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       # taz.de -- Offener Raum für alle muss schließen: Begegnungen haben ihren Preis
       
       > Eigentlich soll die Bremer City Begegnungsort werden. Eine Anlaufstelle
       > war zwei Jahre lang das „Umzu“ – doch die Stadt stellt kein Geld mehr
       > bereit.
       
   IMG Bild: Als „Dritter Ort“ hat das Umzu in der Bremer City soziale Projekte ermöglicht – hier durch eine Initiative für Mehrsprachigkeit
       
       Bremen taz | Am Hanseatenhof, mitten in der Bremer Innenstadt, steht ein
       leerer Glaskasten; seit Anfang Juli ist er verwaist. Früher war darin mal
       ein Blumenladen, dann kam das „Umzu“: Ab Juli 2023 hatte das städtische
       Projektbüro Innenstadt diese Experimentierfläche aufgebaut, gemeinsam mit
       dem Autonomen Architektur Atelier (AAA), „für die Erprobung von Konzepten
       abseits des Einzelhandels in der Innenstadt“; ein Raum, den Initiativen
       oder auch Einzelpersonen kostenfrei bespielen konnten, mit Vorträgen,
       Ausstellungen oder Workshops.
       
       „Uns war gleich klar, dass dort etwas für nicht einfach ein weiterer
       Pop-Up-Store subventioniert werden sollte“, sagt AAA-Gründer Daniel
       Schnier. „Shopping ist ja kein Ersatz für Shopping.“ Dass es Bedarf an
       einem Raum für soziokulturelle Projekte in der City gab, zeigte sich
       schnell: „Es war, als hätten alle darauf gewartet“, erzählt Sonja Broy vom
       Projektbüro Innenstadt. „Kaum waren wir da, bekamen wir schon fertige
       Exposés zu Projektideen.“ Schon ein paar Wochen nach der Eröffnung war das
       Glaszimmer bis Ende des Jahres ausgebucht.
       
       Insgesamt 72 verschiedene Veranstalter*innen nutzten es – für ganz
       unterschiedliche Ideen. In einem Reparaturcafé konnten nach Feierabend
       gemeinsam Klamotten repariert werden; Kinder wurden über ihre Rechte
       aufgeklärt; Kunststudierende nutzten die 40 Quadratmeter für erste eigene
       Ausstellungen; [1][Moyo, ein Projekt für Mehrsprachigkeit,] etablierte
       kleine Sprachkurse für Rumänisch oder Lesungen auf Luanda, Französisch und
       Bulgarisch.
       
       Doch seit Ende Juni ist Schluss: Die Förderung durch das Bundesprogramm
       „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ (ZIZ) ist ausgelaufen – und die
       klamme Stadt Bremen hat keine Möglichkeit gesehen, den Ort auf eigene
       Kosten fortzuführen.
       
       ## Kein Geld für Begegnungsort
       
       Rund 50.000 Euro im Jahr kostet der Betrieb, darin enthalten sind die
       Miete, die Organisation sowie eine kleine Unterstützung für die
       Initiativen, die den Ort bespielen. „Auch wenn es nur ein relativ kleiner
       Betrag ist: Die Haushaltslage lässt es leider nicht zu, dass wir die
       auslaufende Unterstützung des Bundes durch bremisches Geld ersetzen“, sagt
       der Sprecher der Senatskanzlei, Christian Dohle.
       
       Dabei ist die [2][Strategieentscheidung des Senats grundsätzlich klar,] die
       [3][Strategie „City Bremen 2030+]“ wurde erst vor Kurzem bei einem
       sogenannten „Binnenstadtdialog“ vorgestellt: Die Innenstadt, so die
       Grundannahme, kann nicht länger nur auf den darbenden Einzelhandel setzen;
       belebt werden soll die City stattdessen mit einem Mix aus Geschäften,
       Gastronomie, Wohnen, Wissenschaft – und Begegnungsorten. „Wir wollen diesen
       Wandel gestalten, vom reinen Handelszentrum hin zu einem lebendigen Ort der
       Begegnung“, wird Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) auf der Homepage
       vom Projektbüro Innenstadt zitiert.
       
       Im Zentrum der Strategie – und im Fokus der Aufmerksamkeit – liegt ein
       anderer halb verlassener Ort: das Horten-Gebäude, direkt gegenüber vom
       bisherigen Umzu. In diesem größten Gebäude der Innenstadt residierte lange
       Galeria Kaufhof, zuletzt ein paar Jahre lang ein Möbelgeschäft. Aktuell ist
       nur noch der Saturn-Markt übrig: Ganz oben liegt der, in der dritten Etage.
       Die Rolltreppen fahren die Kund*innen durch leere Stockwerke dorthin.
       
