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       # taz.de -- Verzicht auf Dating: Die Liebe, die ich habe
       
       > Nach 15 Jahren Ärger und Enttäuschungen entscheidet unsere Autorin: Keine
       > Männer mehr. Keinen Sex, keine Dates, keine Beziehung. Warum sie so
       > glücklicher ist.
       
       Noch fünf Minuten bis zur Abfahrt. Nach einer Woche Italienurlaub sitze ich
       am Bahnhof von Verona im Zug. Die letzten Tage bin ich durch die
       verwinkelten Gassen von Venedig geschlendert, habe in der Novembersonne
       Cappuccino getrunken und am Gardasee Pizza Margherita gegessen. Und jetzt
       sitze ich heulend im Großraumwagen. Nicht wegen einer
       Post-Urlaubs-Depression, sondern wegen meiner neuen Beziehung. Nach drei
       Monaten Dating haben wir es vor zwei Wochen offiziell gemacht, doch anstatt
       mich wie auf Wolke sieben zu fühlen, spüre ich vor allem eins: Wut.
       
       Was mein Freund spürt? Keine Ahnung, der schreibt mir mal wieder nicht. Ob
       er mich vermisst, seitdem ich in Italien bin? Keine Ahnung, seine Gedanken
       und Gefühle sind für mich wie eine Blackbox, sein Verhalten so
       widersprüchlich, dass ich mich frage, ob er überhaupt mit mir zusammen sein
       will.
       
       „Warum tu ich mir das eigentlich an?“, frage ich eine Freundin am Telefon.
       Vielleicht werde es besser, wenn ich ihm eine Ansage mache, meint sie. Bei
       ihr habe das geklappt. Wenn er sich langfristig nicht mehr Mühe gibt, sagte
       sie damals zu ihrem Freund, sei sie weg. Ein halbes Jahr gab sie ihm. Ich
       gebe meinem Freund nach meiner Rückkehr vier Tage. Danach ist es vorbei.
       
       Sieben Monate sind seitdem vergangen. Auf Dates war ich nicht mehr. Apps
       wie [1][Bumble] und Hinge? Deinstalliert. Sex? Nur noch mit mir selbst.
       Partnersuche? Ad acta gelegt.
       
       Ich bin 31, heterosexuell und habe in den letzten Jahren immer wieder auf
       Dates verzichtet – weil ich mit anderen Dingen beschäftigt war oder keinen
       Bock hatte. Doch diesmal fühlt es sich anders an. Nicht nach einer Pause
       oder Detox, sondern nach einem Schlussstrich. Weil es reicht.
       
       Und nicht nur mir: Viele Frauen schwören aktuell den Männern ab, wie ein
       Blick auf Instagram und Tiktok zeigt. Unter Hashtags wie #celibacy oder
       #boysober berichten heterosexuelle Frauen von ihrer neuen Freiheit, seitdem
       sie nicht mehr auf Dates gehen. Von erholsamerem Schlaf, der nicht von
       Gedankenschleifen über den narzisstisch anmutenden Freund gestört wird, von
       Urlaubstagen ohne Herzschmerz und von innerem Frieden, weil sie keine
       Endlosnachrichten mehr in ihr Handy tippen müssen, um dem Ex sein
       respektloses Verhalten zu spiegeln. Sie feiern ihre Freundinnen als die
       eigentlichen Lieben in ihrem Leben und ihre Abende, die sie lieber allein
       mit Tanzeinlagen im Wohnzimmer verbringen als mit einem weiteren Typen von
       Bumble, der keine Fragen stellt.
       
       Und sie lassen ihre Wut raus: auf Ex-Freunde, die sie erziehen mussten, auf
       selbsternannte Feministen, die ihren Unwillen zur Verbindlichkeit in
       intellektuellen Phrasen tarnen und auf Liebschaften, die ihnen ihre Gefühle
       abgesprochen haben. Viele der Beiträge haben Zehntausende, manche
       Hunderttausende Likes. In den Kommentarspalten teilen andere Frauen ihre
       negativen Erfahrungen mit Männern, immer wieder schreiben sie: „We’re all
       living the same life“ – Wir leben alle das gleiche Leben.
       
