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       # taz.de -- Forschung soll Schlachten sanfter machen: Der Tod der Schweine und die Wahl des Gases
       
       > Forschung soll ermöglichen, aus der quälerischen
       > Schlachtschweine-Betäubung mit Kohlendioxid auszusteigen. Den Ausschlag
       > geben ökonomische Interessen.
       
   IMG Bild: Da schaust du, süßes Ferkel! Noch fünf Monate, dann kommst du in den Schacht
       
       BREMEN taz | Manchmal muss Forschung paradoxalen Fragen nachgehen.
       Untersuchungen, wie es ums Tierwohl im Schlachtprozess bestellt ist und wie
       es sich steigern lässt, gehören dazu. Ein Beispiel ist das [1][von der
       Fördergesellschaft für Fleischforschung] kofinanzierte Verbundprojekt
       „Tierschutzgerechte Gasbetäubung von Schlachtschweinen im Diplift- und
       Paternoster-System“.
       
       Dem hat das Team den Kurznamen „Tiger“ verpasst, wobei die Endung „-er“ aus
       „Paternoster“ stammt. „Es sollte halt griffig sein“, erklärt Daniel
       Mörlein, Professor für Nutztierproduktqualität an der Uni Göttingen.
       
       Im Frühjahr wurden die Ergebnisse veröffentlicht. Ultrakurzfassung: Mit
       Gasen wie Argon und Stickstoff ließe sich das Schlachten weniger quälerisch
       gestalten als mit Kohlendioxid, dem gegenwärtigen Mittel der Wahl. Es würde
       ein Cent pro Kilo teurer. Das macht gut einen Euro pro Schwein: Argon koste
       in etwa vier- bis sechsmal so viel wie CO2, erläutert Mörlein. Zudem
       verlangsame es den Prozess: Argon müssten die Tiere 250 Sekunden, also 70
       Sekunden länger als Kohlendioxid ausgesetzt werden, heißt es im
       „Tiger“-Report.
       
       Die [2][bisherigen Betäubungsanlagen] könnten aber ohne viel Aufwand
       umgerüstet werden. Zumindest die in kleineren Schlachthöfen gebräuchlichen
       Diplift-Systeme, die jeweils in nur einem Stahlkäfig, beschönigend als
       Gondel bezeichnet, bis zu sechs Tiere mehrere Meter hinunter ins Dunkle
       fahren.
       
       So wie Kohlendioxid sind auch Argon und Stickstoff schwerer als Luft: Die
       Architektur der Tötungsfabriken kann also beibehalten werden, anders als
       bei Helium, das [3][im Hauptschweineland Spanien erprobt wurde]. Das dürfte
       auch für die in größeren Betrieben üblichen Paternoster-Anlagen gelten, in
       denen ein Aufzug mehrere Käfige im Umlaufsystem hoch- und
       runtertransportiert. Die Physik ist ja dieselbe.
       
       Im Rahmen des Projektes sei gezeigt worden, „dass ein niedriger
       Restsauerstoffgehalt für den Einsatz von Inertgasen auch bei diesem
       Anlagentyp erreicht werden kann“, teilt Inga Wilk mit. Die
       Projektkoordinatorin arbeitet an der Celler Dependance des
       Friedrich-Löffler-Instituts, einer Einrichtung des
       Bundeslandwirtschaftsministeriums.
       
       Aber ausgerechnet das unter Live-Bedingungen zu erproben, hat nicht
       hingehauen: Der Vion-Konzern als industrieller Partner hatte im Januar 2024
       das für die Tests vorgesehene „Fleischcenter Perleberg“ verkauft. Mit den
       neuen Eigentümer*innen bekam man keine Einigung hin.
       
       In einen anderen Schlachthof des Partners zu wechseln, wäre nicht gegangen.
       Tierversuche müssen von der Landestierschutzkommission genehmigt werden.
       „Es ist vorgesehen, diese notwendigen Untersuchungen im Rahmen eines
       Nachfolgeprojektes durchzuführen“, so Wilk: 33.684.495 von [4][44.912.660
       Mastschweinen] sind 2023 allein in Deutschland vorm Schlachten mit CO2
       betäubt worden.
       
       Zeit ist da ein wirtschaftlicher Faktor. Die Branche ist sicher nicht
       bereit, größere Verzögerungen und unvorhersehbare Probleme bei der
       vorgeschriebenen, in die Tötungswerkstraßen integrierten Narkose
       hinzunehmen. Also gilt es Unwägbarkeiten auszuschließen, wenn man weiter
       Tiere zum Essen anbieten, aber raus aus dem Kohlendioxid will.
       
       Das wollen offenbar alle. Das „Tiger“-Projekt hatte 2020 das
       Bundeslandwirtschaftsministerium [5][initiiert]. Aber ähnliche
       Versuchsreihen laufen europaweit [6][in diversen Designs]: So hatte im Jahr
       2022 die Europäische Exekutivagentur für Digitales und Gesundheit 2,2
       Millionen in Schweinebetäubungsforschungsprojekte in Dänemark, den
       Niederlanden und Spanien gesteckt. Als die vor drei Monaten ihre Einsichten
       auf der Suche nach „nicht-aversiven Betäubungsmethoden für Schweine“ in
       Brüssel präsentierten, haben sich die „Tiger“-Leute einfach dazugesellt.
       
