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       # taz.de -- Kulturkampf in Senftenberg: Vorauseilende Feigheit vermutet
       
       > Die Träger der Neuen Bühne Senftenberg in Südbrandenburg wollen ihren
       > erfolgreichen Intendanten Daniel Ris loswerden. War er zu
       > gesellschaftskritisch?
       
   IMG Bild: Stört Daniel Ris mit Auftritten beim Christopher Street Day und Demos gegen rechts in Senftenberg?
       
       Wenn künstlerischen Leitern vorfristig das nahende Ende üblicher
       Fünfjahresverträge verkündet wird, stellen sich die immer gleichen Fragen.
       Haben sie künstlerisch enttäuscht, also nur schwach intendiert, Publikum
       verscheucht, oder wurden sie gar übergriffig? Oder zeigten sie sich
       vielmehr überengagiert und stellen in den Augen opportunistischer
       Theatergesellschafter ein politisches Risiko dar?
       
       Wenn dann, wie im Fall der Neuen Bühne Senftenberg, Stadt und Landkreis zu
       feige sind, Gründe für die Nichtverlängerung des Intendantenvertrages von
       Daniel Ris über 2027 hinaus zu nennen, müssen Spekulationen ins Kraut
       schießen. Die naheliegendste ist, dass der Intendant mit Sprüchen wie „Wir
       zeigen Haltung“ auf der Homepage, mit Auftritten beim Christopher Street
       Day in Cottbus oder bei Demos gegen rechts auf dem Senftenberger Markt
       einfach stört in einer Stadt, in der 2024 zur Kommunalwahl 29 Prozent die
       AfD gewählt haben.
       
       Denn der seit 2022 amtierende, 1965 in Leverkusen geborene Ris hat die
       kleine Bühne mit großer Tradition zu neuer Blüte geführt. In der taz
       berichtete [1][Hanno Fleckenstein darüber vor einem Jahr.] Im nur 23.000
       Einwohner zählenden Südbrandenburger Senftenberg holte Ris in der
       vergangenen Spielzeit 65.000 Besucher ins Theater. Die Programme des
       dreiköpfigen Leitungsteams gelten als ebenso herausfordernd wie populär und
       originell. Und wenn nach einer Hausmitteilung Anfang Juni über das
       bevorstehende Ende im Ensemble Bestürzung herrschte, wird wohl niemand
       gegen den Intendanten intrigiert haben.
       
       Wem also steht Daniel Ris im Wege? Das wollten Teile der Belegschaft auch
       von Siegurd Heinze wissen, dem parteilosen Landrat des Landkreises
       Oberspreewald-Lausitz. Der Kreis und die Stadt Senftenberg bilden als
       Träger des Theaters einen Zweckverband und steuern gemeinsam 1,9 Millionen
       Euro zur Finanzierung bei. Größter Geldgeber ist das Land Brandenburg mit
       3,8 Millionen Euro zuzüglich 1,6 Millionen zweckgebundener Kulturmittel
       aus dem kommunalen Finanzausgleich.
       
       ## Argumente fehlen
       
       Der Landrat antwortete der Belegschaft mit Ausflüchten, er wolle „laufende
       Abstimmungen nicht kommentieren“. Ein Fragenkatalog des Deutschlandfunks
       wurde Ende Juni dahingehend abgeblockt, dass es sich um einen vertraulich
       zu behandelnden privatrechtlichen Anstellungsvertrag handelt. Am 1. Juli
       erklären die Träger sogar, es seien ausschließlich sachliche Aspekte für
       eine „etwaige Entscheidung“ maßgebend. „Es liegen keinerlei persönliche
       oder gar private Beweggründe zugrunde, die sich auf Eigenschaften des
       Intendanten oder dessen gesellschaftliches Engagement beziehen.“
       
       Auch nicht auf die künstlerische Arbeit, fügen Landrat Heinze und der
       Senftenberger Bürgermeister Andreas Pfeiffer (CDU) hinzu. Sogar die
       kritisierte Teilnahme der Neuen Bühne an dem Programm „Kein Kunststück,
       Diversität im Kulturbetrieb fördern“ der Bosch-Stiftung stünde Intendant
       Ris frei, nur nicht während der Arbeitszeit.
       