       Als Vorbild für ihre Abkehr von den Männern sehen viele der Frauen die
       4B-Bewegung in Südkorea, die Ende der 2010er Jahre im Kontext eines
       Femizids entstanden ist. Gewalt gegen Frauen ist in Südkorea weit
       verbreitet, Feministinnen riefen im Sinne des Selbstschutzes zum
       Männerboykott auf. Der Name der Bewegung steht für die vier Dinge, die ihre
       Anhängerinnen ablehnen: Dates mit Männern, Sex mit Männern, Ehe und
       Mutterschaft.
       
       Deutschland ist nicht Südkorea. Trotzdem übertreibe ich nicht, wenn ich
       sage, dass es auch mir um Selbstschutz geht, wenn ich keine Männer mehr in
       mein Liebesleben lasse. Aber von Anfang an.
       
       Mit 16 Jahren habe ich mein erstes Date. Nach ein paar Monaten wird aus dem
       Jungen in Röhrenjeans (es waren die Nullerjahre) mein erster fester Freund.
       Unsere Beziehung ist eine Teenieromanze, wie sie im Buche steht. Doch
       unsere Kennenlernphase davor ist ein Kampf. Tagelang warte ich, dass er auf
       meine SMS antwortet. Einmal vergisst er unser Date, weil er verkatert ist.
       Ein konstantes Gefühl von Unsicherheit und Ohnmacht begleitet mich in
       diesen Wochen. Was ich damals nicht ahne: Dieses Gefühl, das sich bis heute
       als ein dumpfes Ziehen in meiner Magengrube bemerkbar macht, wird mich
       immer weiter begleiten.
       
       Dabei gebe ich mein Bestes, die Kontrolle zurückzubekommen. Um
       Enttäuschungen zu vermeiden, schraube ich meine Erwartungen herunter. In
       der Hoffnung, dass ihr Interesse an mir steigt, mache ich mich Männern
       gegenüber rar. Ich vermeide es zu fragen, ob wir inzwischen ein Paar sind,
       und tue betont cool, wenn ich eigentlich verletzt oder wütend bin. Zu groß
       ist die Angst, als die Frau zu gelten, die immer alles zerreden will und
       die nicht „einfach locker daten“ kann, wie eine der Suchoptionen auf Bumble
       heißt. Ich bin sicher: eine Forderung, eine Gefühlsbekundung zu viel, dann
       kippt die Situation. Dann ist er weg.
       
       Dass das normal ist, suggeriert mir die Popkultur. Zum Beispiel mein
       damaliger Lieblingsfilm [2][„Eiskalte Engel“], in dem die schüchterne
       Annette auf den Aufreißer Sebastian reinfällt, der so viel Angst vor seinen
       Gefühlen hat, dass er Annette lieber abserviert. Oder nehmen wir
       [3][Bridget Jones], die in „Schokolade zum Frühstück“ von ihrem
       manipulativen Boss verarscht wird, um sich danach die Zähne an dem
       emotional verarmten Mark Darcy auszubeißen. Selbst vermeintlich progressive
       Formate wie [4][„Sex and the City“] machen es nicht besser. Auch hier wird
       die alte Leier abgespult: Die Hauptfigur (Carrie) jagt einem Mann mit
       Bindungsphobie (Mr. Big) hinterher. Carries Gespräche und all ihre Gedanken
       kreisen um Mr. Big wie die Planeten um die Sonne. Sechs Staffeln braucht
       es, bis er sich nach ewigem Hin und Her für Carrie entscheidet, nur um sie
       dann im Kinofilm zur Serie am Tag der Hochzeit sitzen zu lassen. Dass
       Carrie oder Bridget am Ende ihre Männer bekommen, zeigt mir: Wenn ich Liebe
       will, muss ich leiden. Und die Macht über die Liebe haben die Männer.
       
       So wie Carrie und Co gelitten haben, tue ich es auch. Fast jeder Mann, mit
       dem ich zusammen bin, macht aus mir ein Nervenbündel, dem das
       Selbstbewusstsein abhanden gekommen ist. Weil er mir tagelang nicht auf
       meine Nachrichten antwortet, sich andere Frauen warmhält oder in seinem
       Dating-App-Profil ein neues Foto hochgeladen hat. Wie eine
       Dauerwerbesendung schwebt die immer gleiche Frage in meinem Kopf: Will er
       mich oder nicht?
       