       ## Ein Ort ohne Konsum
       
       Das [4][Gebäude hat die Stadt vor einiger Zeit gekauft – ein Coup, um] die
       Entwicklung der Innenstadt wieder selbst in die Hand nehmen zu können.
       Momentan streitet sich die Koalition noch, ob der 70er-Jahre-Bau stehen
       bleiben darf oder ob Abriss und Neubau die richtige Lösung sind. In einem
       aber ist man sich schon einig: Das, was hier entsteht, soll nicht nur auf
       klassisches Shopping ausgerichtet sein, sondern „lebendiger Erlebnisort“
       werden, mit „konsumfreien Orten und einem starken öffentlichen Raum“.
       
       Auf das Horten-Gebäude hatten auch das Projektbüro Innenstadt und das AAA
       gehofft und dort die Zukunft des Umzus gesehen. Doch nun ist schon Schluss,
       während die Planungen für das Gebäude noch in den Anfängen stecken. An Geld
       scheitern wird das neue Quartier wohl nicht: Mit 300 Millionen Euro wurde
       die eigens ins Leben gerufene Stadtentwicklungsgesellschaft Brestadt
       ausgestattet, um Kauf und Umbau zu realisieren.
       
       Es ist nicht ganz fair, diese Summe neben die Kosten für das Umzu zu
       stellen – schließlich konnte die Stadtentwicklungsgesellschaft das Geld als
       Kredit aufnehmen und kann mit einem neuen Quartier gegenüber Banken und
       Stabilitätsrat einen handfesten Gegenwert vorweisen; die 50.000 Euro
       dagegen müssen [5][aus dem laufenden Haushalt finanziert] werden.
       
       ## Auch dritte Orte kosten Geld
       
       Doch Gebäude allein werden am Ende den Wunsch nach Begegnung nicht
       auffangen können. Die Forderung bleibt folgenlos, wenn sie nicht finanziert
       wird. „Bei Konferenzen“, erzählt die Umzu-Verantwortliche Broy, „nicken
       immer alle begeistert, [6][wenn es um dritte Orte geht.]“ Gemeint sind
       damit in der Sozialwissenschaft Orte, die neben dem eigenen Zuhause und der
       Arbeit für Begegnungen zur Verfügung stehen, ohne Konsumpflicht. Aber:
       „Auch dritte Orte haben ein Preisschild – das wird irgendwie vergessen“.
       Eine Miete wird fällig, irgendwer muss das Programm kuratieren, die oft
       ehrenamtlichen Initiativen brauchen für ihre Projekte Betreuung.
       
       Auch im Glaskasten vor dem Horten-Eingang hätte das Umzu bis zur möglichen
       Fertigstellung eines neuen Quartiers überdauern können: Einen neuen Mieter
       gibt es noch nicht. Das wird auch nicht leicht: Auf den 40 Quadratmetern
       gibt es keine Toilette, keinen Lagerraum, nicht einmal eine eigene Heizung.
       Die eigens eingebaute und geförderte Luft-Luft-Wärmepumpe musste das AAA
       vor Projektende wieder ausbauen. „Uns erreichen immer mal wieder Anfragen
       für die Fläche – aus den genannten Gründen stellt sie sich jedoch für die
       Interessierten meist als doch nicht geeignet heraus“, schreibt
       Pressesprecherin Andrea Bischoff von der zuständigen Wirtschaftsförderung
       Bremen.
       
       Projektverantwortliche Broy will nun in den nächsten Wochen versuchen, das
       Know-how für die Zukunft zu sichern: „Es geht jetzt ganz viel ums
       Dokumentieren.“ Die Betreiber*innen vom AAA sind jetzt schon raus, sie
       selbst wird aus dem Innenstadtbüro heraus auch nur noch bis Herbst dabei
       sein: Auch ihre Stelle wurde durch das ZIZ-Programm des Bundes gefördert
       und läuft aus.
       
       19 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.moyo-bremen.space/
   DIR [2] /Bremer-Senat-will-Innenstadt-aufpaeppeln/!5893694/
   DIR [3] https://bau.bremen.de/stadtentwicklung/stadtentwicklung/zentrenentwicklung-1267036
   DIR [4] /Rueckschlag-fuer-Investor/!5861024
   DIR [5] /41-Stunden-Woche-fuer-Bremer-Beamtinnen/!6090233
   DIR [6] /Hamburger-Museum-schafft-Dritten-Ort/!5720602
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lotta Drügemöller
       
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