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       # taz.de -- Reform des Berliner Polizeigesetzes: Riskantes Manöver
       
       > CDU und SPD bringen ihr neues Polizeigesetz ins Abgeordnetenhaus ein.
       > Berlin befindet sich damit bei der Beschränkung von Freiheitsrechten weit
       > vorn.
       
   IMG Bild: Kamera läuft, KI guckt mit
       
       Berlin taz | Mehr Kameraüberwachung, mehr Spionagesoftware, mehr künstliche
       Intelligenz: Bei der Ausweitung von Befugnissen für die Polizei ist Berlin
       derzeit auf der Überholspur unterwegs – und lässt andere Bundesländer
       hinter sich.
       
       Bei dieser Einschätzung sind sich Politiker der [1][schwarz-roten
       Koalition] und Grundrechtsschützer einig. Nicht aber bei der Bewertung des
       Überholmanövers: Für die einen führt es in Richtung mehr Sicherheit, für
       die anderen geradewegs in den Überwachungsstaat.
       
       Diesen Donnerstag bringen die Fraktionen von CDU und SPD die seit Langem
       vorbereitete Reform des „Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes“,
       kurz Asog, ins Plenum des Abgeordnetenhauses ein. Der Antrag [2][umfasst
       736 Seiten.] Es ist ein Rundumschlag, der fast alle Bereiche der
       Polizeiarbeit berührt. „Wir springen damit beim Polizei- und Ordnungsrecht
       von einem der hintersten auf einen der vordersten Ränge bundesweit“,
       frohlockte CDU-Fraktionschef Dirk Stettner bereits bei der [3][Vorstellung
       der zentralen Punkte] Ende Juni.
       
       Der Polizeirechtler Clemens Arzt zeigt sich angesichts der großen
       Versprechungen skeptisch. „Es ist in weiten Teilen der übliche Akt von
       symbolischer Gesetzgebung, den wir in der Sicherheitspolitik überall
       finden“, sagt Arzt zur taz.
       
       Zwar habe es zweifellos Änderungsbedarf gegeben, weil das bisherige Gesetz
       wegen neuer Bundes- und EU-Regelungen sowie der Rechtsprechung des
       Bundesverfassungsgerichts in vielen Punkten rechtswidrig gewesen sei. „Aber
       das ist kein Entwurf, der sich um Freiheitsrechte bemüht. Es geht fast nur
       darum, die Polizei mit mehr Befugnissen zu Eingriffen in die Grundrechte
       auszustatten“, kritisiert Arzt. „Vieles ist überflüssig, vieles geht zu
       weit.“
       
       ## Die Neufassung hat es in sich
       
       Tatsächlich hat es die Asog-Neufassung in sich. Die Koalitionäre wollen
       etwa dauerhafte Videoüberwachung an sogenannten kriminalitätsbelasteten
       Orten einführen und dabei auch künstliche Intelligenz (KI) einsetzen, um
       „verdächtige Verhaltensmuster“ zu erkennen. KI soll auch dabei helfen,
       Fotos im Internet auf der Suche nach Verdächtigen [4][anhand biometrischer
       Merkmale zu durchforsten].
       
       Hinzu kommt die Ausweitung von Befugnissen zur heimlichen Überwachung. So
       sollen Funkzellendaten künftig nicht nur zur Strafverfolgung, sondern auch
       zur Prävention abgefragt werden dürfen.
       
       Auch die sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung, bei der
       Chatnachrichten mittels Spionagesoftware abgefangen werden, bevor sie durch
       Messengerdienste verschlüsselt werden, soll dann zur Gefahrenabwehr und
       nicht nur im Nachgang einer Straftat möglich sein. Das Gleiche gilt für
       Onlinedurchsuchungen – also umfangreiche Hackerangriffe auf private
       Computer.
       
       „Berlin holt nicht nur auf, Berlin geht teilweise sogar voran, was den
       Ausbau von heimlicher Überwachung und Big-Data-Technologien angeht“,
       beobachtet David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF).
       Der Rechtsanwalt koordiniert bei der NGO Verfassungsklagen gegen
       Polizeigesetze und hatte damit schon in mehreren Bundesländern Erfolg.
       