       Dabei leide ich auch körperlich: Ich schlafe schlecht, esse zu wenig und
       vernachlässige meinen Sport. Ich verschiebe Deadlines für Artikel und nehme
       Karenztage, wenn ich zu ausgelaugt bin zum Schreiben, nachdem am Vorabend
       ein Streit mit meinem Ex eskaliert ist, weil ich es gewagt hatte, ihn zu
       kritisieren. Während andere wegen einer Erkältung ausfallen, sind es bei
       mir Männer, die mich regelmäßig arbeitsunfähig machen.
       
       Selbst meine Urlaube überschatten sie: In Verona weine ich nicht zum ersten
       Mal wegen eines Typen, obwohl ich doch eigentlich chillen will. Davor weine
       ich auf Korfu, weil der Mann, mit dem ich damals etwas habe, sich nicht
       mehr bei mir meldet. Und ich weine an der Ostsee, weil mich Erinnerungen an
       meine gewaltvolle Ex-Beziehung heimsuchen. Irgendwann versuche ich mein
       Datingleben so zu timen, dass potenzieller Liebesstress nicht in meine
       Urlaubszeiten fällt. Während ich das aufschreibe, muss ich lachen, weil es
       zu absurd klingt, um wahr zu sein.
       
       Die Ursachen für all das Drama suche ich lange Zeit bei mir. Ich zermartere
       mir das Hirn: Bin ich bindungsunfähig? Sind meine Erwartungen zu hoch? Habe
       ich einen Vaterkomplex oder ziehe ich unbewusst nur Arschlöcher an? Gut
       gemeinte Anmerkungen aus meinem Umfeld wie „Vielleicht suchst du dir die
       Falschen aus“ oder „Du willst es einfach zu sehr“ machen alles nur noch
       schlimmer und verstärken meine Selbstzweifel zusätzlich.
       
       So lange, bis der [5][Feminismus] in mein Leben kommt. Da erkenne ich, dass
       das Patriarchat Männern ihre Verletzlichkeit und Frauen ihre Wut
       abtrainiert. Dass wir in einer Gesellschaft leben, die Männer von
       Care-Arbeit befreit und notorisch in Schutz nimmt, wenn sie ihre
       Verantwortung nicht übernehmen, während sie von Frauen permanente
       Beziehungspflege erwartet.
       
       Ich lese die Zahlen: [6][Laut Bundesfamilienministerium] erlebt in
       Deutschland etwa jede vierte Frau mindestens einmal in ihrem Leben einen
       körperlichen oder sexualisierten Übergriff durch ihren aktuellen oder
       Ex-Partner. Alle vier Minuten tut ein Mann seiner (Ex-)Partnerin Gewalt an.
       [7][Und fast jeden Tag wird eine Frau getötet] – nicht selten von dem Mann,
       der sie vermeintlich liebt.
       
       Eine große [8][aktuelle Auswertung früherer Studien] durch ein
       internationales Forscher*innenteam rund um die Psychologin Iris Wahring
       von der Berliner Humboldt-Universität zeigt zwar, dass Frauen im Schnitt
       von romantischen Beziehungen mit Männern profitieren, sie also zufriedener
       und weniger depressiv sind als Single-Frauen. Allerdings profitieren Männer
       noch mehr von diesen Beziehungen, das ergab die gleiche Auswertung.
       
       Als eine mögliche Erklärung dafür nennt Wahring auf taz-Anfrage
       Care-Arbeit: „Da in heterosexuellen Beziehungen Frauen immer noch den
       Großteil der Care-Arbeit verrichten, kann eine Partnerschaft für Frauen
       auch eine Mehrbelastung bedeuten. Ein Beziehungsende kann für sie demnach
       eine Entlastung sein, während es bei Männern oft umgekehrt ist.“
       
       Welche Folgen dieses Ungleichgewicht haben kann, untersuchte eine 2025 in
       der [9][Fachzeitschrift Archives of Sexual Behaviour] veröffentlichte
       Studie. Laut der Autor*innen kann das hohe Maß an emotionaler Arbeit,
       die Frauen in heterosexuellen Beziehungen oftmals leisten, nicht nur zu
       einem höherem Stresslevel führen, sondern auch zu geringerer sexueller
       Zufriedenheit.
       
