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       # taz.de -- AfD gibt sich Benimmregeln: Streit über Selbstverharmlosung
       
       > Die Bundestagsfraktion hat sich einen Verhaltenskodex gegeben, an den sie
       > sich nicht hält. Diskutiert wird auch über den Kampfbegriff
       > „Remigration“.
       
   IMG Bild: Mund halten: Pöbeleien im Bundestag sollen für die AfD-Fraktion um Tino Chrupalla und Alice Weidel Vergangenheit sein
       
       Nun steht es auch schwarz auf weiß im beschlossenen „Verhaltenskodex“ der
       AfD-Bundestagsfraktion: „Die Mitglieder sind um ein geschlossenes und
       gemäßigtes Auftreten im Parlament bestrebt, um die politische
       Handlungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit der Fraktion sicherzustellen“, heißt
       es in dem internen und der taz vorliegenden Papier. Bei Abweichungen soll
       es sogar Ordnungsmaßnahmen geben. Parteichef Tino Chrupalla wiederum hatte
       mehrfach in den letzten Wochen geäußert, dass vor allem Abgeordnete seiner
       Partei sich im Ton mäßigen sollen, und offene Avancen an politische
       Mitbewerber – zuletzt [1][das BSW in Thüringen] – gemacht.
       
       Aus Fraktionskreisen war zu hören, dass die AfD sich von dieser Strategie
       verspricht, neue Wählerschichten zu erschließen: Der oft raue Tonfall käme
       etwa bei Frauen schlechter an, welche die Partei weniger wählten. Ebenso
       soll es der Union schwerer gemacht werden, sich von der AfD abzugrenzen,
       und diejenige Wählerschaft ins Visier genommen werden, die von Merz
       enttäuscht worden sei. So jedenfalls die Überlegungen auf der
       Fraktionsklausur der extrem rechten Partei am Wochenende.
       
       Wie viel das Papier tatsächlich wert ist, zeigte sich wiederum am
       Montagmorgen, als der parlamentarische Geschäftsführer Bernd Baumann bei
       einer Pressekonferenz zum politischen Rundumschlag ausholte und sich
       darüber aufregte, dass man in Berlin einen Einbürgerungsantrag auch digital
       stellen kann: „Die deutsche Politik ist bekloppt“, schimpfte er und
       insinuierte rassistisch und ohne Faktengrundlage, dass „irgendein Abdullah
       aus Syrien-Süd“ mit einem Mausklick den deutschen Pass bekommen würde. Die
       üblichen Stereotype von „Islamisten, Einbrechern und Massenvergewaltigern“
       gab es von Baumann noch obendrein.
       
       ## Weidel mit Hitler-Vergleich
       
       Ins Bild passte, dass Baumann auch die Parteichefin Alice Weidel
       verteidigte, die noch am Rande derselben Fraktionsklausur, wo Mäßigung
       beschlossen wurde, die SPD mit Hitler verglich. Der Grund: Die
       Sozialdemokrat*innen hatten sich auf ihrem Parteitag für ein
       AfD-Verbot ausgesprochen. Auch Weidel war nicht um Kraftausdrücke verlegen:
       Die Bundesregierung solle sich schämen; die „Loser-Parteien im Bundestag“
       würden die Leute „in diesem Land so unglaublich verarschen“.
       
       Dennoch sorgt der selbst verordnete Mäßigungskurs für Sprengstoff innerhalb
       der Partei: Denn weiter umstritten ist der Umgang mit dem rechtsextremen
       Kampfbegriff der „Remigration“. Der Kopf der Identitären Bewegung, Martin
       Sellner, hatte sich damit immer wieder für die Vertreibung und rechtliche
       Schlechterstellung deutscher vermeintlich „nichtassimilierter“ Staatsbürger
       ausgesprochen. Die Partei hat den Begriff weitgehend adaptiert, im
       Bundestagswahlkampf wurde er regelrecht zur Parteiräson.
       
       Wohl auch aus Angst vor dem drohenden Verbotsverfahren geht die Partei
       jedoch zunehmend auf Abstand sowohl zu Sellner als auch zum Begriff der
       „Remigration“. Denn zuletzt hatte das Bundesverwaltungsgericht im
       [2][Verfahren gegen das rechtsextreme Magazin Compact] deutlich gemacht,
       dass es den Begriff wie von Sellner gebraucht für verfassungsfeindlich
       halte.
       
       Wie aus [3][unterschiedlichen durchgestochenen Arbeitsversionen des
       Papiers] deutlich wurde, strich die Bundestagsfraktion den Begriff offenbar
       aus einem ebenfalls auf der Klausur verabschiedeten Strategiepapier – und
       hat damit für erhebliche innerparteiliche Empörungswellen gesorgt. „Die AfD
       gibt den Begriff 'Remigration’ nicht auf“, schrieb etwa Daniel Haseloff,
       Generalsekretär des besonders radikalen Landesverbands Thüringen, empört
       auf X und fragte weiter: „Anschlussfähigkeit? An wen denn – an die
       Kartellparteien, die den katastrophalen Zustand unseres Landes zu
       verantworten haben? Nein, danke!“ Andere warnten vor einer
       „Merkelisierung“. Der Bundestagsabgeordnete Stefan Keuter sah sich am
       Montagmorgen im Deutschlandfunk gar zum Zurückrudern veranlasst: „Wir
       halten natürlich an der ‚Remigration‘ fest.“ Man habe beim Positionspapier
       nur andere Punkte in den Vordergrund gestellt.
       
       Im Bundesvorstand am Montag soll nach taz-Informationen zudem über ein
       Abstandsgebot zu Sellner diskutiert worden sein, wohl auch wegen des
       drohenden Parteiverbotsverfahrens. Der Thüringer Landeschef Björn Höcke
       hatte sich am Sonntag mit Sellner solidarisiert. Er empfahl Sellners Buch,
       der Titel: „Remigration“.
       
       7 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /BSW-nach-der-Wahlniederlage-im-Bund/!6088191
   DIR [2] /Nach-Compact-Verbot/!6094336
   DIR [3] https://www.welt.de/politik/deutschland/plus256358084/streit-ueber-remigration-warum-die-afd-spitze-jetzt-auf-abgrenzung-zu-martin-sellner-dringt.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gareth Joswig
       
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