       Denn politisch entscheidet sich schließlich dort, ob an der CO2-Betäubung
       von Schweinen festgehalten wird. Dass sie erhebliches Tierleid verursacht,
       ist nämlich altbekannt. Und dass es Alternativen gibt, auch.
       
       So war die Praxis, nachdem Reinder Hoenderken die Probleme der
       CO2-Betäubung 1979 dargestellt hatte, in den Niederlanden beendet worden –
       „for animal welfare reasons“, wie es im Fachblatt „Pig News and
       Information“ [7][im Januar 1980 hieß], aus Gründen des Tierwohls. Doch das
       gesetzliche Verbot verschwand mit Entstehung des EU-Binnenmarkts.
       
       Es kam auch nicht wieder, als [8][die Europäische Behörde für
       Lebensmittelsicherheit die Praxis 2004] aus wissenschaftlichen Gründen für
       nicht vereinbar mit Tierschutzvorgaben erklärt und ebenso wenig, als sie
       diese Einschätzung [9][2020 bekräftigt hatte]. Physiologisch liegt sie ja
       nahe: Das Enzym Carboanhydrase verwandelt das Gas in Kohlensäure. Die
       verursacht stechende Schmerzen an den Schleimhäuten. Zugleich stimuliert
       die Übersäuerung, also der Abfall des pH-Werts, einen Ionenkanal im
       Mandelkern im Säugetierhirn.
       
       Das Produkt dieses biochemischen Vorgangs nennen Menschen Angst,
       Erstickungsangst. Die Kommission hatte das zur Kenntnis genommen, fand aber
       Alternativen zu teuer. Also entschied sie: Das müssen die Schweine eben
       aushalten.
       
       In der EU haben das seither rund drei Milliarden Schlachtschweine
       ausgehalten. Zusehen will dabei niemand: Der „Erhebungsleitfaden Transport
       und Schlachtung“, der erklärt, wie die Einhaltung der Vorgaben des
       nationalen Tierwohllabels zu checken sind, empfiehlt den Prüfer*innen,
       gegebenenfalls eine Taschenlampe einzusetzen. Damit können sie dann mal pro
       forma in den meist neun bis zehn Meter tiefen Fahrstuhlschacht
       hineinfunzeln.
       
       Valide Einsichten in den Vorgang lassen sich nur mit an den Gondeln
       befestigten Kameras und Mikros gewinnen. So hat es das „Tiger“-Team
       gemacht. So hatten es, ohne Genehmigung, auch Aktivist*innen der
       Tierrechtsorganisation „Animal Rights Watch“ (Ariwa) gemacht.
       
       [10][Weil sie das in Fachkreisen verbreitete Wissen über die Panik und das
       Schreien der Tiere auf dem Weg in die CO2-Senke] mithilfe heimlicher
       Aufnahmen in seiner Schweinetötungsanlage in Lohne erstmals in die deutsche
       Öffentlichkeit gebracht hatten, verklagt Schlachthof-Betreiber Nikolaus
       Brand zwei von ihnen. Er fordert rund 100.000 Euro Schadenersatz. Das
       Urteil soll am 16. Juli um 8.30 Uhr in Saal 35 des Oldenburger Landgerichts
       verkündet werden.
       
       Tatsächlich muss eine schlachtprozessbezogene Tierwohlforschung also auch
       im Versuchsaufbau ihren Grundwiderspruch wiederholen: Um das Leiden der
       Tiere zu minimieren, muss man es reproduzieren: 1.300 Schweine sind im Zuge
       des „Tiger“-Projekts geschlachtet worden, „aber das waren Schweine aus
       landwirtschaftlichen Betrieben“, so Mörlein.
       
       Sie wurden also nicht eigens fürs Projekt gemästet, „und sie sind auch
       ausnahmslos in die Lebensmittelkette gegangen“. Relevante Unterschiede in
       der Fleischbeschaffenheit habe man keine festgestellt. Und durch den
       Einsatz von Argon „das aversive Verhalten erheblich reduzieren können. Aber
       es bleiben Fragen“, so Mörlein, etwa „das Thema der Vokalisation“. Denn
       auch im Argon schreien die Tiere. „Da können wir nicht klären, ob das
       unbewusst ist.“
       
       7 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Multifunktionaere-unter-sich/!1104874&s=f%C3%B6rdergemeinschaft+fleischforschung/
   DIR [2] /Schlachter-verklagt-Tierrechtlerinnen/!6090208
   DIR [3] https://www.irta.cat/es/noticia/arranca-el-proyecto-pigstun-para-el-fomento-de-tecnicas-mas-respetuosas-con-el-bienestar-animal-en-los-mataderos-europeos/
   DIR [4] /Fleischkonzern-Toennies-schlachtet-wieder/!5695122
   DIR [5] https://service.ble.de/ptdb/index2.php?detail_id=16797376&ssk=PTDB-alles&site_key=141&tKat=6004&zeilenzahl_zaehler=304&NextRow=130
   DIR [6] https://www.efsa.europa.eu/de/plain-language-summary/use-high-expansion-foam-stunning-and-killing-pigs-and-poultry
   DIR [7] https://www.cabidigitallibrary.org/doi/pdf/10.5555/19802274627
   DIR [8] https://efsa.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.2903/j.efsa.2004.45
   DIR [9] https://efsa.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.2903/j.efsa.2020.6195
   DIR [10] /Tierrechtsaktivistinnen-vor-Gericht/!6091871
       
       ## AUTOREN
       
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