       Dass Frauen ohne Männer möglicherweise besser dran sind, legt eine
       [10][Studie der Universität von Padua] aus dem Jahr 2016 nahe. Laut dieser
       haben Männer nach dem Verlust der Ehepartnerin ein höheres Risiko,
       gebrechlich zu werden, während es bei den Frauen umgekehrt ist.
       Untersuchungen zeigen auch: Trennungen in heterosexuellen Beziehungen gehen
       häufiger von Frauen aus und sie sind es auch, die danach lieber Single
       bleiben.
       
       Mit diesem Wissen fange ich nicht nur an, mein Liebesleben anders zu
       betrachten. Ich höre auch meinen Freundinnen anders zu, wenn sie von ihren
       Dates und (Ex-)Beziehungen mit Männern erzählen. Das hört sich dann oft so
       oder so ähnlich an:
       
       „Mein Ex ist psychisch krank, war aber nie in Therapie. Also musste ich
       nach der Trennung in Therapie.“
       
       „Mein Freund kann sich nicht entschuldigen.“
       
       „Mein Ex zahlt keinen Unterhalt für unseren Sohn.“
       
       „Ich glaube, ihm ist es egal, wie ich unseren Sex finde.“
       
       „Er wollte unbedingt meine Nummer, aber hat sich danach nie gemeldet.“
       
       „Ich habe ihn gefragt, ob er mir hilft, in meiner neuen Wohnung klar Schiff
       zu machen. Er sagte, er setze sich gerne mit einem Buch dazu und schaue mir
       beim Putzen zu.“
       
       „Als ich ihn auf sein verletzendes Verhalten ansprach, sagte er, das
       erinnere ihn jetzt viel zu sehr an seine Ex.“
       
       „Letzte Woche hat er gesagt, wie verliebt er in mich ist. Jetzt sind seine
       Gefühle wieder weg.“
       
       „Mein Freund hat mich im Streit so lange festgehalten, dass ich danach ins
       Krankenhaus musste.“
       
       „Als wir im Bett waren, habe ich mehrfach Nein gesagt, aber er hat nicht
       aufgehört.“
       
       Sicher höre ich auch mal eine Lovestory mit Happy End, doch die meisten
       Liebesgeschichten meiner Freundinnen sind Leidensgeschichten, die von den
       immer gleichen Verletzungen handeln: vom Warten auf Antworten, dem Kampf um
       Verbindlichkeit, fehlender Care-Arbeit – und von Gewalt. Ich finde mich in
       vielen ihrer Geschichten wieder und frage mich irgendwann, ob wir alle mit
       den selben Typen zusammen waren.
       
       „Das Patriarchat hat Generationen von Männern erzeugt, die emotional
       distanziert sind, weil ihnen seit der Kindheit beigebracht wurde, ihre
       Emotionen zu verdrängen und der Liebe und emotionalen Nähe zu Frauen zu
       widerstehen“, schreibt [11][die feministische Autorin Emilia Roig] in ihrem
       Buch „Das Ende der Ehe“, in dem sie wie ich von einem latenten Gefühl
       emotionaler Unsicherheit erzählt, das ihre romantischen Begegnungen mit
       Männern prägte. Geht es nach Roig, verspüren Frauen einen „Durst nach
       emotionaler Nähe, den Männer nicht befriedigen können, weil deren
       Sozialisation ihnen das Gegenteil beibringt: emotionale Distanziertheit,
       ein starkes Bedürfnis nach Unabhängigkeit und ein niedriges Level an
       Engagement.“
       
