat Jens Spahn derzeit einen handfesten Skandal
       am Wickel. Aber hat sie auch alle Elemente für einen Rücktritt des heutigen
       Unionsfraktionsvorsitzenden? Offenbar haben sich auch hier – wie beim
       Töttchen – die Zutaten entscheidend geändert. Beim letzten vergleichbar
       ehrgeizigen und machtbewussten Münsterländer, der in der Bundespolitik
       stolperte, reichte noch eine schnöde „Briefbogenaffäre“ zum Rücktritt.
       
       Bundeswirtschaftsminister Jürgen W. Möllemann wurde 1993 ein Schreiben mit
       offiziellem Briefkopf zum Verhängnis, in dem der FDP-Politiker bei mehreren
       Handelsketten für ein „pfiffiges Produkt“ geworben hatte: einen
       Einkaufswagenchip, den ein angeheirateter Vetter vertrieb. Das könnte Spahn
       heute so nicht mehr passieren: Der Christdemokrat schreibt lieber E-Mails.
       
       ## Locker-flockig während Corona
       
       Im März 2020, zu Beginn der Coronapandemie, mailte der damalige
       Bundesgesundheitsminister beispielsweise locker-flockig an einen
       Schutzmaskenhändler: „Ja. Transport klären wir dann. Jetzt will ich erst
       mal rechtlich verbindlich das Zeug;-) So, bin jetzt vorerst raus hier,
       praktischen Rest mit meinen Leuten klären. Danke!“
       
       Der Händler klagt heute vor dem Landgericht Bonn auf eine Zahlung von 287
       Millionen Euro. Insgesamt fordern Maskenlieferanten eine Summe von 2,3
       Milliarden Euro juristisch ein. Inklusive der Zinsen sowie der Rechts- und
       Verfahrenskosten könnte Spahns kreatives Wirken während der Coronapandemie
       den Bund – und damit die Steuerzahler:innen – bis zu 3,5 Milliarden
       Euro kosten.
       
       Dagegen sind die 243 Millionen Euro für [3][die geplatzte Pkw-Maut des
       CSU-Verkehrsministers Andreas Scheuer] nur Peanuts. So wie es seinerzeit
       allerdings nicht für den Rücktritt Scheuers reichte, sorgt der angerichtete
       Schaden zwar für eine Empörung, die erforderlich ist für einen Rücktritt.
       Aber das genügt noch nicht.
       
       ## 750 Gramm Fleisch
       
       Für ein Töttchen für vier Personen reichen etwa 750 Gramm Kalbfleisch. Es
       wäre also nicht sinnvoll, an der Fleischtheke einfach nur zu sagen: Packen
       Sie mir so viel ein, wie Sie bekommen können. Bei einer Pandemie ist die
       Kalkulation natürlich schwieriger. 5,7 Milliarden Coronamasken kaufte der
       Bund ein, aber nur zwei Milliarden davon wurden an die Bevölkerung
       verteilt. Mehr als die Hälfte wurde nicht gebraucht und daher vernichtet.
       Nun ja, die damalige Zeit war allerdings auch tatsächlich außergewöhnlich.
       
       Problematischer ist, dass Spahn in einem sogenannten Open-House-Verfahren
       jedem 4,50 Euro pro FFP2-Maske bot, der bereit war, bis zum 30. April 2020
       zu liefern. Dabei waren seine Beamt:innen von einem wesentlich
       niedrigeren Marktpreis ausgegangen. Die Folge war, dass der Bund mit Masken
       überschwemmt wurde.
       
       Das sprengte nicht nur bereits nach wenigen Tagen völlig das Budget,
       sondern sorgte auch dafür, dass das von Spahn beauftragte
       Logistikunternehmen die Menge nicht mehr bewältigen konnte. „Fehlendes
       ökonomisches Verständnis und politischer Ehrgeiz“ attestiert Spahn die
       Sonderbeauftragte Margaretha Sudhof [4][in ihrem Bericht]. Das alleine wäre
       noch kein Rücktrittsgrund. Was mindestens noch fehlt: das passende
       Geschmäckle.
       
       ## Zwei große Zwiebeln
       
       Für das Töttchen braucht man zwei große Zwiebeln, am besten aus regionalem
       Anbau. Bei Spahns Maskenaffäre sorgt für Schärfe, dass er es persönlich
       erlaubt hat, noch Ende April 2020 bei der Schweizer Firma Emix 100
       Millionen FFP2-Masken zum Preis von sogar 5,40 Euro pro Stück zu bestellen.
       Diese Firma hatte die Tochter des ehemaligen CSU-Generalsekretärs Gerold
       Tandler vermittelt und dafür mehrere Millionen Euro Provision kassiert.
       
       Zum anderen hat es ebenfalls mindestens ein Geschmäckle, dass Spahn gegen
       die heftigen Einwände aus dem Innenministerium und gegen den Rat seiner
       eigenen Fachabteilungen nicht die Branchenriesen DHL und Schenker zu den
       zentralen Beschaffern und Verteilern von Masken, Schutzkleidung und
       Desinfektionsmitteln auserkor, sondern ohne Ausschreibung den
       münsterländischen Logistiker Fiege, der – wie vorausgesagt – den
       milliardenschweren Auftrag nicht bewältigen konnte. Auch wenn Fiege das
       „entschieden“ zurückweist.
       