       Welche einzig verbleibenden „sachlichen Aspekte“ führen dann zur Absicht,
       Intendant Ris loswerden zu wollen? Die Träger suggerieren einen angeblich
       noch laufenden Abstimmungsprozess. Mit Datum vom 7. März aber haben sie
       Daniel Ris die Nichtverlängerung seines Vertrages über 2027 hinaus bereits
       postalisch mitgeteilt, ein halbes Jahr vor dem Ende der Kündigungsfrist am
       31. August.
       
       Ein Vierteljahr lang bemühte sich der Intendant daraufhin vergeblich um ein
       klärendes Gespräch zu möglichen Vorwürfen gegen ihn. Erst am 2. Juni setzte
       er die Belegschaft in Kenntnis. Im Theater wird inzwischen von
       „Nebelkerzen“ gesprochen, die Heinze und Pfeiffer werfen.
       
       „Ich schätze Herrn Ris und seine Arbeit in Senftenberg außerordentlich“,
       sagte Brandenburgs Kulturministerin Manja Schüle (SPD) der Lausitzer
       Rundschau. Und lobte seine Angebote, die für „überregionale Strahlkraft“
       gesorgt hätten. „Ich bedauere, dass sein Vertrag nicht verlängert wird“,
       sagt sie und bekräftigt zugleich, dass ihr Ministerium mangels
       Mitspracherecht daran nicht beteiligt war.
       
       ## Vielfach die Stadt bespielt
       
       Woran mag Ministerin Schüle bei den erwähnten Angeboten gedacht haben? An
       das vom Land Brandenburg geförderte erschütternde Auftragswerk „Was man im
       Dunkeln hört“ von Andriy Bondarenko aus einem ukrainischen
       Luftschutzkeller? Oder dass Daniel Ris mit Festspielen in die vom Bergbau
       geprägte Umgebung oder in die erste deutsche Gartenstadt Marga ging? Oder
       an „Hair“ im Amphitheater am See, wo allerdings eine Regenbogenfahne die
       68er-Rebellenromantik in die Gegenwart holte?
       
       Vermutungen über die wahren Absichten der Träger gehen eher in Richtung
       Kulturkampf. Es gab schon vor drei Jahren Leute, die über den „schwulen
       Mann aus dem Westen“ die Nase rümpften. Dann positioniert er sich auch noch
       gegen die schleichende Nazifizierung, hängt eine Regenbogenfahne ins
       Theaterfoyer und führt Diversity-Workshops durch! Er bezeichnet das Theater
       als „Werkstatt der Demokratie“ und verortet es gegenüber dem
       Deutschlandfunk in der „liberalen demokratischen Mitte“.
       
       Der SPD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Roick schließt bei AfD-Wahlergebnissen
       von 30 und mehr Prozent „Ablehnungen gegenüber Herrn Ris“ nicht aus. Wohl
       aber bei Landrat Heinze und Bürgermeister Pfeiffer, die er ebenso wie
       Intendant Ris schätzt. Das „Ergebnis“ der Nichtverlängerung bedauert er.
       
       Gar nicht abfinden mit diesem absehbaren Vertragsende will sich in einem
       Mahnschreiben die Intendantengruppe des Deutschen Bühnenvereins. Das
       Vorgehen der Träger nähre „den Verdacht, dass es auch Gründe der
       politischen Einflussnahme sein könnten“. Die „Wucht der Reaktionen“ zeige,
       dass hier keine Entscheidung im Sinne der Wähler getroffen wurde. Die
       Intendantengruppe mahnt klärende Gespräche an und befürchtet hinter den
       „sachlichen Aspekten“ ein fatales Signal in Richtung geplanter
       „substanzieller Umstrukturierungen“.
       
       Damit sind nicht die Pläne gemeint, die schon vor dem Eklat auf der Seite
       des Dreier-Leitungsteams eingeleitet wurden. Chefdramaturgin Karoline
       Felsmann hatte sich schon im Januar in Tübingen beworben und wird dort
       Intendantin des Landestheaters. Ihre Oberspielleiterin wird die bisherige
       Senftenberger Hausregisseurin Elina Finkel. Wenn nun auch noch der
       Intendant geschasst werden soll, könnte das schon in der DDR als renitent
       geltende einstige „Theater der Bergarbeiter“ als einziges kulturelles
       Highlight Senftenbergs an Strahlkraft verlieren.
       
       9 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Politisches-Theater-im-Osten/!6019691
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Bartsch
       
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