       Was das für das Verhältnis zwischen Frau und Mann in der Liebe bedeutet,
       bringt die Autorin Laura Melina Berling in ihrem Buch „Modern Heartbreak:
       Feministischer Lieben“ auf den Punkt: „Die emotional distanziertere Person
       hat eine größere Kontrolle über die Situation. Das Bild eines Mannes, der
       keine Bindung braucht und viele Sexualpartnerinnen hat, gegenüber einer
       Frau, die sich binden möchte, birgt Überlegenheit und Asymmetrie.“
       
       Dabei date ich in meinem Zwanzigern auch Männer, die nicht auf Distanz
       bleiben. Im Gegenteil: Sie texten mich auf Whatsapp voll, drängen beim
       Dating mit subtilen Aussagen auf den ersten Sex oder betteln danach um ein
       weiteres Treffen, obwohl ich Nein gesagt habe. Aus ihrer anfänglichen
       Begeisterung für mich wird Besitzanspruch. Womit wir wieder beim Thema
       Kontrolle wären.
       
       Was also, wenn das, was ich bislang für mein persönliches Pech hielt, das
       Patriarchat ist? Wenn es nicht (nur) an mir liegt, dass ich in der Liebe so
       leide, sondern vor allem an den Männern? Es ist ein Gedanke, der ein
       rauschartiges Gefühl der Erleichterung in mir auslöst.
       
       Nach all den verkorksten Dates und Beziehungsversuchen höre ich erstmals
       auf, die Schuld allein bei mir zu suchen, meinem Bindungsstil oder meinen
       Erwartungen, die mir oft als fehlende Gelassenheit ausgelegt wurden. Oder
       wie es Brigitte Theißl [12][im feministischen Magazin] an.schläge im
       Kontext des 4B-Trends auf Social Media formuliert: „Jedes Tiktok-Video,
       jedes Reddit-Posting sendet nicht zuletzt die Botschaft: Nicht du
       persönlich hast versagt, sondern Care-Arbeit auf Frauen abzuladen und sie
       nicht einmal wertzuschätzen, hat im Patriarchat System.“
       
       Wenn ich feministisch lieben will, muss ich feministisch daten, denke ich
       irgendwann, und treffe mich weiter mit Männern, fest entschlossen, die
       Dinge einzufordern, die mir wichtig sind: Sprechen über Gefühle, Empathie,
       Respekt, Fürsorglichkeit. Doch je mehr ich daraufhin für mich einstehe,
       desto größer wird der Widerstand. Je selbstbewusster ich Grenzen ziehe oder
       verletzendes Verhalten benenne, desto ätzender verhalten sich die Männer,
       unter denen sich auch selbsternannte Feministen befinden. Als ich
       Forderungen stelle, stellen sie diese in Frage. Als ich Kritik äußere,
       lenken sie mit Gegenkritik ab. Wenn ich mich unabhängig mache, folgt die
       Abwertung. Mein Selbstbewusstsein finden sie nur so lange sexy, bis es sich
       gegen sie richtet.
       
       Wenn ich mit meinen queeren Freund*innen zusammensitze und die einzige
       Heteroperson am Tisch bin, kommt gern die Frage: „Und, wie scheiße ist es,
       als Feministin auf Männer zu stehen?“ „Ziemlich scheiße“, sage ich dann und
       lache, während mir auch ein bisschen zum Heulen zumute ist.
       
       Vor einem Jahr etwa beginne ich deshalb, Frauen in den Blick zu nehmen, zu
       denen ich mich nie körperlich hingezogen fühlte. Doch ich bin fest
       entschlossen, meinem Schicksal im Heteropatriarchat zu entkommen. Also
       treffe ich mich mit Anna – 33, Hydrobiologin, megacool, megaheiß. Unser
       Date läuft super, doch ich warte vergeblich auf das Gefühl, was ich habe,
       wenn mir ein Mann gefällt. Heute würde ich mir mehr Zeit geben, um mein
       mögliches Begehren einer Frau gegenüber zu erkunden. Damals bin ich sicher:
       Scheiße, ich bin hetero. Ein Jahr später lachen Anna und ich immer noch
       über unser Fake-Date, denn inzwischen verbindet uns eine enge Freundschaft
       – die einzige gesunde Beziehung, die eine Dating-App mir je beschert hat.
       