       Das Unternehmen ist in Greven ansässig, dem Bundestagswahlkreis, der direkt
       neben dem von Jens Spahn liegt. Firmenpatriarch Hugo Fiege gehörte lange
       dem Präsidium des CDU-Wirtschaftsrats an, sein Sohn Felix Fiege ist
       stellvertretender Vorsitzender des CDU-Wirtschaftsrats Nordrhein-Westfalen.
       Mit beiden ist Spahn gut bekannt und sagt, „dass es wesentlich besser
       funktioniert, wenn das Angebot von jemand kommt, den man kennt und
       einschätzen kann“.
       
       1993 tönte der bayerische Ministerpräsident Max Streibl beim politischen
       Aschermittwoch noch: „Saludos Amigos!“ Es sei keine Schande, Freunde zu
       haben. Drei Monate später musste der CSU-Mann dann doch noch wegen seiner
       allzu ausgeprägten Geschäftstüchtigkeit die Suppe auslöffeln und
       zurücktreten. Was fehlt dazu noch im Fall Spahn?
       
       ## Suppengrün, Nelken und Piment
       
       Im Töttchen darf ein Bund Suppengrün nicht fehlen, ein Lorbeerblatt, Nelken
       und Piment, ein kleines Glas Sherry, je ein Esslöffel Essig und Senf, 50
       Gramm Butter, eine Prise Zucker, Salz und Pfeffer und natürlich eineinhalb
       Liter kochendes Wasser.
       
       Für einen Politikerrücktritt reicht der Skandal allein noch nicht. Dass die
       Opposition kocht, ist natürlich eine elementare Voraussetzung. Die Grünen
       wettern, Spahn stehe im Verdacht des „Machtmissbrauchs im Amt“, die
       Linke-Vorsitzende Ines Schwerdtner fordert Spahns „Rückzug bis zur
       vollständigen Aufklärung dieses Falls und des gesamten CDU-Netzwerks“.
       Mediale Aufregung ist auch wichtig, um die Sache fett zu machen.
       
       Hinzukommen müssen aber auch Stimmen aus den eigenen Reihen oder wenigstens
       denen des Koalitionspartners. Doch CDU, CSU und SPD halten Spahn bislang
       die Stange. Das könnte auch daran liegen, dass er sich nicht unbedingt
       tollpatschig verteidigt. Anstatt abzutauchen, nutzt Spahn jedes Mikrofon,
       das ihm hingehalten wird, um wortreich wie weitschweifig zu demonstrieren,
       dass er nichts zu verbergen habe. Seine wiederkehrende Botschaft: Mit „dem
       Wissen von heute“ würde er zwar viele Entscheidungen anders treffen. Aber:
       „Ich habe in der jeweiligen Lage nach bestem Wissen und Gewissen
       entschieden.“ Und Spahn hat vorgesorgt. Unvergessen sein Satz „Wir werden
       einander viel verzeihen müssen“, den er im Bundestag zu Coronazeiten
       formulierte. Sogar ein Buch hat der CDU-Mann über diesen Hinweis
       geschrieben.
       
       In die Hände spielt ihm auch [5][CDU-Gesundheitsministerin Nina Warken, die
       den 168-seitigen Bericht] der Sonderberichterstatterin Sudhoff erst unter
       Verschluss hielt und dann nur mit großflächigen Schwärzungen zugänglich
       gemacht hat. Ansonsten versucht Spahn recht geschickt vom Thema abzulenken,
       wenn er etwa über europäische Atomwaffen unter deutscher Führung
       schwadroniert.
       
       ## Linke und Grüne fordern U-Ausschuss im Bundestag
       
       Politiker:innen müssen erst dann um ihren Posten fürchten, wenn sie
       den Rückhalt der Führung ihrer Partei verlieren. Schnell eng wird es, wenn
       die entsprechende Person starke Widersacher:innen in den eigenen
       Reihen hat, die sie aus dem Weg räumen wollen. Die andere Möglichkeit ist,
       dass der Skandal die gesamte Partei in Mitleidenschaft zu ziehen droht.
       Beides scheint im Fall Spahn gegenwärtig noch nicht der Fall zu sein.
       Heikel könnte es jedoch werden, wenn es einen
       Bundestagsuntersuchungsausschuss zur Maskenaffäre geben sollte, wie ihn
       Grüne und Linkspartei fordern.
       
       Damit würde die unerfreuliche Geschichte lange vor sich hin garen – und
       könnte auch immer wieder hochkochen, zum Beispiel im Vorfeld der diversen
       Landtagswahlen 2026. Deshalb will die schwarz-rote Koalition auch nur eine
       Enquetekommission zur Coronazeit, die die staatlichen Maßnahmen evaluieren
       und daraus Empfehlungen für künftige Krisen ableiten soll. Da hätten Spahn
       und die Union nicht mehr viel zu befürchten.
       
       ## Schwarzbrot als Beilage
       
       Wie das Münsterländer Töttchen ist ein Rücktritt eher nichts für
       Veganer:innen. Und wie ein gutes Schmorgericht braucht er in der Regel eine
       längere Zeit, bis es so weit ist. Manchmal gelingt er auch gar nicht. Gut,
       dass es das Töttchen auch in der Dose gibt. 400 Gramm für 4,40 Euro, was
       immerhin unter Jens Spahns ausgelobtem Maskenpreis liegt. Wohl bekomm’s.
       
       5 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.landservice.de/kuechengeschichten/muensterlaender-toettchen
   DIR [2] /Spahns-Maskenaffaere/!6096693
   DIR [3] /Andreas-Scheuer-kandidiert-nicht-mehr/!5985673
   DIR [4] /Neue-Details-belasten-Ex-Gesundheitsminister-Jens-Spahn/!6091376
   DIR [5] /Maskenkaeufe-in-der-Coronazeit/!6095371
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Pascal Beucker
       
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