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       # taz.de -- Größte Blüte der Welt: Das 72-Stunden-Wunder
       
       > Die Titanenwurz lockt in Berlin Schaulustige an – und die Menschen haben
       > Meinungen. Ein Besuch im Botanischen Garten.
       
   IMG Bild: Seltene Attraktion: Die Titanenwurz blüht nur alle paar Jahre
       
       Die [1][Titanenwurz] blüht. Freudig nickt eine Frau, die im Botanischen
       Garten in Berlin dem Ausgang zustrebt. Ja, ja, natürlich habe sie sie
       gesehen, sie holt ihr Handy, zeigt Fotos. „Da, sehen Sie“, sagt sie mit
       spanischem Akzent. „Wir fahren nicht nach Indonesien an den Strand. Wir
       fahren hierher, um uns diese tolle Blüte anzuschauen, die doch eigentlich
       dort wächst.“ Ob es ein Weltwunder sei? „Unbedingt“, antwortet ihr
       Begleiter.
       
       Amorphophallus titanum, die Titanenwurz, ist eine Pflanze, die, soweit
       bekannt, die größte Blüte der Welt hervorbringt. Heimisch auf Sumatra und
       importiert in die Gewächshäuser der botanischen Gärten weltweit. Blüht sie,
       ist das Wunder nur drei Tage lang zu bestaunen. Am ersten Tag stinkt sie
       nach Aas, so lockt sie Insekten für die Bestäubung an.
       
       Im Gewächshaus können die Gärtner bei der Bestäubung nachhelfen, erklärt
       Arnaldy Prasetya. Fünf solcher Knollen besitze man in Berlin. Er ist
       zuständig für die Pflanze und beobachtet, ein wenig abseits stehend, das
       Gedränge um den Topf mit der Blüte, die wie eine umgedrehte Glocke aussieht
       aus samtenem, dunkelrot leuchtendem Stoff.
       
       Auf die Frage, ob er also die Mutter der Titanenwurz sei, meint ein
       danebenstehender Kollege: „doch eher der Vater“. „Der Sohn“, korrigiert
       Prasetya, auf sein Alter anspielend. Er arbeitet seit 2020 im Botanischen
       Garten und stammt aus Indonesien. Einmal habe er eine blühende Titanenwurz
       dort gesehen. Wegen Palmölplantagen verschwindet der Urwald und mit ihm
       diese wunderbare Pflanze.
       
       ## Publikumsliebling Titanenwurz
       
       Im Gewächshaus ist die Pflanze von Menschen umringt. Nur wer es ganz nach
       vorne schafft, kann das Wunder in Gänze erfassen. Ein langer, etwas steinig
       anmutender graugelber Stempel, der aus dem wächsern wirkenden welligen
       Blütentrichter herausragt.
       
       „Wie ein Brunnen.“ „Wie ein Bühnenbild.“ „Wie ein 3-D-Bild von [2][Georgia
       O’]Keeffe.“ Die hat das Innere von Blüten stark vergrößert gemalt, um so
       deren Sinnlichkeit zu verdeutlichen. Große Leute stellen sich auf
       Zehenspitzen und halten ihre Handys in den Blütenkelch. Dort, wo die
       fingerdicken Samenfäden sind.
       
       Wenig Beachtung findet der zweite Topf, der neben der Blüte steht. Auch
       darin steckt eine Knolle, bis zu 100 Kilo schwer. Aus dieser allerdings
       wächst keine Blüte, sondern ein Stängel, zehn Zentimeter im Durchmesser.
       Oben verzweigt er sich, fleischige Blätter hängen daran.
       
       Eine Besucherin erklärt, dass auch das eine Titanenwurz ist. Über Jahre
       treibt die Knolle auf diese Art baumartig aus, sammelt Kraft durch
       Photosynthese, um irgendwann dann statt Stängel und Blättern die Blüte
       auszubilden.
       
       ## „Nach dem Höhepunkt tot“
       
       Das letzte Mal, als die Titanenwurz blühte, 2018 war es, erzählt eine Frau,
       habe sie nicht herkommen können, man müsse ja doch arbeiten, es seien nur
       drei Tage, an denen man sie sehen kann. Sie ist Vermessungsingenieurin,
       jetzt in Rente. „2,36 Meter, das ist beachtlich für eine Blüte.“ Sie gehört
       zum Team „Begeisterung“.
       
       Zum Team „Habe es mir noch beeindruckender vorgestellt“ gehört eine
       Besucherin, die vor dem Gewächshaus sitzt und Eis isst. Neben ihr ein
       umzäunter Kübel mit einer großen Agave, die ebenfalls bald blühen wird.
       Selten ist die nicht.
       
       Der Blütenstängel ist mindestens schon fünf Meter hoch, die vielen kleinen
       Blüten daran noch nicht entfaltet. „Agaven sterben nach der Blüte ab“, sagt
       ihre Begleiterin. „Oh, wusste ich nicht. Nach dem Höhepunkt tot. Wie bei
       dieser Heuschrecke, die das Männchen auffrisst. Das finde ich gut.“
       
       Ihre Begleiterin meint, „das klingt, als hättest du da noch eine Rechnung
       offen“. Die Frau winkt ab. „Damit bin ich durch.“
       
       5 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Botanischer-Garten-in-Berlin/!6096837
   DIR [2] https://www.okeeffemuseum.org/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Waltraud Schwab
       
       ## TAGS
       
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