       Einmal gebe ich einem Mann nach Anna noch eine Chance – seinetwegen finde
       ich mich heulend am Bahnhof von Verona wieder. Seitdem halte ich nicht mehr
       viel davon, Männer zu daten oder mit ihnen zusammen zu sein. Ein Schluss,
       zu dem bereits der Zweite-Welle-Feminismus der 1970er Jahre kam. Die
       Radikalfeministinnen von damals prägten den berühmten Satz „Das Private ist
       politisch“ und kritisierten, dass Frauen in einer heterosexuellen Beziehung
       sich niemals vom Patriarchat befreien können.
       
       Es ist nicht so, dass ich denke, dass es keine Männer gibt, die Frauen auf
       Augenhöhe lieben und wirklich Lust haben, eine Beziehung zu gestalten. Ich
       glaube nur, dass sie eine verschwindend kleine Gruppe sind. Umso mehr
       nerven mich heute Sätze wie „Der Richtige kommt noch“. Sie sollen mir
       Hoffnung machen, doch stattdessen machen sie Druck – weiter zu suchen,
       meine Anforderungen an eine Beziehung noch klarer zu machen, noch besser
       auf frühe Warnsignale zu achten.
       
       Vor jedem ersten Date, das ich zum Schluss hatte, erzählte ich meinen
       Freundinnen von den Männern. Dabei fragte ich nicht, ob sie sie süß fanden,
       sondern: Hast du was Schlechtes über den gehört? Ist der manipulativ? Hat
       der ein Problem mit Gewalt? Anstatt auf der Suche nach Liebe meine Zeit
       damit zu vergeuden, psychologische Gutachten und Führungszeugnisse von
       Männern zu erstellen, die vielleicht ganz süß sind, richte ich meinen Blick
       inzwischen lieber auf die Liebe, die ich schon habe.
       
       Als ich im November in Verona im Zug sitze und mich trotz neuer Beziehung
       so einsam wie lange nicht mehr fühle, fragt mich meine beste Freundin, ob
       sie für mich einkaufen soll, damit ich nach meiner Rückkehr etwas im
       Kühlschrank habe. Sie fragt auch, wann ich ankomme, damit sie mich vom
       Bahnhof abholen kann. Ich weiß nicht, ob der Frust über die Lieblosigkeit
       meines Freundes mich in diesem Moment sensibler macht oder ob sich meine
       Freundin besonders viel Mühe gibt. Doch plötzlich umgibt mich ein tiefes
       Gefühl der Geborgenheit, des Gesehen- und Verstandenwerdens und vor allem
       das Gefühl, im Leben einer anderen Person wirklich Priorität zu haben.
       
       Alles Dinge, die ich als Jugendliche einmal in einer eigenen Familie zu
       finden glaubte, mit Mann und Kindern. Schon in der sechsten Klasse ging es
       bei uns Mädchen nicht darum, ob wir einmal Kinder haben wollen, sondern
       wann und wie viele. Erst als ich verstand, dass ich kein Kind kriegen muss,
       erkannte ich auch, dass ich kein Kind kriegen will. Ein Fakt, der mir den
       Ausstieg aus dem Dating deutlich leichter gemacht hat.
       
       Auf Romantik muss ich seitdem nicht verzichten. Wenn meine Freundinnen und
       ich Sprachnachrichten füreinander aufnehmen, sagen wir uns, dass wir uns
       liebhaben und dass wir uns vermissen. Wenn wir uns sehen, machen wir uns
       Komplimente, und manchmal auch Geschenk, einfach so. Wir sagen uns, wie
       schön wir das letzte Treffen fanden und wie froh wir sind, uns zu kennen.
       Wenn das nicht Romantik ist, was dann?
       