       ## Es geht nicht nur um die konkreten Maßnahmen
       
       Für Werdermann zeigen sich bei der Asog-Reform zwei Muster, die er zuvor
       schon in anderen Bundesländern beobachtet hat: die Ausweitung der
       technischen Möglichkeiten, insbesondere zur Überwachung und
       Datenauswertung, sowie die deutliche Vorverlagerung der Eingriffsbefugnisse
       der Polizei.
       
       Es geht also nicht nur um die konkreten Maßnahmen, die der Polizei an die
       Hand gegeben werden, sondern auch um die Frage, wann sie zum Einsatz kommen
       dürfen. Vieles, das früher nur zur Strafverfolgung zulässig war, ist jetzt
       schon zur sogenannten Gefahrenabwehr erlaubt. Die ist zwar laut Werdermann
       die Kernaufgabe der Polizei. Doch der Jurist nimmt eine
       Bedeutungsverschiebung wahr: „Das Problem ist, dass der Gefahrenbegriff
       immer weiter aufgeweicht wird.“
       
       Im Entwurf für die Asog-Reform klingt das so: Wenn „Tatsachen die Annahme
       rechtfertigen“, dass eine Person „innerhalb eines übersehbaren Zeitraums“
       auf eine „zumindest ihrer Art nach konkretisierte Weise eine Straftat
       begehen wird“ – bereits dann darf die Polizei in vielen Fällen tätig
       werden.
       
       „Berlin geht damit weit in das Gefahrenvorfeld“, sagt Werdermann. Das führe
       zu Unsicherheit bei den Betroffenen. Vorstellbar sei etwa, dass jemand ein
       Pflanzenschutzmittel im Supermarkt kaufe. „Womöglich reicht das schon als
       ‚Tatsache, die die Annahme rechtfertigt‘, dass diese Person eines Tages
       einen Anschlag begehen will“, befürchtet der Rechtsanwalt.
       
       ## Über das rechtlich zulässige Maß hinaus
       
       In den vergangenen Jahren haben fast alle Bundesländer ihre Polizeigesetze
       verschärft und sind dabei teils über das rechtlich zulässige Maß
       hinausgeschossen. Auch das habe System, analysiert David Werdermann. „Man
       versucht immer wieder die Grenzen des verfassungsrechtlich Möglichen
       auszutesten.“ Auch in Berlin würden er und seine Kolleg*innen nun genau
       schauen, ob bei der Asog-Reform das Grundgesetz eingehalten werde: „Es kann
       gut sein, dass wir gegen einige der neuen Maßnahmen klagen werden.“
       
       Doch dafür muss das Gesetz erst einmal in Kraft treten. Nach der ersten
       Lesung am Donnerstag geht das Parlament in die Sommerpause. Danach wandert
       der Entwurf in die Ausschüsse; voraussichtlich im Herbst gibt es eine
       Expert*innenanhörung. Verabschiedet wird es frühestens im Winter.
       
       Unterdessen schraubt Schwarz-Rot schon an der nächsten
       Gesetzesverschärfung. Im Versammlungsrecht soll der Begriff der
       „öffentlichen Ordnung“ als Grundlage für Auflagen oder Verbote von
       Demonstrationen wieder eingeführt werden.
       
       Auch hierin sieht Clemens Arzt „reine Symbolpolitik“. Sollte die
       Formulierung wieder in den Gesetzestext aufgenommen werden, sei sie
       allenfalls in einem sehr engen Spielraum nutzbar. „Das ist eine rechtlich
       überaus weite Eingriffsoption der Polizei gegen unliebsame Versammlungen,
       die man sonst nur aus autoritären Staaten kennt“, so Arzt.
       
       9 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Schwarz-rote-Koalition-in-Berlin/!t5924436
   DIR [2] https://www.parlament-berlin.de/ados/19/IIIPlen//vorgang/d19-2553.pdf
   DIR [3] /Novelle-des-Berliner-Polizeigesetzes/!6092759
   DIR [4] /Open-Source-Intelligence-bei-der-Polizei/!6060094
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hanno Fleckenstein
       
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