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       # taz.de -- Sommerliche Fischattacken: Die Welslage
       
       > Ein Riesenfisch mit grusligen Barteln macht Schlagzeilen. Dabei geht es
       > dem Wels bei uns eigentlich sehr gut, profitiert er doch vom Klimawandel.
       
   IMG Bild: Oberflächlich betrachtet ist am Brombachsee alles in menschlicher Hand und Ordnung
       
       Droht jetzt ein „dritter Welskrieg“, wie die Zeit fragte? Immerhin sieht
       man dort in der klassischen Sommerlochgeschichte über Welse, die gerade mit
       einer gewissen Hartnäckigkeit fränkische Badegäste anraspeln, ein
       „politisches Lehrstück von shakespearescher Qualität“.
       
       Oder sind diese kleinen Dramen nicht längst unser kollektiver Wels in der
       Brandung zu einer Zeit, in der es ein [1][Sommerloch] gar nicht mehr gibt?
       
       Jeden Morgen öffnet man nervös die Nachrichtenseiten, um zu sehen, was der
       durchgeknallte US-Horrorclown wieder angestellt hat, und atmet erleichtert
       auf, wenn er nur ankündigt, im nächsten Jahr zum Nationalfeiertag am 4.
       Juli Käfigkämpfe vor dem Weißen Haus zu veranstalten. Dagegen wirkt die
       Posse über den durch die Polizei erschossenen Fisch wie ein
       Welsnessprogramm für die gestresste Seele. Welslage statt Weltlage.
       
       Das Timing ist jedenfalls perfekt. Pünktlich zum 50. Geburtstag von
       [2][„Der weiße Hai“] kommt der wackere Waller aus der Tiefe zwar nicht des
       Atlantiks am Myrtle Beach, sondern der eher seichten Gewässer des
       Badestrands am fränkischen Brombachsee.
       
       ## Was ist los im fränkischen Badesee?
       
       Es ist auch kein kriegstraumatisierter, besessener Haijäger, der das Tier
       am Ende mit der Harpune persönlich zur Strecke bringen will, sondern ein
       vermutlich etwas überforderter Dorfpolizist, der es mit der Dienstwaffe
       erschießt. Aber Urängste vom Monster aus dem Untergrund, das immer auch für
       die Bedrohung aus dem eigenen Unterbewusstsein steht, wecken die
       Geschehnisse eben doch, gepaart mit provinzieller Schmunzelkrimiatmosphäre
       à la „Mord mit Aussicht“.
       
       Doch wie in jedem guten Horrorstreifen ist das Happy End zunächst nur ein
       vermeintliches, denn jetzt kommt ein zweiter Riesenfisch – er müsste
       natürlich noch größer sein! – und nimmt Rache am nächsten arglosen
       Schwimmer.
       
       Was ist da los im Badesee? Welsgeschichten sind auch deswegen so gut, weil
       kaum jemand in unserer Dienstleistungsgesellschaft noch die Natur in ihrer
       archaistischen Ausprägung in Form des wilden Tiers auf dem Schirm hat.
       Zumal nicht in Form eines am Grund lauernden Riesenfischs mit am Maul
       baumelnden tentakelartigen Barteln, die als hochsensible Sensoren dienen,
       um Beute oder, nun ja, Schwimmer zu detektieren.
       
       Alles scheint gemanagt und geregelt bis ins Detail, bis wir plötzlich
       irritiert von Zwei- bis Dreimeterfischen erfahren, die im wörtlichen Sinne
       mitten unter uns schwimmen. Und zwar erstaunlich häufig, denn der Wels ist
       ein echter Klimawandelprofiteur.
       
       ## Wie schmeckt Pudel?
       
       Unsere Gewässer haben sich im Schnitt schon deutlich erwärmt, was den Wels
       frohlocken lässt, denn so wächst er schneller und kann früher zum
       Laichgeschäft schreiten, was die Überlebenschancen der bis zu 500.000 Eier
       anwachsen lässt. Der Wels ist zur Abwechslung [3][also mal keine bedrohte
       Art, sondern fühlt sich pudelwohl im Anthropozän], und Pudel fräße er wohl
       auch, denn er verschluckt alles, was er nur kriegen kann.
       
       Auch wenn die den Deutschen besonders entsetzende Hundemahlzeit in
       Wirklichkeit noch nie nachgewiesen wurde, finden sich allerlei Wirbeltiere
       von Schildkröten bis Tauben in seinem Magen. Eine Gefahr für Menschen geht
       trotzdem nicht von ihm aus, denn wo der Weiße Hai mit seinen jaws
       zuschlägt, hat der Wels nur Bürstenzähnchen, mit denen er höchstens
       kleinere Schürfwunden verursachen kann. Menschen greift er nur an, wenn sie
       seiner Brut zu nahe kommen. Wegen des niedrigen Wasserstands im Brombachsee
       stehen ihm seine bevorzugten Nistplätze unter am Ufer stehenden Bäumen
       derzeit nicht zur Verfügung, und so baut er seine Nester eben an den
       dortigen Schwimminseln.
       
       Die Horrorattacke erfolgt also, und hier wären wir dann schon bei der
       prototypischen Monstersaga „King Kong“, nur aus Liebe, wenn auch aus
       elterlicher. Der vermeintliche Killerfisch ist einfach nur ein weiterer
       treusorgender alleinerziehender Vater, denn die Welsmutter hat sich nach
       der Eiablage flugs aus dem Schlamm gemacht. Weil uns das rührt, werden im
       Brombachsee nun die zur Welswiege umgewidmeten Badeinseln einfach für eine
       Weile gesperrt – und der Wels wird künftig wieder geangelt statt
       erschossen.
       
       6 Jul 2025
       
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       ## AUTOREN
       
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