       „Auch wenn es sehr schwer ist, denke ich, dass es einen großen Benefit
       haben kann, von der großen romantischen Liebe abzurücken und Liebe anders
       zu definieren“, sagt die Autorin Laura Melina Berling. „Das kann heißen,
       dass man Rollenbilder hinterfragt und Liebe anders gestaltet, aber auch
       dass man nicht mehr auf Dates geht, keine romantischen Beziehungen führt
       und stattdessen andere Beziehungen wie Freund*innenschaften intensiver
       lebt.“
       
       Berling wirft nicht nur in ihrem Buch „Modern Heartbreak“ einen
       feministischen Blick auf die heterosexuelle Liebe. Auch auf Instagram macht
       sie Ungerechtigkeiten im Dating für Frauen sichtbar, seziert in Memes die
       Scheinheiligkeit linker Typen, die ihr mieses Verhalten gegenüber Frauen
       mit wokem Vokabular schönreden. Zum Beispiel, in dem sie Frauen
       Heteronormativität vorwerfen, nur weil die sich mehr Verbindlichkeit
       gewünscht hatten.
       
       In den Kommentaren unter Berlings Posts kommt von Männern immer wieder der
       Einwand, dass auch Frauen sich im Dating unehrlich und unfair verhielten.
       „Das stimmt auch“, sagt die 37-Jährige, „aber wir leben in einer
       Gesellschaft, in der das Verhältnis zwischen Mann und Frau nach wie vor
       nicht gleichwertig ist und Frauen in eine Abhängigkeit von Männern
       hineinsozialisiert werden. Umso mehr Leid birgt dieses Machtgefälle in der
       Liebe für sie.“
       
       Ob auch sie schon an dem Punkt war, die heterosexuelle Liebe aufzugeben?
       „Ständig“, sagt Berling und lacht. „Aber ich hatte trotzdem immer diese
       Sehnsucht nach einer romantischen Beziehung.“ Eine Sehnsucht, die ihrer
       Meinung nach in feministischen Diskursen und bei aller Liebe für
       Freund*innenschaften manchmal zu wenig Raum bekommt. „Es ist gut, wenn
       wir uns von den Männern unabhängig machen wollen, aber das sollte nicht
       dazu führen, dass wir gar nichts mehr fühlen und keinen Liebeskummer haben
       dürfen, wenn es wieder mal nicht geklappt hat.“
       
       Auch mich holt nach dem Ende meiner letzten Beziehung die Traurigkeit ein.
       Und ich erwische mich noch heute beim Tagträumen über verliebtes
       Händchenhalten und Pärchenurlaub. Das sind Dinge, die meine Freundinnen
       nicht ersetzen können. Aber ich brauche diese Dinge nicht, um glücklich zu
       sein. Mit Männern, so erscheint es mir heute, bekam ich sie oft nur im
       Tausch gegen meine psychische Gesundheit.
       
       Ein schlechter Deal, den auch meine Freundin Anna (nicht die Hydrobiologin
       von Hinge) oft eingegangen ist. Sie ist so alt wie ich und hat den Männern,
       zufällig fast zeitgleich mit mir, ebenfalls abgeschworen. Wie es ihr
       seitdem geht, will ich wissen, als sie sich auf meinem Balkon eine
       Zigarette dreht. „Ich habe endlich Frieden“, sagt Anna. Ein Satz, der in
       meinem ganzen Körper nachhallt, weil ich weiß, was sie meint. „Natürlich
       habe ich mal Stress auf Arbeit oder so, aber ich habe nicht mehr diesen
       Krieg.“ Mit Krieg meint sie Dating.
       
       Davon war Anna schon zu Beginn unserer Freundschaft genervt. Als ich sie
       vor zwei Jahren in einem Café kennenlernte, hatte sie nicht nur einen
       Cappuccino vor sich, sondern auch einen Notizblock, auf dem sie einen
       wütenden Brief an ihren Exfreund schrieb. Trotzdem träumte sie damals noch
       davon, irgendwann einem Mann ihr Ja-Wort zu geben. Ein Traum, den sie
       inzwischen begraben hat.
       
       Dass sie einmal an diesen Punkt kommen würde, hätte sie nicht gedacht. „Es
       ist nicht so, dass ich mich nicht über eine funktionierende Beziehung mit
       einem Mann freuen würde. Ich bin aber nicht mehr bereit, mir von Männern
       mein Zen nehmen zu lassen.“ Eine Einsicht, da ist sich Anna sicher, zu der
       in Zukunft immer mehr Frauen kommen werden.
       
       Und die Männer? Seit einiger Zeit beschäftigt sich das Internet aufgeregt
       mit der Frage, ob die derzeit an einer „male loneliness epidemic“ (auf
       Deutsch: männlichen Einsamkeitsepidemie) leiden – auch weil sie keine
       Freundin mehr finden in einer Welt, in der Frauen ihre Ansprüche
       hochgeschraubt haben.
       
       Eine These, bei der Christoph May nur den Kopf schütteln kann. Der
       Literaturwissenschaftler hat 2016 das Institut für Kritische
       Männerforschung mitgegründet und berät seitdem zu Themen wie Männerbilder
       und Kritische Männlichkeit. Dass es die „male loneliness epidemic“ gibt,
       bezweifelt May, und verweist auf eine aktuelle Umfrage im Auftrag der
       Bertelsmann Stiftung, laut der junge Frauen zumindest in Deutschland
       häufiger von Einsamkeit betroffen sind als junge Männer. „In einer
       patriarchalen Gesellschaft aber ignorieren Männer diese Fakten, rufen indes
       eine männliche Einsamkeitsepidemie aus und fordern Mitleid, weil sie nicht
       darüber sprechen wollen, was die eigentlichen Epidemien sind, nämlich
       Sexismus, Misogynie und Gewalt an Frauen.“
       
       Was Frauen aktuell auf Social Media über Männer im Dating und Beziehungen
       anprangern, findet May schockierend und augenöffnend. Wirklich überraschen
       sollten die Berichte aber niemanden. „Dass viele Männer beim Dating
       übergriffig sind und manipulieren, in Beziehungen den Mental Load ihrer
       Partnerin nicht sehen und ihr die emotionale Arbeit aufdrücken: Das ist ja
       alles nichts Neues“, sagt May. „Neu ist, dass Frauen das jetzt sichtbar
       machen.“
       
       Durch Trends wie #boysober spürten Männer zum ersten Mal, „dass ihr
       Verhalten Konsequenzen hat und sie für manche Frauen im Grunde keine Rolle
       mehr spielen“. Entweder sie folgten als Trotzreaktion darauf dem Beispiel
       von Andrew Tate, verhalten sich also erst recht mackerhaft und werten
       Frauen ab – oder sie machten sich die Arbeit, sich mit ihrer Misogynie
       auseinanderzusetzen.
       
       Eine Auseinandersetzung, für die wir laut May auch an die Strukturen
       ranmüssen. Er fordert feministische Bildung für Jungs von der ersten Klasse
       an und die Bezahlung von Care-Arbeit. Darüber hinaus brauche es als
       Gegenentwurf zum aktuellen Männlichkeitsbild mehr Männer, die im Erzieher-
       und Pflegeberuf arbeiten und als Vorbilder auf allen Ebenen in Wirtschaft,
       Politik, Kultur, Sport und Medien ihren Anteil der Care-Arbeit übernehmen,
       drei Jahre in Elternzeit gehen und für die Karriere ihrer Partnerinnen ihre
       Arbeitszeit deutlich reduzieren.
       
       Er freue sich über jeden Post auf Instagram und Tiktok, in dem Frauen ihre
       negativen Erfahrungen im Dating teilten, sagt Christoph May, betont aber:
       „Die Verantwortung dafür, dass heterosexuelle Liebe langfristig
       gleichberechtigter wird, liegt nicht bei den Frauen, sondern einzig und
       allein bei den Männern.“
       
       Wenn nur ein paar von ihnen ihre Verantwortung erkennen und an sich
       arbeiten, vielleicht ist unter diesen dann irgendwann auch einer für mich
       dabei. Diesen Gedanken hätte mein Hirn nach den Worten von Christoph May
       noch vor einiger Zeit produziert. Und vielleicht stimmt es ja auch. Aber
       ich habe keine Lust mehr auf diesen Mann zu warten oder nach ihm zu suchen.
       Stattdessen mache ich das, was sich wirklich lohnt – Urlaub mit meiner
       besten Freundin. In ein paar Tagen fliegen wir für eine Woche nach
       Kroatien.
       
       Ich bin mir sicher: Es wird ein Urlaub ohne Tränen.
       
       4 Jul 2025
       
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